Auch in Boomzeiten: Auf dem Bau wird immer wieder gegen Gesetze und Tarifregelungen verstoßen. Foto: dpa/dpaweb/Boris Roessler

Der Zoll wird bei den Baufirmen in Baden-Württemberg fündig – zahlreiche Verstöße gegen die Mindestlohnbestimmungen werden geahndet. Das erhöht die Brisanz der Tarifverhandlungen um die Branchenmindestlöhne.

Stuttgart - Das Baugewerbe boomt trotz der Pandemie. Nicht alle Baubeschäftigten im Südwesten erhalten aber offenbar den ihnen zustehenden Lohn. So zumindest interpretiert die Industriegewerkschaft (IG) Bau neue Angaben des Bundesfinanzministeriums, die unserer Zeitung vorliegen.

 

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Bauwirtschaft ruft nach Zuwanderung

Demnach hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls 2021 Bußgelder in Höhe von 705 000 Euro gegen Baufirmen im Südwesten verhängt. Die Gründe: Mindestlöhne wurden unterschritten, zu spät oder gar nicht gezahlt. Damit entfielen fast 40 Prozent aller Bußgelder auf den Bau. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Bernhard Daldrup (SPD) hervor. Danach bekamen Baden-Württembergs Baubetriebe im vorigen Jahr 1698-mal Besuch vom Zoll. Wegen Mindestlohnverstößen wurden 82 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

„Entscheidendes Mittel gegen Lohn-Dumping auf dem Bau“

Brisant sind diese Zahlen auch angesichts der aktuellen Tarifverhandlungen, denn dort wird um die vom Zoll kontrollierten Branchenmindestlöhne gerungen. Bis Ende 2021 galt im Bauhauptgewerbe ein Limit von 15,70 Euro pro Stunde für Facharbeiter und von 12,85 Euro für Hilfsjobs. In den bisherigen zwei Verhandlungsrunden hätten sich die Arbeitgeber geweigert, die Lohnuntergrenzen neu aufzustellen, rügt die IG Bau. Die Folge: Beschäftigte, die nicht nach Tarif bezahlt werden, hätten aktuell nur Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von 9,82 Euro. Insofern hat auch der für den 1. Oktober geplante Zwölf-Euro-Mindestlohn einen kontraproduktiven Effekt am Bau.

„Die Branchenmindestlöhne sind ein entscheidendes Mittel, um Lohn-Dumping auf dem Bau zu verhindern und einem ruinösen Konkurrenzkampf der Unternehmen um die billigsten Aufträge einen Riegel vorzuschieben“, betont IG Bau-Vorstandsmitglied Carsten Burckhardt. „Ihr Wegfall hätte für die gesamte Branche dramatische Folgen.“ Ohne die Mindestlöhne werde der Bau für Arbeitnehmer deutlich unattraktiver. Zugleich gerate das gesamte Tarifsystem unter Druck. Aktuell liegt der Tariflohn für einen gelernten Maurer im Westen bei 21,48 Euro.

Die Arbeitgeber sehen zwölf Euro Mindestlohn kritisch

„Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg steht nach wie vor zu Branchenmindestlöhnen“, sagte deren stellvertretender Hauptgeschäftsführer Holger Braun unserer Zeitung. „Wir sind fest davon überzeugt, dass die Tarifvertragsparteien der jeweiligen Branchen am besten beurteilen können, zu welchem Zweck sie welchen Mindestlohn benötigen.“ Allerdings dringe der gesetzliche Mindestlohn mit künftig zwölf Euro in Regionen vor, „die geeignet sind, die Branchenmindestlöhne zu verdrängen“. Da stelle sich dann zwangsläufig die Frage, ob diese noch sinnvoll seien. Der Verband sieht in der Erhöhung auf zwölf Euro – die an diesem Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden soll – einen deutlichen Eingriff der Politik in die Tarifautonomie.

Ziel der Bauwirtschaft ist ein einheitlicher Mindestlohn

Bei den Tarifverhandlungen wiederum, so Braun, verfolgten die Arbeitgeber seit mehreren Jahren das Ziel, die „Organisation von Legalität“ auf den Baustellen effektiver zu gestalten. „Die Kontrolle von Nachunternehmern, zu denen unsere Betriebe ja verpflichtet sind, gestaltet sich bei zwei Mindestlöhnen mit fast drei Euro Unterschied als sehr schwierig.“ Das sähe auch der Zoll so.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Bauen in Deutschland wird wohl noch teurer

Zudem gebe es zwei Mindestlöhne nur noch im Westen und in Berlin – im Tarifgebiet Ost gebe es nur eine Untergrenze. „Die Arbeitgeber wollen deshalb künftig in Ost und West nur noch einen gleich hohen Mindestlohn“, betont Braun. „Dazu liegen klare Angebote auf dem Tisch.“ Da die Gewerkschaft jedoch diametral entgegengesetzte Vorstellungen habe, gebe es bisher keine Einigung. Braun gibt den wahrscheinlichen Weg zu einem Kompromiss bereits vor: „Sollte man am kommenden Montag wieder keine Lösung finden, würde es aus unserer Sicht durchaus Sinn machen, hier den Schlichter um Hilfe zu bitten.“