Der VfB Stuttgart steckt schwer in der Krise, der Bundesliga-Abstieg droht. „Wir haben einen Plan B parat in der Hoffnung, dass wir ihn nicht benötigen“, sagt Präsident Bernd Wahler.
Der VfB Stuttgart steckt schwer in der Krise, der Bundesliga-Abstieg droht. „Wir haben einen Plan B parat in der Hoffnung, dass wir ihn nicht benötigen“, sagt Präsident Bernd Wahler.
Stuttgart - Herr Wahler, Ihr erstes Amtsjahr erinnert uns fatal an das eines Ihrer Vorgänger.
Sie meinen 2011?
Früher! 1975 trat Ihr Vor-Vor-Vor-Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder als Präsident an, und wenig später ist der VfB abgestiegen.
Es gibt durchaus Parallelen, was unsere jetzige Situation angeht. Sie ist extrem kritisch. Der Abstand zu den Abstiegsplätzen ist sehr bedrohlich. Wichtig ist, dass alle den Ernst der Lage begriffen haben.
Haben ihn alle begriffen, auch die Spieler?
Davon gehe ich fest aus. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass auch alle mit der Situation richtig umgehen können.
Wie gehen Sie persönlich damit um?
Es heißt ja, dass ich nur von den Champions-League-Plätzen reden würde. Mir ist durchaus bewusst, dass das derzeit unrealistisch ist. Aber da haben die Leute auch nicht genau zugehört: Ich habe immer von einem Ziel gesprochen, das wir in nächsten drei bis fünf Jahren erreichen wollen.
Finden Sie nachts noch Schlaf?
Ja, aber unsere Lage beschäftigt mich natürlich. Derartige Negativserien haben mich schon als VfB-Fan beschäftigt, als Präsident jetzt noch massiver.
Finden Sie Halt in Ihrer Familie, bei Ihrer Frau?
Natürlich rede ich mit meinem persönlichen Umfeld darüber. Ich erfahre dort von allen Seiten Unterstützung.
Haben Sie in Ihrem früheren Arbeitsleben schon eine ähnliche Situation erlebt?
Es gab auch in meinem bisherigen Arbeitsleben immer wieder kritische Situationen. Im Fußball ist aber alles etwas emotionaler, die Prozesse sind dann kurzfristiger. Das ist anders als bisher.
Wieviele E-Mails bekommen Sie täglich? Und lesen Sie die alle?
Im Moment ein bisschen mehr als sonst. Ich lese viele Mails, lasse aber auch sammeln und bündeln. Ich möchte natürlich die Stimmungslage im Umfeld mitbekommen und ein Gefühl dafür entwickeln. Aber wenn ich die 42. Mail bekomme, in der die Entlassung des Trainers gefordert wird, muss ich die 43. nicht auch noch lesen.Viele Fans äußern sich sehr besorgt, manche fragen auch: Wann grätscht der Wahler denn endlich dazwischen? Einige hätten gern eine Operation am offenen Herzen.
"Ich will motivierend einwirken"
Und, sind Sie dazu bereit?
Sicher nicht.
Mit wem tauschen Sie sich aus, wer berät Sie?
Ich bin mit dem Vorstand und dem Aufsichtsrat im ständigen Austausch. Und ich habe in der Fußballwelt einige Kontakte. Sie zu nutzen ist mir wichtig, damit ich mir keine einseitige Meinung bilde.
Und wie ist die Haltung in den VfB-Gremien?
Wir sind uns auf der erweiterten Führungsebene einig, dass wir Ruhe bewahren müssen, ohne so zu tun, als sei nichts passiert.
Sprechen Sie auch mit den Spielern? Waren Sie auch mal in der Kabine?
Ja, beispielsweise bei den Spielen gegen Augsburg und Bayern München. Mal vor dem Spiel, mal in der Pause und mal nach dem Spiel. Da rede ich natürlich nicht über taktische Dinge, dafür haben wir kompetentere Leute. Es geht mir um Präsenz, ich will motivierend einwirken.
Haben Sie den Spielern auch klargemacht, was für den Verein auf dem Spiel steht?
Dieses Szenario haben unser Sportdirektor Fredi Bobic und Trainer Thomas Schneider deutlich aufgezeichnet. Ich war in der Mannschaftsbesprechung nach dem Spiel gegen Augsburg dabei und habe gemerkt: Es ist alles gesagt, dem musste ich nichts hinzufügen.
Holen Sie sich Rat bei Ihrem Vor-Vorgänger Erwin Staudt, der mit Trainer Bruno Labbadia eine vergleichbare Situation erlebt hat?
Wir haben uns zuletzt während des Spiels gegen Augsburg und danach ausgetauscht. Wir reden auch in den nächsten Tagen wieder. Er ist ein guter Gesprächspartner, weil er die Situation kennt und unsere Sprache spricht.
Woran machen Sie die Misere fest? Ist die Mannschaft zu jung und zu unerfahren?
Ich kenne 20-Jährige, die große Verantwortung tragen und in Ihrer Entwicklung weiter sind als 27-Jährige. Ich denke, es ist eine Frage der Reife und Lebenserfahrung.
Auch das Trainerteam ist in der Bundesliga relativ unerfahren. Stellen Sie Defizite fest?
