Philipp Boy am Barren. Foto: dpa

DOSB-Generaldirektor Vesper kritisiert ARD und ZDF, hält aber nichts von der Jammer-Taktik.

Stuttgart - Der Sport braucht das Fernsehen. Und umgekehrt. Aber auf der Jagd nach guten Quoten bevorzugen die Sender die Show-Sportarten. "Das Internet bietet Ausweichmöglichkeiten", sagt DOSB-Generaldirektor Michael Vesper.

Guten Tag, Herr Vesper. Eine Frage zum Programm. Haben Sie ein Sky-Abo?

(Lächelt) Ich bin in der zurzeit eher unglücklichen Lage, Fan des Zweitligisten Arminia Bielefeld zu sein. Ich wohne in Köln, arbeite hier in Frankfurt. Da bleibt wenig Zeit für einen Stadionbesuch vor Ort. Deshalb schaue ich mir die Spiele auf Sky an.

Welche Medien nutzen Sie sonst noch, um sich über den Sport zu informieren?

Ich bin ein großer Freund der Zeitung. Ich mag es noch gedruckt in Schwarz auf Weiß. Und ich lese regelmäßig den Mediendienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), wo ich abends häufig schon erfahre, was am nächsten Morgen in den Zeitungen steht . . .

. . . Sie sind ein eher vorsichtiger Nutzer der neuen Medien?

Natürlich habe ich mein Smartphone und den Laptop, womit ich meine E-Mails lesen und bearbeiten kann. Ich bin damit auch im Internet . . .

. . . aber?

Das geschieht alles in Maßen. Und ich gebe zu, gelegentlich geht mir das alles zu schnell. Das beschleunigt uns auf eine Weise, die manchmal auf Kosten der Substanz geht. Gründlichkeit und die Zuverlässigkeit der Informationen bleiben nach meiner Erfahrung zu oft auf der Strecke.

Welche Sportsendungen sehen Sie denn am liebsten?

Für mich ist die ARD-"Sportschau" nach wie vor das Maß der Dinge. Natürlich schaue ich auch das "Aktuelle Sportstudio" im ZDF. Allerdings habe ich häufig Abendtermine.

Muss die "Sportschau" nicht besser Fußball-Schau heißen?

Sie ist zunehmend dazu geworden. Aber ich denke, dass die ARD damit auch auf die Wünsche der Zuschauer reagiert.

Dann ist also alles in Ordnung?

Nein, so einfach darf es sich das Fernsehen nicht machen. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender haben auch eine Bildungsaufgabe und können mit ihrer Breitenwirkung neue Trends setzen. ARD und ZDF müssen sich stärker öffnen - hin zu einer größeren Vielfalt.

"Es bedarf einer gewissen Prominenz, um das Fernsehen anzulocken"

  Ins Fernsehen kommen doch nur noch die Zirkusnummern.

Sie meinen die Zugnummern?

Als neulich Fabian Hambüchen seine Teilnahme an der Champions Trophy in Stuttgart absagte, war der Turn-Wettkampf der ARD statt der geplanten 45 Minuten nur noch einen Kurzbeitrag wert . . .

. . . mit gravierenden Folgen für den Deutschen Turner-Bund. Sie können aus diesem Beispiel aber auch was lernen.

Dass nur noch Fußball und Formel 1 zählen?

Nein, aber es bedarf einer gewissen Prominenz, um das Fernsehen anzulocken.

Philipp Boy war kurz zuvor bei der Turn-WM Vizeweltmeister geworden.

Das hat eben noch nicht gereicht. Er ist ja jung und bekommt noch seine Chancen.

Das wird die Turner wenig trösten.

Das mag sein, aber Jammern allein hilft nun mal nicht. Der Sport hat auch eine Bringschuld. Wir müssen uns auch anstrengen, attraktiver für das Fernsehen zu werden. Das Paradebeispiel ist der Biathlon. Der ist zum Medienereignis geworden.

