Es fahren einfach zuviele Autos nach Stuttgart rein und durch Stuttgart durch: Verkehrsminister Winfried Hermann beim Interview in seinem Ministerbüro Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Laut Landesverkehrsminister Hermann stößt bei der Luftreinhaltung in Stuttgart die Technik an ihre Grenzen. „Die Menschen müssen endlich verstehen, dass die Zahl der Autos, die in die Stuttgarter Innenstadt ein- und durchfährt, einfach zu hoch ist.“

Stuttgart - - Herr Hermann, das Land muss bis Mitte 2017 einen Luftreinhalteplan für Stuttgart vorlegen. Was wird da drinstehen?
Da müssen Maßnahmen drinstehen, die deutlich machen, dass wir unser Ziel erreichen, nämlich die Luft in Stuttgart sauberer zu machen. Und wir müssen auch sagen, was wir an weiteren Maßnahmen in petto haben, wenn es nicht so einfach geht.
Es geht ja nicht einfach. Sie fordern vom Bund zum Beispiel die Möglichkeit, mit einer Blauen Plakette nur noch Dieselfahrzeuge mit Euro-6-Norm in die Innenstadt zu lassen, um den Anteil von Stickoxid unter den EU-Grenzwert zu bringen. Aber Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt das ab.

Dobrindt macht es sich sehr einfach. Er sagt: Sperrt die Stadt für alle Autos und macht Ausnahmegenehmigungen für die, die noch reinfahren dürfen. Aber man sieht ja einem Auto von außen die Schadstoffklasse nicht an. Der Vorschlag ist absurd und unpraktikabel. Wir bemühen uns auf Bundesebene, dass die Blaue Plakette doch noch kommt.

Und wenn ein Gericht Sie vorher zum Handeln zwingt?
Dann müssen wir quasi ohne Blaue Plakette so tun, als hätten wir eine. Wir könnten für alle Zufahrtsstraßen vorschreiben, dass man zumindest an bestimmten Tagen dort nur mit Elektro-Autos, modernsten Dieselfahrzeugen oder Benzinern in die Innenstadt darf. Das müsste dann die Polizei stichprobenartig kontrollieren. Aber das wäre ein schwieriger Notfallplan, und wir arbeiten hart daran, dass es dazu nicht kommt.
Wann rechnen Sie mit weiteren gerichtlichen Entscheidungen?
Ich gehe davon aus, dass die unteren Gerichte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten. In dem Verfahren geht es darum, ob die Verantwortung für Verkehrsbeschränkungen tatsächlich bei den Ländern und Kommunen liegt oder ob es dafür nicht doch eine Bundesregelung braucht.
Viele sagen nach wie vor, dass man es schaffen müsste, das Problem auch ohne Fahrverbote zu lösen.
Wenn nur die Hälfte dener, die das sagen, sich freiwillig anders verhalten würden, hätten wir keine Probleme mit Staus, Stickoxiden und Feinstaub. Denn dann würden deutlich weniger Autos unterwegs sein.
Wir dachten, es braucht vor allem modernere und sauberere Autos.
Das auch. Aber beim Feinstaub ist zum Beispiel der Anteil von Partikeln, die durch den Abrieb von Bremsen und Reifen entstehen, inzwischen höher als das, was aus dem Auspuff kommt. Das heißt: Die Menschen müssen endlich verstehen, dass die Zahl der Autos, die in die Stuttgarter Innenstadt ein- und durchfährt, einfach zu hoch ist. Es gilt die Autofahrten um etwa 20 Prozent zu reduzieren, anders geht es nicht.
Und wie soll das gehen?

Es müssen zum Beispiel mehr Leute zu zweit oder zu dritt ein Auto nutzen, auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad umsteigen. Kurzfristige Einschränkungen sind wenig sinnvoll, wenn wir nicht auch das Mobilitätsverhalten dauerhaft ändern.

Dazu müsste dann aber auch der ÖPNV in Stuttgart ausgebaut werden.

