Berlin - Bereits nach zwei Tagen Fasten bessern sich bei Rheumakranken die Beschwerden. Doch auch für Gesunde kann sich der Verzicht auf feste Nahrung lohnen, sagt der Facharzt Andreas Michalsen.

Herr Michalsen, neuen Studien zufolge scheint das Heilfasten neurodegenerativen Krankheiten und Demenz vorzubeugen. Wie wirkt sich Fasten auf den Körper aus?
Es gibt derzeit eine beeindruckende Welle an Fasten-Forschung. Man muss aber unterscheiden zwischen den verschiedenen Fasten-Formen. Die meisten Menschen wenden das Heilfasten-Fasten nach Otto Buchinger an (1868 bis 1966, Anm. d. Red.). In neueren Tierversuchen dagegen hat man oft das intermittierende Fasten untersucht. Und das kann man nicht unbedingt vergleichen: Man weiß zum Beispiel nicht genau, ob eine zwölfstündige Fastenperiode für eine Maus dasselbe bedeutet wie für einen Menschen. Grundsätzlich deutet die Forschung insgesamt aber schon darauf hin, dass das Fasten für chronische, chronisch-entzündliche sowie chronisch-degenerative Erkrankungen vorbeugend oder – wenn man erkrankt ist – auch ein Stück weit gesund machend ist.
Welche Fasten-Form setzen Sie ein?
In der Klinik nutzen wir schon lange das Saft-Fasten nach Buchinger. Pro Jahr lassen wir ungefähr tausend von unseren stationären Patienten eine Woche lang daran teilnehmen. Die Patienten leiden vor allem an rheumatischen Entzündungen, Diabetes oder Bluthochdruck. Im Bereich der Forschung versuchen wir das Fasten aber auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie multipler Sklerose einzusetzen. Man kann die Leute nicht ausschließlich damit heilen, aber sie haben einen ergänzenden großen Nutzen davon. Zudem kommt bei uns das kurzzeitige Fasten während der Chemotherapie bei Krebserkrankungen zum Einsatz.
Welche Effekte sehen Sie?
Beim Rheuma kann man fast schon die Uhr danach stellen: Am zweiten, dritten Fastentag nehmen die Schwellungen ab, die Schmerzen reduzieren sich etwa um die Hälfte – das spüren die Patienten relativ schnell, sie brauchen dann weniger schmerzstillende Mittel. Bei Bluthochdruckpatienten und Menschen mit einer Blutzuckererkrankung sieht man meist ebenfalls einen schnellen Effekt.
Was hat es mit diesen mysteriösen Schlacken auf sich, von denen man immer wieder hört?
Entgegen der landläufigen Meinung sieht man die Schlacken nicht mit dem Auge. Beim Fasten wird nichts Erkennbares ausgeschieden. Wenn man nichts zu sich nimmt, wird jedoch spätestens nach 24 Stunden die Autophagie eingeschaltet – der Zellreparatur-Mechanismus, für dessen Aufklärung der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten hat. Das heißt: Falsch geschaltete Proteine und geschädigte Zellanteile werden in Fragmente abgebaut und als neue, gesunde Teile wieder aufgebaut. Der Körper räumt auf.
Wie sieht es mit der Psyche aus – was macht das Fasten mit dem Geist?
Das ist bei jedem anders. Ich zum Beispiel bin eher schlank und muss sagen: Ich finde das Fasten nicht so lustig. Wenn man etwas mehr wiegt, steigt die Stimmung in der Regel meist am zweiten, dritten Tag. Auch in der Forschung gilt Fasten als stimmungsaufhellend: Tierversuche haben ergeben, dass das Gehirn nach einigen Tagen das Glückshormon Serotonin vermehrt ausschüttet.
Weshalb fallen die ersten Fastentage schwer?
Der Körper braucht Zeit, um sich umzustellen. Normalerweise kommt die Energie von oben. Beim Fasten muss der Körper sie aus den eigenen Fettspeichern holen. Es dauert einfach, bis sich der Stoffwechsel, bis sich die Hormone umgestellt haben.

Ist Heilfasten ein gutes Mittel, um abzunehmen? Kann Fasten gefährlich sein?