Das erklären Sie mal dem Präsidenten der deutschen Bogenschützen.

Ich gebe zu: Gewisse Sportarten haben es schwerer.

"Ein Patentrezept gibt es nicht"

  Sie selbst kommen aus dem Tischtennis.

Einer Sportart, die fürs Fernsehen toll geeignet ist und viel dafür getan hat, um sich besser darzustellen. Klares Regelwerk, kürzere Sätze, größere Bälle. Und es gibt Stars wie Timo Boll.

Trotzdem hält sich das Interesse daran in engen Grenzen.

Leider, aber das Fernsehen kann das Interesse an solchen Sportarten wecken, wenn es gut und spannend darüber berichtet.

Der Wintersport hat sich an den Wochenenden von Dezember bis März ideal platziert.

Ja, und der Sommersport sollte daraus lernen. Die olympischen Sommersportarten müssen daran arbeiten, sich während der langen Sommerpause geballt und konzentriert mit einigen hervorragenden Veranstaltungen zu präsentieren. Das würde allerdings bedeuten, dass der internationale Wettkampfkalender so koordiniert wird, dass an einem Wochenende drei, vier spannende Ereignisse zusammenkommen - und das ist schwer.

Es wird immer mal wieder laut über einen eigenen Sportkanal nachgedacht.

Das wäre toll, aber der Sport allein kann das nicht finanzieren, das würde uns überfordern. Ein Phoenix Sport wäre ideal, aber diese Bitte ist bei den Ministerpräsidenten bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen.

Gibt es einen Ausweg?

Ein Patentrezept gibt es nicht. Aber wir müssen uns stärker des Internets bedienen. Günstig produzierte Bilder ins Netz zu stellen, die dann einen Schneeballeffekt bewirken, wäre eine Möglichkeit. Es gibt überdies eine ganze Reihe kleinerer privater Sender, die an solchen Sparten-Programmen durchaus interessiert sind.

Das Fernsehen vermittelt eine sehr eindimensionale Sicht der Dinge. Droht unsere Sportkultur zu verkümmern?

Nein. Faktisch bietet der Sport in unseren Vereinen ja ein viel reichhaltigeres Bild. Wir sind mit 27,5 Millionen Mitgliedern die einzige zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland, die immer noch wächst . . .

. . . und die der Politik als Reparaturwerkstatt für gesellschaftliche Defizite dient.

Ich würde lieber den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zitieren, der über den Sport vom Kitt sprach, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Unsere Ehrenamtlichen leisten jedes Jahr einen Beitrag mit einem Gegenwert von fast sieben Milliarden Euro. Wir arbeiten eng mit fast allen Bundesministerien zusammen, wir sitzen beim Integrationsgipfel mit am Tisch und sind bei nahezu allen wichtigen Zusammenkünften der Zivilgesellschaft mit dabei.

Wird er mit all diesen Aufgaben bisweilen nicht auch überfordert?

Die Ehrenamtlichen sind mit großer Begeisterung dabei. Man darf es ihnen nur nicht unnötig schwermachen. Wir sind in dieser Hinsicht aber auf einem guten Weg. Etwa mit dem Gesetz Hilfen für Helfer oder mit der Haftungsbegrenzung für ehrenamtliche Vorstände, die der Bundestag in der letzten Legislaturperiode beschlossen hat.

Kritiker werfen dem Deutschen Olympischen Sportbund immer wieder vor, den Hochleistungssport gegenüber dem Breitensport deutlich zu bevorzugen.

Unser Credo lautet: Breiten- und Spitzensport bedingen einander. Wenn wir keinen Spitzensport hätten, bekäme der Breitensport noch weniger Aufmerksamkeit als jetzt. Umgekehrt gilt: Ohne das solide Fundament aus dem Breitensport gäbe es den Hochleistungssport nicht. Das gehört zusammen. Die Olympischen Spiele 1972 brachten dem Breitensport einen enormen Schub. Und sollten wir die Winterspiele 2018 bekommen, wird es wieder so sein.