Das ist richtig. In der Vergangenheit wurde in Stuttgart zu wenig getan. Obwohl die Stuttgarter viel in der Welt herumkommen, haben Sie nicht genügend wahrgenommen, dass in vielen Städten der Welt, die halbwegs entwickelt sind, der Anteil des ÖPNV weitaus höher ist als in Stuttgart. Erst unter OB Kuhn wurde in den letzten Jahren massiv investiert. Aber es muss noch mehr passieren.

Kuhn fordert vom Land, die Anschaffung von Stadtbahnen zu bezuschussen. Dies habe Grün-Schwarz auch im Koalitionsvertrag versprochen.

Da klagt er zu Recht. Das Versprechen ist deshalb noch nicht eingelöst, weil es sehr teuer wäre und wir damit auf Widerstand bei den Haushältern stoßen. Aber ich werde dafür kämpfen, dass wir wenigstens in die Fahrzeugförderung einsteigen.

Ein Fortschritt wäre es auch, wenn mehr Linienbusse in Stuttgart Elektroantrieb hätten oder zumindest nicht mehr so viele Dreckschleudern unterwegs wären.

Im Stuttgarter Kessel dürfen nur die saubersten Busse fahren, die es gibt – das gilt auch für Taxen. Und die SSB gibt sich auch Mühe, die älteren, schadstoffträchtigen Fahrzeuge rasch durch moderne zu ersetzen. Dazu sind in den kommenden Jahren mehr Investitionsmittel nötig.

Aber die Linienbusse stehen oft im Stau.

Da ich selber viel Bus fahre, habe ich das auch festgestellt. Außerdem sind die Busse auf bestimmten Linien stark überfüllt. Wenn man also möglichst schnell und möglichst kostengünstig Maßnahmen ergreifen will, sollte man deutlich mehr und längere Busspuren in Stuttgart einrichten. Das dauert bei weitem nicht so lang und ist längst nicht so teuer wie der Ausbau des Stadtbahn-Netzes. Eine neue Stadtbahn kostet fünf Millionen Euro, ein neuer Bus zwischen 300 000 und 600 000 Euro.

Hermann über die Trägheit bestimmter Autofirmen

Noch ein Wort zur Lage der Autoindustrie, an der hierzulande viele Arbeitsplätze hängen. Drohende Fahrverbote für Diesel, das geplante Aus für Verbrennungsmotoren bis zum Jahr 2030 – das macht vielen Menschen Angst.

Der Angst vor der Zukunft kann man nur mit einer klaren Zukunftsperspektive begegnen. Gerade weil das so ist, ist die Verpflichtung, in die Zukunft zu gehen, doch offenkundig. Wenn wir das nicht machen, geht die Autoindustrie – zugespitzt formuliert – mit dem Verbrennungsmotor unter. Die Entwicklung weg vom Verbrennungsmotor zu anderen Antrieben wie Elektromotor oder Brennstoffzelle kann schnell gehen. Und diesen Sprung dürfen wir nicht verpassen.

Haben Sie denn den Eindruck, dass die Autofirmen darauf vorbereitet sind?

Porsche will den E-Porsche in Zuffenhausen bauen lassen. Das ist ein Stück weit eine Zukunftsgarantie für den Standort Stuttgart. VW will sein bundesweites Kompetenzzentrum für die Brennstoffzellen-Technologie bei Audi in Neckarsulm errichten. Bei Mercedes sehe ich noch nicht, wie die Produktionsstandorte zukunftsfest entwickelt werden. Ich betrachte mit großer Sorge, dass man sich noch nicht entschieden hat, was aus den Standorten Untertürkheim und Sindelfingen werden soll.

Wo liegt das Problem?

Das Problem ist die Trägheit, die jedem großen Wirtschaftsunternehmen innewohnt. Die Firmen machen noch immer gutes Geld mit Vergangenheitsgeschäften, müssten aber in die neue Mobilität investieren. Die Politik muss da andere Impulse setzen, damit die Industrie auch ins Neue geht. Ich jedenfalls empfinde es auch als eine Aufgabe eines Verkehrsministers, dass er für die Mobilität von morgen sorgt.