Die Enttäuschung ist Pellegrino Matarazzo nach der erneuten Niederlage ins Gesicht geschrieben. Der Sportdirektor Sven Mislintat (hinten) stärkt dem Trainer des VfB Stuttgart jedoch den Rücken. Foto: Baumann/Cathrin Müller

Nach dem verpatzten Saisonstart ereilt den VfB Stuttgart von außen eine Debatte, die er im inneren Zirkel gar nicht führt – kommt der Fußball-Bundesligist mit diesem Trainer aus der Krise?

Sven Mislintat bringt sich in Position. Etwas breitbeinig steht der Sportdirektor des VfB Stuttgart dann gerne da. Gerade so, als müsse er seine Körperfläche vergrößern, um hinter seinem Rücken eine Schutzzone einzurichten. Die Hände in die Hosentaschen geschoben, steht Mislintat in solch kritischen Momenten für den Fußball-Bundesligisten nach den Spielen hin und bezieht Stellung. Leicht lächelnd, weil er weiß, was kommt. Die Frage nach dem Trainer.

 

Die Antwort des Sportdirektors folgt nach der enttäuschenden 2:3-Niederlage beim VfL Wolfsburg ebenso verlässlich und klar wie in der vergangenen Saison, als Pellegrino Matarazzo bis in die Nachspielzeit der letzten Ligabegegnung Gefahr lief, das Saisonziel Klassenverbleib mit der Mannschaft zu verfehlen. „Der Trainer ist nicht Teil der Analyse“, sagt Mislintat. Für ihn stellt der Trainer Teil der Lösung dar – und nicht das Problem. „Ihr kennt uns ja jetzt auch schon eine Weile“, schiebt der 49-Jährige hinterher.

In Erklärungsnot

Seit April 2019 arbeitet Mislintat für den VfB, seit mehr als 1000 Tagen Matarazzo. Sie bilden ein Team, und die Herangehensweise in Krisen gleicht sich: das Spiel betrachten. In der Sache bleiben. Beurteilen, was diesmal gut und was schlecht gelaufen ist. Doch gehört es nach acht Ligapartien ohne Sieg am achten Spieltag der Runde nicht zur Sache, in erster Linie die Trainerbilanz zu betrachten? Und spricht nicht schon allein die magere Ausbeute von lediglich drei Siegen in diesem Kalenderjahr gegen Matarazzo?

Im Prinzip ja. Weshalb den VfB im Herbst 2022 von außen eine Debatte ereilt, die er im inneren Zirkel gar nicht führt. Die Kritik am Trainer nimmt zu. Und sie wird lauter, weil die Stuttgarter erst nicht in der Lage waren, Spiele zu gewinnen. Jetzt verlieren sie diese sogar vermehrt. Matarazzo gerät dadurch zunehmend in Erklärungsnot. Denn der Hinweis, dass man anfangs ordentlich aufgetreten sei, aber nur nicht die verdienten Punkte eingefahren habe, greift nicht mehr.

„Die Gegentore waren allesamt vermeidbar“, sagt der Trainer und benennt die beteiligten VfB-Spieler am dritten Wolfsburger Treffer durch Yannick Gerhardt in der Nachspielzeit. Hiroki Ito, Konstantinos Mavropanos, Dan-Axel Zagadou und Atakan Karazor – sie alle hätten sich während der Entstehung anders verhalten sollen. Zudem machte Florian Müller einen unentschlossenen Eindruck. Doch der Torhüter hatte nach seinem Patzer beim 1:2 durch Maximilian Arnold (38.) schon genügend mit sich selbst zu tun. „Ich bin ein Trainer, der reflektiert und überlegt, was gut für die Spieler ist“, sagt Matarazzo über sein Vorgehen. Das betrifft nicht nur die taktische, sondern vor allem die mentale Seite.

Matarazzo will die Spieler stärken, sie je nach Naturell ansprechen und führen. Nach den Extremerfahrungen in der Vorsaison ist er allerdings auch dazu übergegangen, Fehler in der Öffentlichkeit anzusprechen, sich nicht dem Vorwurf der Schönrederei auszusetzen. Wenn man so will, hat er sein Repertoire erweitert. Allerdings nicht zum Selbstzweck. Alles dient dem Plan, Spiele zu gewinnen und die Mannschaft besser zu machen. Beides klappt seit Wochen nicht. Oder sind es gar schon Monate?

Der letzte Sieg datiert vom 14. Mai. Ein epochales Erlebnis, als Wataru Endo zum 2:1 gegen den 1. FC Köln in der Nachspielzeit traf und den VfB mit seinen Fans in einen kollektiven Freudentaumel stürzte. Verbunden war damit die Hoffnung auf eine ruhigere Saison mit einer ordentlichen Mannschaft. Doch die Stuttgarter sind ein Abstiegskandidat geblieben. Ein Team, das zwischen den Rängen zwölf bis fünfzehn einzuordnen ist, wenn alles normal läuft.

Ungelöste Probleme

Doch es beginnt schon wieder, in die falsche Richtung zu laufen. „Unser Ziel ist es, vor dem Relegationsplatz zu stehen“, sagt Mislintat. Dieses Vorhaben wird seiner Ansicht nach mit einem Profikader verfolgt, der erneut substanziell durch Transfers geschwächt wurde und der außerdem zu den jüngsten in Europa zählt. „Da müssen wir durch solche schwierigen Phasen wie aktuell durchgehen“, sagt der Sportdirektor.

Reine Ablenkungsmanöver, meinen Mislintats Kritiker, weil der Kader falsch zusammengestellt sei. Pauschalurteile, mit denen der Sportchef wenig anzufangen weiß, da er mehr Erfahrung zugeführt hat und Talente abgegeben wurden. Der Erfolg stellt sich trotzdem nicht ein. Weil die VfB-Elf zuerst eine mangelnde Chancenverwertung aufwies und sie zuletzt zu viele leichte Gegentreffer hinnehmen musste – jeweils drei.

Da wird es schwer zu gewinnen. Zudem verstärkt sich der Eindruck, dass der Trainer die selbst genannten Probleme nicht gelöst bekommt. „Wir haben vor dem Anpfiff zwei Punkte thematisiert. Erstens: Wer es mehr will, hat eine höhere Siegwahrscheinlichkeit. Zweitens: Wir gehen von Aktion zu Aktion. Dazu braucht es Präsenz“, sagt Matarazzo. Beide Erwartungen wurden nicht erfüllt – was die Zweifel an der Traineransprache nährt.

Die Wolfsburger wirkten am Ende entschlossener. Die geforderte Wachsamkeit kam nach dem 1:0 durch Serhou Guirassy abhanden (22.). Der Ex-Stuttgarter Omar Marmoush schlug unmittelbar zurück (23.). Doch sind nicht genau diese wiederholt auftretenden Schwächen eine Sache des Trainers? Zweifellos, weshalb sie Matarazzo in den Griff bekommen soll. Darauf vertraut Mislintat. Was womöglich schon nach dem nächsten Spiel am Sonntagabend gegen den Tabellenführer Union Berlin zu der Grundsatzdiskussion führt, ob die Mannschaft tatsächlich nicht besser ist als im Augenblick – oder, ob der Trainer einfach nicht genug aus den Spielern herausholt.