Nie hat der Assekuranzriese aus München operativ mehr verdient. Aber trotz Prämienerhöhungen stagniert der Konzernumsatz.
Oliver Bäte demonstriert Zufriedenheit. „Es war ein wirklich starkes Jahr 2022 für uns in einem furchtbaren Umfeld“, findet der Chef des Münchner Versicherungskonzerns Allianz. Operativ habe man nach einem Plus von fast sechs Prozent mit knapp 14,2 Milliarden Euro in zwölf Monaten noch nie so viel verdient. Gemessen an den Verwerfungen, die hohe Inflation und die Energiekrise mit sich bringen sowie mutmaßlich letzten Nachwehen des US-Fondsskandals der Allianz ist das fraglos bemerkenswert. Die Erwartungen von Analysten wurden um eine halbe Gewinn-Milliarde übertroffen. Die Konzernumsätze markieren mit rund 153 Milliarden Euro auch einen neuen Rekordwert. Hier sollte man aber etwas tiefer in die Bilanz blicken.
„Gesunde Preisgestaltung“
Denn bereinigt um Konsolidierungs- und Währungseffekte haben die Umsätze leicht abgenommen und das, obwohl bei Schaden- und Unfallpolicen die Prämien global um im Schnitt fast sechs Prozent erhöht wurden. „Gesunde Preisgestaltung“, nennt Allianz-Finanzchef Giulio Terzariol dieses Vorgehen, das betroffene Verbraucher anders empfinden dürften. Für die Allianz macht es den Bereich zur klar tragenden Säule des Konzerns. Er steuert im Alleingang mit einem Plus von gut acht Prozent auf 6,2 Milliarden Euro einen Gutteil aller Gewinne bei. Auch die Lebens- und Krankenversicherung konnte ihren operativen Profit mit 5,3 Milliarden Euro um gut fünf Prozent steigern, obwohl hier die Umsätze bröckeln. Speziell in Deutschland war das Geschäft mit Einmalprämien rückläufig, das in Vorjahren ein verlässlicher Wachstumsmotor war. Nicht berauschend steht zudem die Vermögensverwaltung als drittes Standbein des Gesamtkonzerns da.
Hier musste die Allianz noch Nachwehen eines US-Fondsdebakels verdauen, das vor allem 2021 mehrere Milliarden Euro an Strafen und Kompensationszahlungen für betrogene Investoren verschlungen hatte. Zudem haben sich die Finanzmarktturbulenzen vor allem in dieser Sparte abgespielt. Unter dem Strich ging das für Dritte von Allianz verwaltete Vermögen binnen Jahresfrist um 331 Milliarden Euro auf die immer noch schwer vorstellbare Summe von gut 1,6 Billionen Euro zurück. Der operative Spartengewinn sank um gut acht Prozent auf 3,2 Milliarden Euro. Bäte nannte 2022 deshalb für die Vermögensverwaltung ein Horrorjahr.
Rückzug aus Russland kostet Millionen
Weil auch der Rückzug aus Russland die Münchner 2022 mit rund 400 Millionen Euro belastet hatte, blieb unter dem Strich beim Jahresüberschuss nur noch ein geringes Plus von zwei Prozent auf 6,7 Milliarden Euro. „Aber Marge ist nicht alles“, behauptet Bäte. Was ihn ähnlich begeistert sind im Vorjahr auf neue Rekordhöhen gestiegene Werte für Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit. Die werden von unabhängiger Seite gemessen und sind seit 2016 stetig auf dem Weg nach oben. Die Mitarbeiterzufriedenheit ist sogar branchenführend. Das kann auch damit zu tun haben, dass Allianz nur noch für einen Tag pro Woche zwingend Büropräsenz vorschreibt. „Wir haben uns entschieden, hier voranzugehen“, betont Bäte. Voraussetzung sei, dass Kundenzufriedenheit und Produktivität nicht leiden. „So kann man Büro- in Wohnraum umwandeln, der nicht nur in Deutschland fehlt“, wirbt der Manager an die Adresse potenzieller Nachahmer. Nicht wiederholen wollte er eine frühere Aussage, wonach Allianz 30 Prozent ihrer Büroflächen nicht mehr braucht.
Für den Konzern bringen weniger Büros indessen sinkende Kosten mit sich. Auf diesem Kostensenkungspfad werde sein Konzern weiter voranschreiten und zwar ohne Stellen abzubauen, sagt Bäte. Global arbeiten 159 000 Menschen für die Münchner. Für die Aktionäre bleibt gleichzeitig mehr Geld. Die Dividende für das Vorjahr wird um 60 Cent auf 11,40 Euro je Aktie erhöht. Weil die Dividendenpolitik von jährlich mindestens fünf Prozent mehr auch für turbulente Zeiten gilt, seien auch für 2023 mindestens zwölf Euro Ausschüttung sicher, rechnet Bäte vor.
Aktie verliert rund drei Prozent
Geschäftlich sagt er den für das laufende Jahr minimal bei 14,2 Milliarden Euro stagnierenden operativen Gewinn voraus. Es könnten auch eine Milliarde Euro mehr oder weniger werden. „Das ist ein konservativer Ausblick“, betonten Bäte und Terzariol unisono. Wie in den vergangenen Jahren dürfte der Gewinn damit am Ende eher im oberen Bereich der Prognosespanne liegen.
Auch das Erdbeben in der Türkei und Syrien dürfte in der Allianz-Bilanz finanziell kaum Spuren hinterlassen. Terzariol rechnet mit einer Belastung zwischen 50 und 100 Millionen Euro. Trotz aller positiven Aussagen des Managements applaudiert die Börse nicht. Im Dax verlor die Allianz-Aktie nach Bekanntgabe der Bilanz 2022 und Prognose für 2023 in einem allgemein unter Druck stehenden Markt mit rund drei Prozent so viel wie kaum ein anderer Dax-Wert.