Foto: dpa

Rappelvolle Pendlerzüge, Fernzüge, die wegen Überfüllung nicht abfahren - und dann noch hohe Preise: Der Verkehrsclub Deutschland rügt Angebot und Service der Bahn - und hofft auf Schritte von Verkehrsminister Hermann.

Stuttgart - Der Verkehrsclub Deutschland hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) aufgefordert, die Zahlungen an die Deutsche Bahn im Nahverkehr zu verringern. „Grün-Rot muss die von der ehemaligen CDU-geführten Regierung ausgehandelten überhöhten Entgelte auf das marktübliche Niveau mindern, um Engpässe im Nahverkehr abzubauen“, sagte Landeschef Matthias Lieb.

Die Landesregierung steht einer Neubewertung der Zahlungen an die Deutsche Bahn für den Nahverkehr indes offen gegenüber. „Natürlich wissen wir, dass die Vorgängerregierung einen für die Bahn sehr günstigen Vertrag abgeschlossen hat“, sagte der Sprecher des Verkehrsministeriums, Edgar Neumann, am Montag. Entsprechend werde aktuell juristisch geprüft, ob ein Ausstieg aus den Verträgen oder deren Änderung möglich sei, um die schwere Finanzlast für das Land zu mindern. Er betonte aber auch: „Vertrag ist Vertrag, und wir müssen ihn erfüllen.“

Deutsche Bahn: Verschließen uns einer Fortentwicklung nicht

Die Bahn deutete künftige Verhandlungsspielräume an. Zwar gehe der Konzern von der Wirksamkeit der bestehenden Verträge aus, sagte ein Sprecher. „Wir verschließen uns einer Fortentwicklung des Vertrages zum Wohl unserer Kunden nicht und sind bereit, konstruktiv daran mitzuarbeiten.“ Er fügte hinzu, dass das Land als Besteller eine Konzeption erarbeiten müsse, die auch für die anstehenden Investitionen im Nahverkehr von etwa einer Milliarde Euro Sicherheit biete.

Allein in diesem Jahr gibt das Land für den Schienenpersonennahverkehr fast 740 Millionen Euro aus. Nach den Worten von Lieb bezahlt es für die Leistungen der Bahn im Vergleich zu Bayern für die Leistungen der Bahn 20 Prozent mehr pro Zugkilometer; das entspreche etwa 140 Millionen Euro pro Jahr. Mit diesem Geld der Steuerzahler könnten insbesondere in Ballungsräumen Angebote ausweitet werden. Ein Blick auf den neuen Bahn-Fahrplan zum Dezember zeige, dass dies trotz eines Fahrgastzuwachses von fünf Prozent von 2011 auf 2012 kaum geplant sei.

Vielmehr seien für 2013 drohende Streichungen in einer Größenordnung von zwölf Prozent gerade noch vermieden worden, sagte Lieb. Durch Umschichtungen im Verkehrshaushalt in einer Größenordnung von 60 Millionen Euro sei eine Kostenexplosion bei Trassen- und Stationsgebühren der Bahn im Schienennahverkehr aufgefangen worden.

Verkehrsklub: Beharrungskräfte überwinden

„Hermann muss Beharrungskräfte im eigenen Haus überwinden“, meinte der Chef des ökologisch orientierten Verkehrsclubs mit Blick auf mögliche Einsparungen bei den Entgelten. Das Ministerium hatte unter Leitung des damaligen Staatssekretärs und späteren Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) 2003 den Verkehrsvertrag mit der Bahn bis 2016 ausgehandelt. Die Leistungen seien damals als riesiges Paket mit einem Volumen von 4,6 Milliarden Euro direkt an die DB vergeben worden, so dass Konkurrenten gar nicht hätten zum Zuge kommen können. Lieb meinte dazu: „Das Land hat sich damals im Blick auf die Fortsetzung des Bahnprojektes Stuttgart 21 besonders großzügig gezeigt.“

Ein Vorgehen gegen die „Monopolrendite“ der Bahn, die sich nicht nur aus misslungenen Vertragsverhandlungen, sondern auch durch Fahrgastzuwachs und Fahrpreiserhöhungen speise, birgt aus Liebs Sicht keine juristischen Risiken. „Eine eventuelle Klage der Bahn dagegen würde ins Leere laufen, denn das EU-Recht verbietet überhöhte Subventionen.“ Bei der EU laufe schon ein Verfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht gegen die Bundesrepublik.

Ein Blick auf den neuen DB-Fahrplan zeigt nach Worten Liebs, dass im Fernverkehr mehr Züge gestrichen werden als neue hinzukommen. Lieb bedauert, dass auf der Strecke Stuttgart-Zürich als Konsequenz aus schlechteren Fahrzeiten und daraus resultierenden Fahrgastrückgängen weitere Einschnitte erfolgen. So entfalle am Sonntagmorgen die erste Verbindung in Richtung Schweiz und am Samstag die letzte Fahrt. Statt neue Verbindungen zwischen Stuttgart und Paris zu schaffen, würden lediglich Doppelstockwagen bei den täglich vier Zügen zwischen der baden-württembergischen und der französischen Hauptstadt eingesetzt. Zu spät, nämlich erst im Juni 2013, komme eine neue ICE-Linie Stuttgart-Köln-Dortmund mit drei Verbindungen pro Richtung, erläuterte Lieb. Im Winter sei deshalb mit weiteren Engpässen zu rechnen.

Im Nahverkehr begrüßt der VCD die neuen Verbindungen Böblingen-Renningen, Marbach-Backnang sowie eine neue grenzüberschreitende Linie Müllheim-Mulhouse. Besonderen Handlungsbedarf sieht Lieb im überlasteten Zugverkehr im Umkreis von Freiburg, bei den Stadtbahnen in der Region Karlsruhe sowie beim Nahverkehr in der Region Stuttgart.