Nach Ansicht Hermanns könnte die Autoindustrie zuweilen selbstkritischer sein. Foto: dpa

Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann warnt die Autobranche davor, von Klimazielen abzurücken. Er teilt aber die Forderung nach einer klaren EU-Industriepolitik.

Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wirbt vor der Internationalen Autoausstellung (IAA) in München für mehr „Zukunftsmut“ bei den Autoherstellern. Um auf Dauer bestehen zu können, dürfe der Klimaschutz nicht zurückgedreht werden. „Mit einer Rolle rückwärts hat noch niemand einen Sprung nach vorne geschafft“, sagt er.

 

Herr Hermann, von Ihrem Besuch der IAA vor zwei Jahren kamen Sie begeistert zurück. Mit welchem Gefühl gehen Sie dieses Jahr hin?

Damals war eine große Aufbruchstimmung in puncto Klimaschutz zu spüren. Die Hersteller sagten: Wir tun alles, um klimafreundliche Autos zu bauen. Heute ist die globale wirtschaftliche Lage viel schwieriger. Der Brief, den die europäischen Industrieverbände gerade an die EU-Kommission geschrieben haben, klingt nicht gerade nach großer Zuversicht.

Darin wird die EU aufgefordert, Klimaschutzvorgaben zu ändern und das Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 zu kippen. Sehen Sie die Autoindustrie beim Klimaschutz jetzt noch als Partner?

Auf jeden Fall. Ohne die Autoindustrie als Partner wird es keinen Erfolg beim Klimaschutz geben. Ich habe den Brief sehr genau gelesen. Ich finde, ein wenig Selbstkritik hätte zwar nicht geschadet. Aber trotzdem stehen einige Punkte drin, die ich teile.

Welche sind das?

Der wichtigste ist, dass die Industrie völlig zurecht nach einer europäischen Strategie für die Automobilindustrie ruft. Die EU muss dazu in einen langfristigen Dialog mit der Industrie treten, wie wir es in Baden-Württemberg schon seit Jahren machen. Und die EU muss endlich begreifen, dass es nicht mehr allein darum geht, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu steuern, sondern in einem globalen Wettbewerb als Industrie mit relevanten Arbeitsplätzen zu bestehen. Die Herausforderungen in Sachen Chipproduktion, Batterieproduktion, Rohstoffbeschaffung, Software und KI sind so groß, man muss sich den Blöcken China und USA mit vielen Milliarden an Investitionen entgegenstemmen. Das kann kein Hersteller, nicht einmal ein europäisches Land alleine schaffen.

Als Präsident des europäischen Herstellerverbandes fordert Mercedes-Chef Ola Källenius Korrekturen beim Klimaschutz. Foto: Imago/Sven Simon

Chinas staatlich gelenkte Industriepolitik folgt langfristigen Strategien. So hat sich das Land fast ein Monopol auf Batterierohstoffe und deren Verarbeitung gesichert. Ist die EU als marktwirtschaftlich verfasstes Konstrukt überhaupt in der Lage, ähnlich konsequent strategische Ziele zu verfolgen?

Sie muss es auf jeden Fall lernen und machen. Und es gibt Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen es geklappt hat. Die vor 55 Jahren gestartete europäische Kooperation für das Airbus-Projekt hat die Kräfteverhältnisse in der Luftfahrtindustrie zugunsten von Europa gedreht.

Hermann: Es fehlt an einfachen, günstigen Elektroautos

Die Autohersteller sagen: Wir haben Hunderte von Elektromodellen auf den Markt gebracht, jetzt muss die Politik für deren Akzeptanz sorgen, etwa durch Kauf- und Steueranreize und bessere Ladenetze, aber nicht durch strikte CO2-Vorgaben.

