Der VfB Stuttgart scheint mit der Verpflichtung von Justin Diehl einen Volltreffer gelandet zu haben. Der Youngster präsentiert sich hervorragend und widerlegt Vorurteile, die ihn seit Monaten begleiten.
Am Anfang wurde getuschelt. Erst hinter vorgehaltener Hand. Dann deutlich wahrnehmbar. Irgendwann wurde aus dem Tuscheln ein Staunen, das sich gegen Ende der Japan-Tour des VfB Stuttgart zu einem deutlich hörbaren Urteil wandelte. Tenor: Wow, was ein positiver Zugewinn für die Truppe. Die Rede ist von Justin Diehl.
Der 19-Jährige wechselte ablösefrei vom 1. FC Köln an den Neckar und galt als einer, der eine gute Ergänzung für den Kader hergeben könnte. Mit Betonung auf könnte. Denn schließlich brauchen solch junge Kerls meist noch etwas längere Anlaufzeit, manchmal vielleicht auch noch eine Leihe, ehe sie sich vollends im Bundesliga-Business zurechtfinden und durchstarten können. Auf Diehl trifft das offensichtlich nicht zu. Der Stürmer, der in der vordersten Offensive mehrere Rollen spielen kann, am liebsten aber über den linken Flügel kommt, scheint weiter zu sein. Das zeigte er in den Tagen in Japan mit jeder Aktion. Ein Tor im Testspiel gegen Kyoto Sanga war der Auftakt, im Training traf er reihenweise ins Netz und produzierte in den Spielformen Highlight-Szenen am Fließband.
Sebastian Hoeneß voll des Lobes über den Neuzugang
„Er war von Tag eins der Vorbereitung an voll da. Das hat er auch in dieser Woche wieder bestätigt. Justin macht einen richtig guten Eindruck“, sagt sein Trainer. Sebastian Hoeneß zeigte sich rundum zufrieden mit seinem neuen Flügelflitzer. Fast schon beeindruckt: „Er hat enorme Anlangen, ist schnell und trickreich“, so Hoeneß. Diehl überzeugte in den Tagen von Japan mit Spritzigkeit, Explosivität, enormen Zug zum Tor und dem Mut und der Unbekümmertheit, nicht nur permanent das Eins-gegen-Eins zu suchen, sondern es auch meist zu seinen Gunsten aufzulösen. Fähigkeiten und Attribute also, die jeder Trainer gerne hat. „Mehr kann ich ihm dann auch nicht beibringen. Es geht jetzt darum, dass er gesund bleibt und ab und zu den Kopf noch früher hochnimmt“, so Hoeneß weiter.
Zudem, so ließ der Trainer durchblicken, werde er es wohl langsam angehen lassen und will Diehl nicht mit großer Erwartungshaltung überfrachten. „Er ist jung und es bedarf jetzt insbesondere guter Führung“, verweist Hoeneß auf die pädagogischen Aspekte, die gerade bei jungen Spielern besonders wichtig sind. Und vermeidet, wo es auch nur möglich ist Kategorisierungen wie „Gewinner der Vorbereitung“ – wohl wissend, dass sich so etwas schnell als Bumerang erweisen kann. So sei an dieser Stelle an Ömer Beyaz erinnert. Der damals 17 Jahre junge Türke reüssierte nach seinem Wechsel von Fenerbahce 2021 im Trainingslager unterm Wilden Kaiser. Spielte in Kitzbühel alles in Grund und Boden, wurde mit Lob überhäuft. Und brachte danach kein Bein mehr auf den Boden. Nach mehr oder minder erfolgreichen Leihen zu Magdeburg und Hatayspor kämpft sich Beyaz gerade wieder heran und versucht sich mit seinen nun 20 Jahren für einen Kaderplatz für die kommende Saison zu empfehlen.
Justin Diehl widerlegt Vorurteile
Ein Weg, wie ihn Diehl nicht gehen soll. Viel wichtiger noch als das Sportliche sind beim Youngster aber charakterliche Themen. Schließlich war aus Köln teils beunruhigende Geschichten seinen Leumund betreffend zu hören. Diehl sei ein Störenfried und denke nur an sich, hieß es hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand. Zur Erinnerung: Bereits früh in der letzten Saison kommunizierte er gegenüber seinem Ausbildungsverein, bei dem er rund zehn Jahre in der Jugend verbrachte, dass er seinem im Juni 2024 auslaufenden Vertrag nicht verlängern werde. Und fiel dadurch in Ungnade. Er wurde in die zweite Mannschaft verbannt.
Diehl reagierte mit zwölf Treffern und neun Vorlagen in 19 Partien. Köln begnadigte ihn, holte den Stürmer aufgrund personeller Nöte zurück in den Bundesligakader für den Kampf gegen den Abstieg – nur um ihn im Saisonfinale wieder zu suspendieren. Der Angreifer hatte sich erlaubt, nachdem ihn Trainer Timo Schulz nicht in den Spieltagskader nominiert hatte, eine Hochzeit eines guten Freundes zu besuchen, anstatt der Mannschaft im Stadion die Daumen zu drücken. Wozu wohlgemerkt keine Verpflichtung bestand. Er war ja nicht im Kader. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings sein Wechsel zum VfB längst feststand, wurde Diehl vom stets aufgeregten Kölner Boulevard in die Ecke gestellt. Und der Effzeh unternahm nichts, um ihn in irgendeiner Form zu schützen.
Mit der Hypothek, charakterlich ungeeignet zu sein und Kollegen im Stich zu lassen, kam Diehl in Stuttgart an. Und widerlegt dies seitdem Tag für Tag. Spricht man mit seinen neuen Teamkollegen, so sind die voll des Lobes. Auch aus dem Betreuerstab hört man nur Gutes über Diehl. Und sein Trainer stellt unmissverständlich klar: „Der Junge ist absolut in Ordnung. Er tritt respektvoll auf, will lernen und zeigt sich von einer sehr guten Seite“, bilanziert Hoeneß und berichtet von nahezu japanisch anmutender Höflichkeit seines neuen Schützlings. Scheint ganz so, als lägen spannende Zeiten vor Diehl und dem VfB.