Sami Khedira wurde beim VfB Stuttgart groß und empfahl sich so für Real Madrid – vor dem großen Duell seiner Ex-Clubs spricht der Weltmeister exklusiv über den Mythos Real und die Chancen des VfB.
Es ist so weit. An diesem Dienstag (21 Uhr) steigt für den VfB Stuttgart das große Spiel in der Champions League bei Real Madrid. Weltmeister Sami Khedira spricht vorher über seine Ex-Clubs.
Herr Khedira, der VfB trifft in der Champions League auf Ihre anderen beiden Ex-Clubs Real Madrid und Juventus Turin. Wie haben Sie die Auslosung erlebt?
Ich habe gleich gehofft, dass das erste Spiel in Madrid stattfindet, und so ist es gekommen. Es ist natürlich toll, dass mein Heimatverein gegen die zwei Vereine spielt, mit denen ich auch sehr eng verbunden bin. Ich habe die Auslosung am Liveticker verfolgt. Ich glaube nicht an Zufälle, irgendwie sollte das Schicksal dann doch so sein (lacht).
Wie schätzen Sie die Chancen des VfB ein in der Gruppenphase?
Der Spielplan bietet spannende Auswärtsspiele bei Real und Juventus und mit PSG und Atalanta Bergamo zwei Topteams in Stuttgart. Die restlichen Gegner kannst du schlagen, um die Punkte fürs Weiterkommen zu sammeln – wobei ich dem VfB auch eine Überraschung gegen die Großen zutraue.
Sie waren kürzlich beim Porsche-Cup in Stuttgart auf dem VfB-Gelände. Wie haben Sie die Verantwortlichen rund um das Jugendturnier erlebt?
Ich habe selten einen Schwaben so emotionalisiert und euphorisch gesehen wie die Leute, die ich an diesem Wochenende in Stuttgart getroffen habe. Ob das Verantwortliche oder Fans waren – alle sind mit großen, leuchtenden Augen rumgelaufen und haben gesagt: Wow, bald sind wir in Madrid.
Wo der VfB auch auf den berühmten Mythos trifft – wie kann man die Strahlkraft Reals beschreiben?
Dieser Verein ist einzigartig. Das muss man selbst erleben. Wenn du als Gegner ins Bernabéu einläufst, liegst du schon mit 0:1 hinten – weil dort dieser Mythos und die Wucht des Stadions mitschwingen. Du kommst da rein und hast Ehrfurcht. Da ist so viel Geschichte drin, so viele großartige sportliche Kämpfe haben da stattgefunden.
Was macht das Bernabéu so besonders?
Es ist ein Stadion, in das mehr als 80 000 Menschen reinpassen – und drum herum stehen Wohnblöcke, allein das macht es sehr speziell. Dann gehst du rein und schaust auf steile Ränge, die wie Wände sind. Alles ist höher, größer, eindrucksvoller.
Gänsehaut beim Gedanken an den Wechsel zu Real
Als Sie rund um Ihren Wechsel im Jahr 2010 vom VfB erstmals vom Interesse Reals gehört haben – wie lief das ab?
Ich weiß nicht, ob man es sieht, aber ich habe gerade eine Gänsehaut (Khedira zeigt seinen Unterarm via Bildschirmkamera).
Erzählen Sie!
Irgendwann war klar: José Mourinho will dich haben, ich soll zu Real kommen . Größer geht es ja nicht. Die Real-Verantwortlichen haben es dann sehr clever gemacht, als ich das erste Mal in Madrid war. Die wollten mir erst mal das Trainingsgelände und das Stadion zeigen. Mein damaliger Berater hat dann gesagt: Halt, stopp – wir reden erst über die Inhalte und die wichtigen Dinge. Hinterher habe ich mir dann aber alles anschauen können und war sehr beeindruckt.
Wie fasst man dann Fuß bei Real?
Real hat immer den besten Kader weltweit, sie machen es seit Jahrzehnten überragend, alte und junge Topspieler zu vereinen. Dort wurde und wird der bei anderen Clubs oft nur propagierte Umbruch in Perfektion umgesetzt. Grundsätzlich glaube ich, dass der Mensch mit seinen Aufgaben wächst. Bei mir war es so, dass du plötzlich Mitspieler wie Cristiano Ronaldo, Kaka, Xabi Alonso oder Sergio Ramos hattest – da bist du nur noch motivierter als ohnehin schon.
Real ist bekannt dafür, Spiele im Bernabéu in der Schlussphase noch zu drehen. Woher kommt das Selbstverständnis?
Real will Champions verpflichten. Die Verantwortlichen legen Wert darauf zu schauen, welcher Spielertyp in dieses große Trikot passt. Ein Beispiel: Es gab zu meiner Zeit einen deutschen Topspieler mit enormer Qualität, den Real auf dem Schirm hatte – von dem die Clubchefs aber glaubten, dass er charakterlich nicht nach Madrid passt.
Das heißt?