Na ja, das ist die eine Seite. Die deutschen E-Autos sind leider immer noch ziemlich teuer, es fehlt an einfachen, günstigen Modellen. Außerdem würde ich mir wünschen, dass auch die Autoindustrie selbst so langfristig denkt, wie sie es von der Politik fordert. Stattdessen gibt es viel Hin und Her. Mal hat man riesige Elektro-Ambitionen, dann werden sie wieder kassiert. Mal wird Verlässlichkeit bei den Vorgaben gefordert, dann wieder die sogenannte „Technologieoffenheit“, also ein Rückschritt Richtung Verbrenner. Mal werden Brennstoffzellen propagiert, dann Diesel, dann Hybride, dann E-Fuels … Klar, es wurde viel in Elektromobilität investiert, aber gleichzeitig hat man darauf geachtet, möglichst viele große, schwere Autos mit Verbrennungsmotor zu verkaufen. Entsprechend halbherzig fiel die Werbung aus. Die Folge: verunsicherte Kunden. Ich bin gespannt auf die IAA.

Die Klimaziele können nicht mehr erreicht werden, sagt die Industrie. Wer trotzdem daran festhalte, gefährde die ganze Industrie und viele Arbeitsplätze.

Es ist richtig, dass sich die Bedingungen in den vergangenen zwei Jahren verschärft haben. Es werden weltweit nicht, wie geplant, 100 Millionen Autos im Jahr verkauft, sondern nur noch 80, es gibt Überkapazitäten in der Produktion. Der so wichtige chinesische Markt schwächelt. Hinzu kommt, dass die US-Zollpolitik ein Exportland wie Baden-Württemberg schwer beschädigt. Und das mitten in einer technologischen Transformation. Aber auch die Klimakrise hat sich verschärft. Das heißt: Wir müssen Arbeitsplätze mit Zukunftsmut sichern, das ist existenziell wichtig für die Beschäftigten und trägt dazu bei, dass unsere Demokratie stabil bleibt. Wir müssen aber auch unseren Planeten als Lebensraum erhalten.

Und wie geht das zusammen?

Das geht nur, wenn man bei den beiden zentralen Zukunftsfeldern jetzt auf Kurs bleibt. Wir müssen bei der Elektrifizierung, sprich der Batterie, eigenständiger werden und das software-definierte Auto agil weiterentwickeln. Die CO2-Vorgaben der EU waren der größte Innovationsbooster der vergangenen Jahre. Es wäre völlig falsch, zu glauben, dass man die großen Probleme löse, indem man das jetzt einfach zurückdreht. Mit einer Rolle rückwärts hat noch niemand einen Sprung nach vorne geschafft. Es braucht ein sinnvolles Maßnahmenpaket und den richtigen regulatorischen Rahmen durch kluge Politik.

Aber das kostet Geld, schmälert den Gewinn, das führt zu Sparprogrammen und Jobabbau…

Man muss in der Krise in Zukunftstechnologie investieren, um nach der Krise besser aufgestellt zu sein. In Artikel 14, Absatz 2, des Grundgesetzes steht, dass Eigentum auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf zweistellige Renditen. Man kann Arbeitsplätze auch erhalten, wenn man einmal darunter liegt. Ich verstehe die Unruhe in der Branche, aber man kann sich in der Krise auch mal mit fünf Prozent Rendite zufrieden geben, wenn man es dafür schafft, in solchen Phasen weiter in Zukunftstechnologie zu investieren und dadurch auf Dauer wieder profitabler zu werden. So kann man Arbeit, Wohlstand und einen starken Industriestandort sichern.

Minister und Event

Amtsjahre
Winfried Hermann von den Grünen ist seit 2011 Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Bei der nächsten Landtagswahl 2026 tritt der 73-Jährige nicht mehr an.

IAA
Die IAA Mobility findet alle zwei Jahre statt, dieses Jahr zum dritten Mal in München. Für das Publikum ist sie vom 9. bis zum 14. September 2026 geöffnet. Die Messe verteilt sich auf Stände in der Innenstadt und auf dem Messegelände in Riem.