Nach schweren Lkw-Unfällen auf der Autobahn sollen Unfallstellen schneller und besser koordiniert geräumt werden, um Staus einzudämmen. Foto: dapd

Um Unfallstellen schneller zu räumen, setzt die Polizei jetzt auf eine Kooperation von Abschleppdiensten.

Böblingen/Stuttgart - Eine bundesweit einmalige Allianz sind die Böblinger Polizei und sieben Abschleppunternehmen aus Stuttgart, Leonberg, Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Köngen eingegangen. Nach schweren Lkw-Unfällen auf der Autobahn sollen Unfallstellen schneller und besser koordiniert geräumt werden, um Staus einzudämmen.

 

Die privaten Abschleppunternehmen bekommen mehr Kompetenzen: Sogenannte Bergemanager der Firmen dürfen eigenständig bei den kooperierenden Firmen Einsatzfahrzeuge nachordern, während sich die Polizei auf Unfallaufnahme und Verkehrsumleitungen konzentriert. „Es gibt bereits positive Erfahrungen“, sagt der Böblinger Polizeichef Rudi Denzer.

Die am Dienstag in Böblingen vorgestellte Regelung des Unfallmanagements gilt für 58,1 Autobahnkilometer: Auf der A 8 zwischen Wendlingen und dem Kreuz Stuttgart, auf der A 831 und A 81 von Stuttgart-Vaihingen bis nach Rottenburg. Dies ist das Zuständigkeitsgebiet des Autobahnpolizeireviers Stuttgart, das organisatorisch zur Polizeidirektion Böblingen gehört.

Wenig euphorisch ist der Auto Club Europa (ACE)

Denzer hatte bereits im November 2011 über Missstände bei den Aufräumungsarbeiten nach schweren Unfällen im Schwerlastverkehr auf Autobahnen beklagt. Die Bergung dauerte oft länger als notwendig, weil Situationen falsch eingeschätzt wurden. Seine Idee: Ein Abschleppspezialist soll mit den Rettungskräften die Lage früh beurteilen und dann diejenigen Unternehmen verständigen, die passgenau die notwendigen Spezialgeräte und das Fachwissen mitbringen.

Die Polizei suchte einen sogenannten Bergemanager – und stieß „zu unserer Überraschung“ auf eine Koalition von großen Abschleppfirmen, die freiwillig zusammenarbeiten wollen. „Da musste jeder ein bisschen über seinen Schatten springen“, sagt Bruno Noce, Sprecher der sieben beteiligten Firmen, die zu den Großen der Branche in der Region gezählt werden.

Für Volker Grandjean, den Bundesvorsitzenden des Verbands der Bergungs- und Abschleppunternehmen mit Sitz in Wuppertal, ist das Böblinger Modell „ein Novum in ganz Deutschland“. In anderen Bundesländern gebe es solche Zusammenschlüsse nicht. In Hessen, Thüringen oder Niedersachsen gebe es zwar ähnliche geregelte Bergemanagements – „dort handelt aber jedes Unternehmen für sich und muss einen kompletten Fuhrpark vorhalten“, so Grandjean.

„Eine Befangenheit ist hier nicht von der Hand zu weisen“

Weniger euphorisch ist der Auto Club Europa (ACE): „So ein Unfallmanagement muss landesweit geregelt sein“, erklärt Sprecher Rainer Hillgärtner auf Anfrage unserer Zeitung. Bei den Abläufen dürften keine wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen: „Eine Befangenheit ist hier nicht von der Hand zu weisen“, so Hillgärtner. Der Bedarf von technischem Gerät könne auch faktisch öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, wie dem Technischen Hilfswerk, betraut werden.

Seit Jahren gebe es auf Bundesebene eine Arbeitsgemeinschaft Pannen- und Unfallhilfe. Der Vorsitzende, der ACE-Vorstand Wolfgang Rose, bemühe sich seit langem vergeblich, in Baden-Württemberg einen Verkehrsservice-Verein ins Leben zu rufen, wie es ihn in anderen sieben Bundesländern gibt. Die Landesregierung sei gefordert, als Mitglied die Richtlinien festzulegen.

Nicht immer sind die Abschlepper der entscheidende Faktor

Ob das Böblinger Modell funktioniert, ist bisher nicht eindeutig zu beantworten. Polizeichef Rudi Denzer verweist auf einen Lkw-Unfall mit 20 Tonnen Ziegeln auf der A 81 bei Böblingen-Ost am 30. Januar. „Nach zweieinhalb Stunden war die Unfallstelle geräumt.“ Ein umgestürzter Tank-Anhänger mit 8500 Liter Heizöl am 3. April sei von einem Kran binnen 17 Minuten aufgerichtet worden.

Doch nicht immer sind die Abschlepper der entscheidende Faktor: Die Feuerwehr hatte einen zu klein dimensionierten Schlauch für das Abpumpen des Tanks dabei – die Autofahrer auf der A 81 im Bereich Böblingen/Sindelfingen waren letztlich vier Stunden ausgebremst. Zuvor hatte auf der A 8 bei Möhringen ein Lkw-Auffahrunfall trotz Osterferien 18 Kilometer Stau in Richtung Karlsruhe verursacht.

Ein Lkw-Auffahrunfall am 30. März auf der A 8 bei Stuttgart-Rohr zeigte dem Bergemanagement ebenfalls Grenzen auf. Ein 54-jähriger Getränkelaster-Fahrer war auf zwei Lkw aufgefahren. Weil die Vorderachse sich verschoben und die Kardanwelle des Wracks ausgebaut werden musste, dauerte die Räumung an jenem Nachmittag letztlich doch drei Stunden. Ganze fünf Stunden brauchte es, um einen spanischen Sattelzug am 13. Februar aus den Leitplanken am Kreuz Stuttgart zu befreien – glücklicherweise spielte sich der Fall in der Nacht ab. Polizeichef Denzer bleibt optimistisch: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“