Thomas Schneider hat als Profi Erfahrungen im Tabellenkeller gemacht, Alfons Higl und Tomislav Maric sind auch nicht unerfahren. Die drei ergänzen sich gut, von der Erfahrung und ihrer Persönlichkeit her. Und sie haben Leute, mit denen sie sich beraten. Wenn man unseren Weg geht, muss man sich bewusst sein, dass man keinen Trainer hat, der mit seiner Mannschaft schon zehnmal gegen den Abstieg gespielt hat.
Trotzdem könnte ein Mann wie Rainer Adrion mit Rat zur Seite stehen. Er hat Erfahrung – und eine VfB-Vergangenheit.
Ich bin überzeugt, dass unsere Trainer in der Lage sind, das Richtige zu tun. Andererseits sind sie gut beraten, eine andere Perspektive in ihre Überlegungen einzubeziehen, das ist ja nichts Verwerfliches. Und das tun sie auch. Unabhängig davon gibt es bei uns im Verein schon länger die Überlegung, welche ehemaligen VfB-Profis wir in welcher Form in den Verein integrieren können. Aber es muss passen.
Und wenn es doch zum Abstieg kommt?
Wie groß ist Ihr Vertrauen in Schneider?
Ich bin von seiner Arbeit sehr überzeugt.
Hand aufs Herz: Würden Sie mit ihm notfalls auch in die zweite Liga gehen?
Im Moment setze ich Schneider keine Frist oder gar ein Ultimatum. Auf ewig gibt es in der Bundesliga aber generell keine Jobgarantie, das wäre völliger Quatsch. Da kennt jeder das Geschäft und die Mechanismen gut genug.
Und wenn es doch zum Abstieg kommt?
Wenn wir in die zweite Liga müssten, hätte ich keine Zweifel, dass Thomas Schneider für unsere Strategie, auf die Jugend zu setzen, der richtige Trainer wäre. Aber ich bin guter Dinge, dass wir die Klasse erhalten.
Welche Verantwortung schreiben Sie Fredi Bobic zu? Immerhin hat er bei der letzten Mitgliederversammlung gesagt, er lasse sich am jetzigen Kader messen.
Fredi Bobic nimmt seine Verantwortung an. Man muss aber auch zum Beispiel sehen, welche Voraussetzungen er hatte und welche Altlasten er im Transferbereich zu bewältigen hatte. Da sollte man in der Bewertung fair bleiben.
Wie reagieren die Sponsoren? Machen die Druck in der Trainerfrage?
Die haben zurzeit verständlicherweise keinen großen Spaß mit uns. Aber ich spüre ihren Willen, den Verein zu unterstützen. Viele zeigen Verständnis für unsere Situation. Was die Trainerfrage angeht, ist es wie überall. Da halten sich einige schon für kleine Bundestrainer. Aber das ist doch normal. Ich kann mir ja auch nicht wünschen, dass die Menschen im Umfeld emotional mitgehen, und dann beklagen, wenn sie aus der Emotion mitreden wollen.
Die Zuschauer kommen immer spärlicher zu den Heimspielen. 2001 hat der VfB eine große Werbekampagne und die Schalaktion „Niemals 2. Liga“ inszeniert. Planen Sie Ähnliches?
Wir bereiten aktuell das eine oder andere vor, um möglichst viele Anhänger zu bewegen, ins Stadion zu kommen und das Team zu unterstützen. Unsere junge Mannschaft muss spüren, dass die Fans hinter ihr stehen. Wir müssen jetzt die ganze Region mobilisieren und Solidarität mit dem VfB schaffen.
Können Sie konkret werden?
Wir haben konkrete Pläne und werden in den nächsten ein, zwei Tagen beschließen, was genau wir umsetzen wollen. Das kann eine Werbekampagne sein, das können Plakate, Zeitungsanzeigen oder ähnliches sein.
Gehen Sie auch direkt auf die Fans zu, um sie ins Boot zu holen?
Klar intensiviert man in einer solchen Situation den Dialog. Ich bin bei unseren Regionalversammlungen dabei, an diesem Dienstag in Esslingen, am Donnerstag in Biberach. Am Montag war Fredi Bobic beim Fanausschuss. Wir wollen noch mehr der Verein zum Anfassen werden.
Wie teuer käme ein Abstieg für den VfB?
Er hätte erhebliche Einschnitte zur Folge.
Sind 30 Millionen Euro realistisch?
Das hängt von vielen Faktoren ab: Setze ich auf Konsolidierung, strebe ich den sofortigen Aufstieg an, welche Sponsoren kann ich halten? Wir haben einen Plan B parat in der Hoffnung, dass wir ihn nicht benötigen.
Wieviele Jobs auf der Geschäftsstelle stehen auf dem Spiel?
Ich will da jetzt keine Ängste schüren. Jetzt geht es vor allem darum, was wir tun können, um den Abstieg zu vermeiden.
Was würde sich sportlich ändern?
Von der Strategie, stark auf die Jugendarbeit zu setzen, würden wir nicht abrücken.
Treten Sie zurück, wenn der VfB absteigt?
Ich habe mein Wirken nicht von der Zugehörigkeit zu einer Liga abhängig gemacht.