Die Verantwortlichen fragen sich bei jedem möglichen Neuzugang: Hat er die Siegermentalität? Sie recherchieren. Wie Real mögliche neue Spieler rekrutiert, ist beeindruckend. Sie beleuchten das komplette Umfeld und treffen dann ihre Entscheidung.
Draußen an der Seitenlinie leitet in Carlo Ancelotti wieder jener Trainer die Dinge an, mit dem sie zwei Jahre lang bei Real zusammengearbeitet haben. Was zeichnet ihn aus?
Es gibt ein Zitat von ihm, das ihn perfekt beschreibt: „Ich bin kein Fußballtrainer – ich trainiere Menschen.“ Carlo kümmert sich so sehr um den Menschen, dass es dir immer gut geht. Aber nicht alibimäßig nach dem Motto „wie geht’s?“ oder „hast du gut geschlafen?“.
Warum Carlo Ancelotti in der Kabine erwünscht ist
Sondern?
Er geht in die Tiefe, fragt dich nach deiner Familie oder danach, was du am liebsten isst. Nach meiner Kreuzband-OP 2013 hat er jeden Morgen angerufen und gefragt, wie es mir geht. Bis ich ihm sagte, er brauche dies nicht zu tun und könne sich gerne um die anderen Spieler kümmern. Carlo war einer der wenigen Trainer in meiner Karriere, die in der Spielerkabine nicht nur geduldet waren, sondern explizit erwünscht – weil er immer so eine Wärme und Freude ausgestrahlt hat.
Hat der VfB an diesem Dienstag eine Chance gegen Ancelottis Real, den Titelverteidiger der Königsklasse?
Die Verletztenliste von Real ist lang, speziell in der Abwehr. Der VfB hat zu Saisonbeginn aber auch nicht den besten Eindruck in der Defensive gemacht, das kann natürlich sehr wehtun im Bernabéu.
Union Berlin ist in der vergangenen Saison mit Ihrem Bruder Rani in die Champions-League-Falle getappt – droht das das dem VfB auch im Ansatz?
Ich glaube, dass es generell eine herausforderndere Saison werden könnte für den VfB, weil er einige Leistungsträger abgegeben hast. Ich finde aber, dass er es mit Blick auf die Neuzugänge besser gemacht hat als Union. Da war zum Beispiel kein arrivierter, vielleicht satter Champions-League-Sieger dabei. Andererseits stellt sich beim VfB die Frage, ob der Kader mit Spielern ohne große internationale Erfahrung mit der neuen Dreifachbelastung mental und qualitativ gut genug besetzt ist. Speziell in der Balance zwischen Offensive und Defensive.
Ist er es?
Ich kann es mir nicht vorstellen, dass der VfB wie Union in der vergangenen Saison so abstürzt. Ich denke, dass der VfB eine gute Saison spielen wird.
Auch dank neuer Investoren ist der VfB im jüngsten Transfersommer in neue finanzielle Dimensionen vorgestoßen. Ist der Club finanziell so gut aufgestellt, dass er sich dauerhaft im oberen Bundesliga-Drittel etablieren kann?
Das interne Zusammenspiel funktioniert, unter anderem auch mit Porsche und dem Finanzvorstand Lutz Meschke im Aufsichtsrat des VfB. Es konnten finanziell gewichtige Transfers gestemmt werden. So etwas geht nur im Team. Wenn man sich auf der Führungsebene im Gesamten als Team sieht und Eitelkeiten außen vor lässt, ist der VfB gut aufgestellt.
Sie waren bis Sommer 2023 Berater des VfB und sind Markenbotschafter des Autobauers. Welche Rolle haben Sie beim Investorendeal gespielt?
Ich liebe den VfB und bin eng mit Porsche verbunden. Mit beiden war ich schon vor einem möglichen Einstieg im Austausch. Aus den Gesprächen erfuhr ich aber: Beide Seiten wollten zusammenkommen, fanden aber einige Zeit lang nicht zusammen. In dem Wissen habe ich in der Kommunikation im Hintergrund versucht, beide an einen Tisch zu bringen. Glücklicherweise ist es gelungen. Die eigentlichen Gespräche und Verhandlungen haben dann aber die jeweils verantwortlichen Vorstände übernommen.
Sie haben sich im Hintergrund auch um übergeordnete sportliche Dinge gekümmert und waren an der Verpflichtung von Maximilian Mittelstädt beteiligt. Warum haben Sie dann nach einem Jahr vorzeitig als Berater aufgehört?
Das hat Maxi in einem Interview gesagt. Es ist wichtig zu wissen, dass man nicht arbeitet, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen oder sein Ego zu befriedigen. Ich will etwas bewirken. So war ich als Spieler, und so werde ich immer als Mensch sein. Daher hat man über meine Arbeit auch wenig von außen mitbekommen. Der Verein brauchte meines Erachtens Ruhe und klare Kommunikationswege. Und wieder ein stabiles Fundament. Nach dem Jahr haben wir uns dann zusammengesetzt und waren beide der Überzeugung, dass der Verein nun intern gut aufgestellt ist.