VfB-Talent Timo Werner (re.) Foto: Getty

Jugendtrainer des VfB Stuttgart dürfen sogar Spiele verlieren, wenn sie sich verstärkt der Talentausbildung widmen. Nachwuchschef Ralf Becker ist sicher: Nur so besteht der Nachwuchs um Timo Werner später auch im Profibereich.

Jugendtrainer des VfB Stuttgart dürfen sogar Spiele verlieren, wenn sie sich verstärkt der Talentausbildung widmen. Nachwuchschef Ralf Becker ist sicher: Nur so besteht der Nachwuchs um Timo Werner später auch im Profibereich.

Stuttgart - Herr Becker, beim 4:2-Sieg gegen Hannover haben Timo Werner, Rani Khedira und Antonio Rüdiger am Samstag Dampf gemacht – lauter eigene Talente. Dazu kam in Moritz Leitner ein junger Leihspieler aus Dortmund. Da ist Ihnen bestimmt das Herz aufgegangen?
Da haben Sie recht. Aus meiner Sicht als Verantwortlicher für den Nachwuchs war es eine Freude, die Jungs spielen zu sehen. Sie haben Betrieb gemacht und eine gute Mentalität gezeigt. Allerdings konnten sie nur so gut sein, weil auch die älteren Spieler mitgemacht haben. Da stand eine Einheit auf dem Platz.
Man kann es auch andersherum betrachten: Die Erfahrenen haben sich vom Schwung und vom Elan der Jungen mitreißen lassen.
Seit dem Trainerwechsel ist den älteren Spielern durch die Jungen neue Konkurrenz erwachsen, die Karten sind teilweise neu gemischt worden. Da ist jeder Spieler gefordert, seine maximale Leistung abzurufen.
Welcher Junge hat Sie besonders beeindruckt?
Alle gleichermaßen. Antonio Rüdiger hat sich schon zu einem richtig guten Bundesligaspieler entwickelt. Und seine Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende. Er kann ein Topverteidiger werden. Auch Rani Khedira hat sich auf Anhieb prima eingefügt.
Aber über allen steht Timo Werner?
Er ist ein herausragendes Talent. Mich freut, wie cool er auftritt und wie mannschaftsdienlich er gegen Hannover gespielt hat.
Das ist der vielbeschworene Weg des VfB?
Wir wollen ins erste Drittel der Bundesliga, da bedarf es hie und da mutiger Entscheidungen. Dazu gehört auch, dass die Jungen, die ausreichend Qualität besitzen, mal reingeworfen werden.
Thomas Schneider, der Cheftrainer, hat da keine Scheu?
Schneider und seine Assistenten Tomislav Maric und Alfons Higl kommen ja aus dem Jugend- und Scoutingbereich des VfB, sie kennen unsere Nachwuchsspieler bestens. Natürlich gibt es daher eine gute interne Kommunikation. Unsere Talente sind dem Cheftrainer aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit präsent. Sie wissen: Er kennt uns, und er fördert uns.
Lange Zeit hat beim VfB der Nachschub aus dem Jugendbereich gestockt. Zuletzt sind auch Raphael Holzhauser und Kevin Stöger gescheitert und wurden ausgeliehen.
Generell gilt: Talent allein genügt nicht, um sich bei den Profis zu etablieren. Wir halten unsere jungen Spieler dazu an, immer noch mehr zu arbeiten. Sie werden bei uns nicht gestreichelt, sie müssen auch hart arbeiten.

Hartes Einzeltraining für den Nachwuchs

Sind manche Talente zu früh zufrieden?
Ich kann nur die Zeit seit Januar beurteilen, als ich beim VfB angefangen habe. Da haben wir gesagt: Wir müssen unsere Talente härter rannehmen. Wir haben die individuelle Förderung ausgeweitet. Wir nehmen Spieler auch mal aus dem Mannschaftstraining, damit sie separat an ihren Schwächen arbeiten. Ganz wichtig ist da der Athletikbereich. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass am Wochenende keine topfitte Mannschaft auf dem Platz steht, weil einigen Spielern ein hartes Einzeltraining in den Knochen steckt.
Da werden sich die jeweiligen Trainer aber schön bedanken, oder? Die wollen schließlich alle ihre Spiele gewinnen.
Bis zur U 23 ist jeder Spieler bei uns in der Entwicklung, da läuft alles unter dem Stichwort Ausbildung. Ob die jeweilige Mannschaft am Saisonende Erster oder Vierter wird, ist für den Verein nicht entscheidend. Das vermitteln wir allen unseren Trainern glasklar. Der VfB akzeptiert, dass die Ergebnisse zuweilen leiden, weil wir unter der Woche im Training vielleicht andere Schwerpunkte gesetzt haben.
Sehen das alle Jugendtrainer genauso?
Es ist eines der Kriterien, nach denen wir sie aussuchen. Nehmen Sie das Beispiel Timo Werner. Für seine positive Entwicklung sind viele Trainer verantwortlich, nicht nur Thomas Schneider. Er erntet jetzt nur die Früchte der Arbeit einiger anderer.
Ist nach Werner wieder eine Zäsur zu befürchten, oder kommen weitere Talente nach?
Tim Leibold, unser linker Verteidiger der U 23, ist gegen Hannover erstmals bei den Profis auf der Bank gesessen. Dazu gibt es einige andere Spieler in unserer U 19 und U 17, die ebenfalls großes Potenzial haben.
Hand aufs Herz: Wie schwierig ist es eigentlich, eine seriöse Prognose über die Entwicklung von Talenten abzugeben, selbst in der U 23, wo ein ganz anderer Fußball gespielt wird als im Profibereich?
Hundertprozentig lässt sich das sicher nicht vorhersagen. Timo Werner ist vielleicht eine Ausnahme, weil sehr viel Potenzial in ihm steckt. Andere haben Talent und tun sich bei den Profis dennoch schwer. Es gibt aber auch Nachwuchsleute, die sich freischwimmen, obwohl man das in der U 23 nicht unbedingt von ihnen erwartet hätte. Da kann man als Verein auch mal danebenliegen, aber das gehört auch dazu.
Was ist heutzutage das wichtigste Rüstzeug für einen jungen Fußballer, der nach oben will?
Früher gab es junge Fußballer, die herausragend waren, aber nicht alles für ihren Sport getan haben. Das ist heute nicht mehr möglich. Heute gilt: Talent ist gut und wichtig – entscheidend ist die Eigenmotivation. Auf die Einstellung zum Beruf kommt es an. Unsere Talente haben Schule und machen vielleicht gerade Abitur, aber sie trainieren siebenmal pro Woche, davon zweimal um 8 Uhr. Das ist nicht der Lebensweg, der jedem behagt. Als ehrgeiziges Talent musst du auch ein Stück weit besessen sein und gierig, es wirklich schaffen zu wollen.
Von dieser Sorte hat der VfB jetzt wieder mehr?
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir werden sicher nicht jedes Jahr wie jetzt drei, vier junge Spieler hochbringen. Unser Ziel ist es, dass es mindestens ein Talent schafft. Wenn es dann mehr sein sollten – umso besser.