Sollten auch Gesunde heilfasten?
Durchaus. Ein-, zweimal im Jahr fünf bis sieben Tage lang zu fasten ist eine gesunde Maßnahme – das macht auch etwas im Kopf: In unserer Klinik nutzen wir das Fasten vor allem, um die Leute langfristig zu einer gesünderen Ernährung zu bewegen. Denn nach dem Fasten schmeckt das Essen wieder anders, man ist ein bisschen sensibler gegenüber Junkfood, Zucker und Fleisch.
Halten Sie das Heilfasten auch für ein gutes Mittel, um abzunehmen?
Nein. Das Abnehmen ist allenfalls eine positive Nebenwirkung des Fastens. Aber darum geht es beim Fasten nicht: Es ist eine Therapie oder eine Krankheitsvorbeugung. Menschen, die sich mit dem Abnehmen schwertun, empfehle ich eher eine vegetarische Ernährung. Wer eine Woche lang fastet und sich danach wieder den Schweinebraten mit Knödeln gönnt, wird nicht abnehmen.
Gibt es Menschen, die nicht fasten sollten?
Leute, die Untergewicht oder eine psychisch bedingte Essstörung wie Magersucht haben, würden wir eher dazu ermutigen, regelmäßig etwas Gutes zu essen, als zu fasten. Darüber hinaus gibt es ein paar Erkrankungen, bei denen man aufpassen sollte. Bei Gicht zum Beispiel: Mit dem Fasten könnte man möglicherweise einen Gichtanfall auslösen. Bei einer Schilddrüsenüberfunktion sollte man ebenfalls aufpassen – mit dieser Erkrankung sollte man lieber nicht fasten.
Gibt es beim Fasten eine Altersgrenze?
Eine Altersgrenze sehe ich nicht. Der älteste mir bekannte Fastende war 99 Jahre alt. Kinder sollten natürlich nicht fasten.
Kann es zu Nebenwirkungen kommen?
Menschen, die regelmäßig und viel Kaffee trinken, bekommen in den ersten Tagen oft ordentliche Kopfschmerzen – den Kaffeeentzugsschmerz. Außerdem kommt es oft zu einem Fasten-Krisentag. Am zweiten, dritten Tag fühlt man sich meist nicht so gut. Das typische Hochgefühl stellt sich in der Regel erst am vierten, fünften Tag ein. So lange braucht der Körper, um sich auf den veränderten Stoffwechsel einzustellen. Aber: Je öfter man fastet, desto schneller geht das.
Kann Fasten gefährlich sein?
Sagen wir es so: Menschen, die Medikamente einnehmen oder krank sind, sollten nicht ohne Anleitung fasten. Sie gehören in eine Klinik oder in die Hände eines erfahrenen Arztes, der sie täglich begleitet. Denn die Wirkung von Medikamenten kann sich durch das Fasten verändern. Ansonsten ist es wenig aufregend: Fasten kennt unser Körper seit der Steinzeit. Dass man dauernd und regelmäßig etwas isst, war noch bis vor ein paar Hundert Jahren eher ungewöhnlich.

So gelingt das Fasten

Untersuchen Wer gesund ist und keine Medikamente einnimmt, braucht vor einem kurzen Heilfasten in der Regel keine Rücksprache mit seinem Hausarzt zu halten, sagt der Facharzt Andreas Michalsen.
Abführen Zu Beginn der Fastentage nehmen viele Fastende ein Abführmittel ein, um den Darm zu entleeren. Das muss nicht zwingend sein, meint Michalsen. Aber: „Die meisten, die abführen, fühlen sich anschließend ein bisschen wohler, da sie weniger Hunger haben und sich erleichtert fühlen.“
Arbeiten Ob man während der Fastentage zur Arbeit geht oder lieber zuhause bleibt, muss jeder individuell entscheiden. Auf jeden Fall aber sollte man sich bewegen, sagt Michalsen: „Durch den Fettabbau entsteht Säure im Körper, daher sollte man spazieren gehen oder leichten Sport zu treiben.“ Nur auf der Couch zu liegen sei eher kontraproduktiv.
Trainieren Leistungssportler sollten ein bisschen kürzer treten, rät Michalsen. Alle anderen können ihr normales Training weiterführen. Während der Fastenwoche werde zwar ein wenig Eiweiß abgebaut, das habe aber keine Bedeutung: „Solange man Kalorien zu sich nimmt – und da reichen wirklich ganz wenige, wie es beim Saft-Fasten der Fall ist – baut man eigentlich nicht in nennenswerter Weise Muskeln ab.“
Einsteigen Zum Einstieg lohnt es sich unter Umständen, ein Buch über das Heilfasten zu kaufen oder unter Anleitung zu fasten: „In der Gruppe fällt das Durchhalten leichter, zudem erfährt man vom Fastenleiter viel Wissenswertes zum Thema.“