Am Donnerstag empfängt der VfB Stuttgart Feyenoord Rotterdam. Vor 27 Jahren gab es dieses Duell schon einmal – und ging als größte Europapokalsensation in die VfB-Geschichte ein.
Wie gut, dass es damals noch keinen VAR gab. Der Videoassistent hätte sich die Szene sicher noch einmal angeschaut, die sich im September 1998 im De Kuip zu Rotterdam abgespielt hatte.
Rückspiel in der ersten Runde des Uefa-Cups – dem Vorgänger-Wettbewerb der Europa League –, Feyenoord Rotterdam gegen den VfB Stuttgart. Der VfB hatte den 1:3-Rückstand aus dem Hinspiel fast aufgeholt, führte mit 2:0 (es galt noch die Auswärtstorregelung), als Fredi Bobic in der Nachspielzeit der Ball vor die Füße sprang – und der VfB-Stürmer aus abseitsverdächtiger Position eiskalt verwandelte. Die Hausherren hoben kollektiv den Reklamierarm, doch der verunsicherte Schiedsrichter Aranda Garcia entschied schnell auf Tor.
„Es war das perfekte Spiel“
3:0. Der VfB schaffte das Wunder von Rotterdam und war eine Runde weiter.
„Es war das perfekte Spiel“, sagt Bobic im Rückblick von 27 Jahren. Über 90 Minuten lang zog die Mannschaft nach dem 1:3 aus dem Hinspiel ein famoses Auswärtsspiel auf. „Mit einer überragenden taktischen, spielerischen und kämpferischen Mannschaftsleistung machten die Stuttgarter das Unmögliche möglich“, heißt es im Spielbericht von damals. Aus dem fernen Stuttgart kabelte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der bei einer Sitzung im Staatsministerium weilte, begeistert die Devise gen Rotterdam: „Ihr sollt die ganze Nacht feiern!“
Für den Big Boss war der Sensations-Sieg eine Genugtuung. Stichwort Winfried Schäfer. Er hatte vor der Saison den allseits beliebten Joachim Löw als Trainer abgelöst. Wohl eine der verrücktesten Ideen von MV, den Pokalsieger-Coach von 1997 ausgerechnet durch den wilden Winnie aus dem verhassten Badenerland zu ersetzen. „Schäfer raus!“, hallte es von Saisonbeginn an durchs Stuttgarter Stadion.
„Das mit Winnie Schäfer war nicht so der Kracher“, formuliert es der damalige VfB-Stürmer und jetzige Sportchef von Legia Warschau diplomatisch. Bobic lässt durchblicken, dass Schäfers Anteil am Wunder von Rotterdam von eher untergeordneter Bedeutung war. „Wir haben uns vor dem Spiel alleine zusammengesetzt und überlegt, wie wir spielen. Die Herangehensweise im Hinspiel war nämlich total dämlich.“
Da war der VfB den Holländern ins offene Messer gerannt. „Schäfer machte immer das Gleiche“, befand Bobic. „Die Spannungen mit dem Trainer waren schnell da.“ Und übertrugen sich aufs Umfeld. Die erste Runde im Uefa-Cup passte zur Tristesse, die der VfB in der Liga verbreitete. Das Team, dem mit Giovane Elber ein Drittel des magischen Dreiecks weggebrochen war, bot nach zwei fabelhaften Spielzeiten nur noch Mittelmaß.
Die Mannschaft legte sich ihren eigenen Matchplan zurecht
Gerade einmal 18 000 Fans wollten das Hinspiel im damaligen Gottlieb-Daimler-Stadion gegen Feyenoord vor Ort verfolgen. Und hatten schon nach einer halben Stunde genug. Denn da stand das Endergebnis nach einem Doppelpack von Jon Dahl Tomasson und Bobic als einzigem Stuttgarter Torschützen bereits fest.
Die berüchtigten Fans aus der niederländischen Hafenstadt zerlegten noch den Gästeblock, ansonsten ist aus dem Hinspiel neben „Schäfer-Raus“-Rufen nicht viel mehr überliefert außer den Aussage von Feyenoord-Coach Leo Beenhakker: „Wir wussten schon vorher, dass die Zeit der Deutschen vorbei ist.“ Auf Nachfrage eines Reporters, woran es dem deutschen Fußball denn kranke, antwortete der im April verstorbene Fußballlehrer: „Dafür reicht die Zeit nicht.“
Es war die späte Hochzeit der deutsch-niederländischen Feindschaft, insofern wirkten die Worte Beenhakkers auf „de Duitsers“ vor dem Rückspiel extra motivierend. „Wir spielten von der ersten Minute nur auf ein Tor“, erinnert sich Bobic. Auf das von Feyenoord, deren heißblütigen Fans von Minute zu Minute ruhiger wurden. Nach dem 0:1 durch Krasimir Balakov (35.). Und erst recht nach dem 0:2, das Kristijan Djordjevic nach 70 Minuten erzielte.
Die Sensation war nahe. Und wurde in der Nachspielzeit wahr. Erst traf Bobic den Pfosten. Dann folgte der große Auftritt des eingewechselten Alexander Blessin. Per Hacke legte er das 3:0 auf. „Seine größte Tat im VfB-Trikot“, scherzte Bobic über den aktuellen Trainer des FC St. Pauli. Wenig später trafen die Hausherren noch den Pfosten. Dann war Schluss.
Wenig später ging es mit Winfried Schäfer zu Ende
Im Lager der Stuttgarter herrschte grenzenloser Jubel. Das Wunder von Rotterdam war vollbracht und gilt bis heute als eine der größten Sensationen der Stuttgarter Europapokalgeschichte. Dass eine Runde später gegen Brügge schon Schluss war? Schwamm drüber. Genauso wie über die Ära Winfried Schäfer. Dieser wurde Anfang Dezember nach einer 0:2-Niederlage in Freiburg nach nur fünf Monaten entlassen. Das Wunder von Rotterdam wird aber für immer auch mit ihm in Verbindung stehen.