Für die Mitarbeiter des VfB Stuttgart gibt es jetzt einen Verhaltenskodex. Damit gibt es erstmals in der Geschichte des Vereins ein Papier, das regelt, wie man an der Mercedesstraße miteinander umgeht.
Stuttgart - Als Sir Henry Morgan im 17. Jahrhundert über die Weltmeere segelte, da hatte der schlaue Freibeuter eine maßgebende Idee. Regeln für das Zusammenleben an Bord sollte es geben – verständlich und verbindlich. Also ließ er den Schiffsarzt Alexandre Olivier Exquemelin die sogenannten „Articles of Agreement“ verfassen – den Piratenkodex.
Für den Verlust des rechten Arms im Kampf erhielt ein Pirat „600 Piaster oder sechs Sklaven“. Ganz schön viel für damalige Verhältnisse. Doch hat Wolfgang Dietrich sicher nicht das Treiben des walischen Nationalhelden Sir Henry Morgan im Sinn gehabt, als er sich Gedanken über die Zusammenarbeit beim VfB Stuttgart machte. Als neuer Kapitän des einstigen Bundesligatankers und jetzigen Fußball-Zweitligisten, der sich noch immer in schwerer See befindet, hat der Vereinspräsident aber zumindest die Notwendigkeit gesehen, einen Verhaltenskodex aufzusetzen.
„Beim VfB wird nicht gemauschelt“
Erstmals in der Geschichte des Vereins für Bewegungsspiele von 1893 gibt es also ein Papier, das regelt, wie man an der Mercedesstraße miteinander umgeht. Auf den fünf DIN-A4-Seiten (sie liegen dieser Zeitung vor) wird auch daran erinnert, welche Pflichten die Mitarbeiter haben. Und es wird darauf eingegangen, welche Außenwirkung der Club erzielen will – beziehungsweise welche nicht. Fett gedruckt steht da zum Beispiel: „Beim VfB wird nicht gemauschelt“. Was den Verdacht nahe legen könnte, dass beim VfB bisher doch gemauschelt wurde.
Dietrich hegt diesen Verdacht jedoch keineswegs und verfolgt einen ganz anderen Ansatz. „In einer komplexen Organisation wie dem VfB erachte ich es als wichtig, dass die internen Abläufe und Kommunikationswege klar geregelt und abgestimmt sind“, sagt der Clubchef, der Wert darauf legt, dass es sich um kein Geheimpapier handelt, dem noch ein Strafenkatalog für die Vergehen folgt. Vielmehr betrachtet Dietrich den Verhaltenskodex als „Leitplanken“ für ein neues Miteinander und eine neue Diskussionskultur, die er beim VfB etablieren will.
Empörung hält sich in Grenzen
Und wenn man den Flurfunk unter dem roten Dach richtig deutet, dann hält sich die Empörung über die Regeln in Grenzen. Das liegt zum einen daran, dass es sich inhaltlich um Selbstverständlichkeiten wie die „Einhaltung aller Gesetze“, das „Verbot für Sportwetten“ oder die „Vergabe und Annahme von Geschenken“ handelt. Zum anderen aber auch an der Vermittlung: So hat Dietrich auf eine Betriebsversammlung verzichtet, um bei den vom Vorstand beschlossene Orientierungshilfen nicht den Eindruck eines Erlasses zu erwecken.
Es war die Aufgabe der Bereichsleiter, ihren Leuten das Schreiben näher zu bringen. Zudem ist der neue Chef durch so ziemlich alle Büros gegangen, um mit den Clubangestellten zu sprechen. Sein Eindruck: „Die Grundstimmung ist positiv.“ Zusammen mit der großen Zuschauerresonanz und der stetig wachsenden Zahl an Mitgliedern sieht Dietrich deshalb weiter eine enorme Kraft, die im VfB steckt.
„Ruhe reinbringen“ betrachtet der 68-jährige Ex-Unternehmer aus diesem Grund als seine erste Aufgabe. Seit sechs Wochen macht er das nun immer konkreter. Unterbrochen von einem Urlaub, der schon vor seiner Kandidatur und der Wahl am 9. Oktober feststand. Benötigt hat Dietrich die Erholungsphase nach der aufregenden und aufreibenden Zeit zuvor aber schon. Um wieder aufzutanken, aber vor allem um seine Vorhaben neu auszurichten und Prioritäten zu setzen. „Vor der Präsidentschaftswahl ging es ja viel um die Vergangenheit“, sagt Dietrich – die des Vereins, aber auch seine persönliche.
Dietrich drückt aufs Tempo
Doch nun ist es Zeit für die Zukunft, und so hat Dietrich während seiner Tage in Südafrika nicht nur viel mit Stuttgart telefoniert, sondern auch viele Dokumente gelesen. Und seit seiner Rückkehr vor einer Woche schiebt er vor allem zwei Projekte an: die Mitgliederausschüsse und die Nachwuchsarbeit. Beim ersten wird gerade eine Geschäftsordnung erarbeitet, um im ersten Quartal des nächsten Jahres solche Expertenrunden ins Leben rufen zu können. Allerdings sollen sich die Fachleute aus dem Verein mit speziellen Themen beschäftigen und nicht zwingend zur dauerhaften Einrichtung wie der Fanausschuss werden.
Beim Thema Jugend drückt Dietrich ebenfalls auf das Tempo. Ein erster kleiner Schritt ist dabei die Partnerschaft mit Porsche zur Unterstützung der VfB-Fußballschule. Bis Ende Januar 2017 hofft der Präsident nun ein Finanzierungskonzept präsentieren zu können, das es dem Verein ermöglicht, die Nachwuchsarbeit dauerhaft zu verbessern. Inhaltlich mit Feinjustierungen, weil sich bei einer Überprüfung gezeigt hat, dass noch immer viele in Stuttgart ausgebildete Spieler in den Profiligen unterwegs sind. In erster Linie will der VfB jedoch in der Lage sein, sich teure Talente und deren Veredler leisten zu können. Denn dann sähe der neue Kapitän das VfB-Schiff wieder auf Kurs.