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Die vom Team bestrittene Stallorder hat weltweit Empörung und eine heftige Debatte ausgelöst.

Hockenheim - Ferrari hat mit seiner dubiosen Vorfahrt für Fernando Alonso die Formel 1 entzweit. Die bestrafte, vom Team aber entschieden bestrittene Stallorder hat weltweit Empörung und eine heftige Debatte über den Sinn dieses Verbotes ausgelöst.

"Die Formel 1 ist ein verlogenes Geschäft - und das Rennen gestern in Hockenheim war ein Paradebeispiel dafür", grantelte der österreichische "Kurier". "Es roch nicht nach Stallorder, es stank nach einem abgekarteten Spiel."

Motorsport-Weltrat soll noch diese Woche entscheiden

Ob der Überhol-Skandal beim Großen Preis von Deutschland für Ferrari sowie die beiden Verkehrssünder Alonso und Felipe Massa weitreichende Konsequenzen hat, wird sich erst vor dem Motorsport-Weltrat des Internationalen Automobil-Verbandes Fia herausstellen. Allerdings steht noch kein Verhandlungstermin für den Fall Ferrari fest. "Die entsprechenden Gremien beraten darüber", sagte eine Fia-Sprecherin.

Möglicherweise wird noch in dieser Woche vor dem Großen Preis von Ungarn entschieden, wann sich die Scuderia verantworten muss. Die Rennkommissare hatten in Hockenheim eine relativ milde Strafe von 100.000 Dollar verhängt. Angesichts der Urteilsgepflogenheiten des World Council in vergleichbaren Fällen ist davon auszugehen, dass Ferrari wesentlich stärker büßen muss. Dies könnte eine erkleckliche Aufstockung des Betrags sein, aber auch Punktabzug ist denkbar. Im Extremfall kann die Fia Regelverstöße sogar mit WM-Ausschluss ahnden.

Bestrafung  nach dem "Gummi-Paragrafen"

McLaren-Mercedes drohte beim sogenannten Spionage-Skandal 2007 ein Rauswurf. Mit der Rekordbuße von 100 Millionen Dollar und dem kompletten Punktabzug für das Team stießen die Verbands-Richter in völlig neue Straf-Dimensionen vor. Derart drastische Konsequenzen drohen den "Roten" wohl nicht, auch wenn der Weltrat in seiner Entscheidung völlig frei ist. "Es gibt keinen festgelegten Strafenkatalog", sagte die Fia-Sprecherin.

Die vier Rennkommissare von Hockenheim bezichtigten Ferrari eines Verstoßes gegen Paragraf 39.1 des Sportreglements und gegen Artikel 151c des Internationalen Sport-Kodex' der Fia. Danach ist Teamorder verboten. Auf Basis des als "Gummi-Paragraf" gefürchteten Artikels 151c kann alles geahndet werden, was dem Ansehen des Motorsports schadet.

"Das ist doch nichts Neues von Ferrari", sagte McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. Massa hatte Alonso vorbeigelassen. Das Team bestritt, dass es sich dabei um eine Stallorder gehandelt habe. Die ist seit 2002 verboten. Auslöser damals: Ferrari. Michael Schumacher profitierte beim Großen Preis von Österreich in Spielberg zweimal von der Anweisung des damaligen Teamchefs Jean Todt, der inzwischen Fia-Präsident ist, an Rubens Barrichello, den Titelkandidaten passieren zu lassen. Legendär ist dabei Todts Befehl via Boxenfunk 2001: "Let Michael pass for the Championship!"

Abbremsen in der ominösen 49. Runde

Eine derart klare Anordnung gab es aufgrund des Stallorderverbotes nicht. Aber der Hinweis von Renningenieur Rob Smedley an seinen führenden Schützling Massa, Alonso sei schneller, war eindeutig genug. Demonstrativer als mit dem abrupten Abbremsen in der ominösen 49. Runde konnte der sich zurecht um den Sieg betrogen fühlende Brasilianer seinen Widerwillen und Widerstand nicht zeigen.

Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali beteuerte: "Wir haben nichts gemacht. Wir haben Felipe keine Anweisung gegeben. Wir haben ihn nur über die Situation informiert." Aber jeder Formel-1-Interessierte weiß, dass dies nur die dem Verbot geschuldete Variante der Stallorder ist. Massa rang sich zwar auch ein "das war meine Entscheidung" ab, aber seine versteinerte Miene sprach Bände.

"Der Triumph ist eindeutig, doch eindeutig ist auch der Befehl vonseiten des Rennstalls zum (un-)passenden Überholmanöver des Löwen Alonso gegen das Lamm Massa", räumte selbst die italienische Zeitung "La Repubblica" ein. "Libération" aus Frankreich urteilte: "Wenn die Scuderia nicht von politischen Intrigen ins Wanken gebracht wird, schießt sie sich selbst eine Kugel ins Knie. Der zweite Doppelsieg der Saison ist von der kaum verschleierten illegalen Stallorder getrübt worden." Die spanische "El Mundo" schrieb: "Fernando Alonso zieht das Unheil an wie ein Magnet."

Verständnis unter vielen Fahrern

Erstaunlich: Viele Top-Piloten zeigten Verständnis für die erzwungene Vorfahrt. Sebastian Vettel würde sich so ein Verhalten seines Red-Bull-Stalls wohl auch wünschen. Die knallhart ausgetragene Zweikampf mit Mark Webber hat den WM-Kandidaten schon viele Punkte gekostet. Vettel bremste sich vor einem offenen Votum für Teamorder ein: "Ich will die Diskussion nicht weiter anheizen."

Schumacher versucht erst gar nicht, als Moralapostel aufzutreten. "Ich kann es zu 100 Prozent nachvollziehen. Ich hatte in der Vergangenheit meine Mühe, Verständnis dafür aufzubringen, dass man sich von außen darüber pikiert hat", sagte der Rekordchampion dem TV- Sender Sky. Schließlich profitierte er so viel wie kein anderer Fahrer von einer Bevorzugung. Weltmeister Jenson Button spottete: "Ich habe das Überholmanöver nicht gesehen, aber es muss toll gewesen sein."

Letztendlich muss sich die Fia entscheiden, ob sie in der Milliarden schweren Königsklasse weiterhin für Moral und Fairness eintritt, die angesichts der wirtschaftlichen Interessen von der Realität längst außer Kraft gesetzt sind. Nur mit einem eindeutigen Strafenkatalog könnte der Dachverband hier klare Zeichen setzen.