Der klassische Fall: Ein Unfall, und schon kommt der Verkehr am Leonberger Dreieck komplett zum Erliegen. Foto: 7aktuell/Eyb

Nirgends ist Verkehrsbelastung höher als am Leonberger Kreuz - Besserung in Sicht.

Stuttgart/Leonberg - Sinan Sönmez sitzt konzentriert vor seinem Bildschirm in der Straßenverkehrszentrale in Stuttgart-Feuerbach. Mehrere Bilder zeigen Aufnahmen von Videokameras, die im Engelbergtunnel den Verkehr aufzeichnen. Alles gut, könnte man meinen, denn die Autos rollen zügig dahin. Plötzlich blitzt eine rote Warnmeldung auf. „Brandalarm“ in einer Nothaltebucht im Engelberg. Doch Sönmez bleibt ganz entspannt. Denn der „Alarm“ war angemeldet. Es sind „nur“ Mitarbeiter der Autobahnmeisterei unterwegs, die an diesem Tag die Feuerlöscher und die Notrufnischen kontrollieren. Ziehen sie einen Feuerlöscher aus der Halterung, geht automatisch eine Warnmeldung bei den insgesamt 13 Operatoren der Straßenverkehrszentrale des Landes Baden-Württemberg ein.

24 Stunden am Tag sitzen die Operatoren im Drei-Schicht-Betrieb und haben die Autobahnen im Blick. Als der Verkehrswarndienst der Polizei die Meldung schickt, dass es auf der A 6 hinter Sinsheim-Steinfurt zwölf Kilometer Stau gibt, ist Sönmez wirklich gefordert. Er rät den Autofahrern, die vom Kreuz Stuttgart zum Leonberger Dreieck hinunterfahren, eine Alternativroute zu nutzen: „Mannheim via Karlsruhe“ ist dann auf den Schilderbrücken der A 8 zu lesen – Sekunden, nachdem der 30-Jährige die Daten auf seinem Rechner freigibt. Wer sich daran hält, entgeht dem Stau.

Dass die Verkehrslage rund um den Engelberg und das Leonberger Dreieck bis hin zum Kreuz Stuttgart bei den Operatoren besonders im Fokus steht, verwundert nicht. 147.600 Kraftfahrzeuge sind hier nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen jeden Tag unterwegs. Nur der Abschnitt der A 5 zwischen der Anschlussstelle Karlsruhe-Mitte und dem Autobahndreieck Karlsruhe kann in Baden-Württemberg mit 140.100 Kraftfahrzeugen einigermaßen mithalten. Bundesweit jedoch müssen die Anwohner von autobahnnahen Kommunen anderswo noch viel mehr Verkehrslärm aushalten. Spitzenreiter ist die A 100 in Berlin beim Dreieck Funkturm. Hier liegt die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke bei 186.100 Kfz. Ebenfalls enorm belastet ist unter anderem die A 3 beim Kreuz Köln-Ost (166.100 Kfz), beim Kreuz Leverkusen (157.600 Kfz) und zwischen Frankfurt-Süd und Offenbacher Kreuz (150700).

Im Frühjahr kommt die Standstreifenfreigabe

Doch auch die 147.600 Fahrzeuge, die täglich dicht an Leonberg vorbeifahren, haben es in sich. Das ist das dreifache Verkehrsaufkommen wie am Brenner. Stress pur für Fahrer und Anwohner. Und es erfordert ein gutes Verkehrsmanagement.

Das wird vom Land seit 2009 gebündelt und in der Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg aufgebaut. Vorläufiger Höhepunkt: Im Dezember 2011 wurde eine neue Software in Betrieb genommen, von der sich Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) viel verspricht: „Wir können uns jetzt auf eine Verkehrsrechnerzentrale auf neuestem Stand stützen, die im Auftrag des Bundes federführend in Baden-Württemberg entwickelt wurde und die ,Blaupause‘ für künftige Verkehrsrechnerzentralen in Deutschland sein wird“, kommt der Minister regelrecht ins Schwärmen. Thomas Bucher, Leiter der Straßenverkehrszentrale, bestätigt: „Bundesweit sind sieben weitere Länder an unserem System interessiert.“

Die Aufgaben sind vielfältig. Andere Behörden und Autofahrer können im Internet Informationsdienste abrufen. Über flexibel einstellbare Verkehrszeichen versuchen die Experten, vor Gefahren zu warnen und die Tempolimits so vorzugeben, dass der Verkehr möglichst zügig rollt. Auf den Schilderbrücken bekommen die Verkehrsteilnehmer einen Hinweis, wie sie Staus am besten umfahren. Ferner werden in der Verkehrsrechnerzentrale die 14 Autobahntunnel im Land überwacht und Zuflussregelungsanlagen, wie sie derzeit an der B 27 bei Filderstadt installiert werden, gesteuert.

„Erst ab Frühjahr 2013 können die Standspuren zwischen Wendlingen und Leonberg tatsächlich genutzt werden“

Damit nicht genug: Ende Juli geht die neue, 21 Millionen Euro teure Steuerungsanlage auf der A 8 zwischen Wendlingen und dem Leonberger Dreieck in Betrieb. Das eröffnet bei hohem Verkehrsaufkommen ganz neue Möglichkeiten. Die Operatoren können dann den Standstreifen als zusätzliche Fahrspur freigeben. „Das ist die beste, weil intelligente Methode“, sagt Martin Schmid, Leiter der Landesstelle für Straßentechnik. Aufgrund der hohen Staatsverschuldung ist ihm klar, dass „wir die Autobahnkapazitäten, die wir bräuchten, nicht schaffen können“. Die zig Milliarden, die bundesweit für die in Generalverkehrsplänen angedachten Neu- und Ausbauten notwendig wären, sind in diesem Jahrzehnt nicht in Sicht.

Also werden andere Wege gesucht. Da es zumeist nur morgens und am Nachmittag in Stoßzeiten zum Verkehrskollaps kommt, sind beispielsweise die Standstreifen eine Alternative. „Wir stehen hier erst am Anfang“, betont Schmid. In der Tat: Denn erst ab Frühjahr 2013 können die Standspuren zwischen Wendlingen und Leonberg tatsächlich genutzt werden. Bis zum Jahresende muss zuerst noch die Fahrbahn saniert werden.

Elektronische Anzeigen ermöglichen 15 Prozent mehr Verkehr

Das zweite Projekt mit einer solchen Verkehrsbeeinflussungsanlage im Südwesten wird auf der A 81 zwischen Leonberg und Mundelsheim angepackt. Bis Mai 2013 sollen hier ebenfalls elektronisch gesteuerte Signaltafeln stehen, so dass dann ebenfalls der Standstreifen bei Stau genutzt werden kann. Verkehrsexperte Bucher: „Das ist kein Zauberhut, aber es wird dadurch Verbesserungen geben.“

Die Fachleute gehen davon aus, dass mit Verkehrsbeeinflussungsanlagen bis zu 15 Prozent mehr Autos fahren können, bevor es sich staut. Zudem erwarten sie bis zu 30 Prozent weniger schwere Unfälle. Ob es noch weitere solche Anlagen in Baden-Württemberg geben soll, wird derzeit von der Straßenverkehrszentrale untersucht. Für die A 5 rund um Karlsruhe und den Abschnitt vom Autobahnkreuz Walldorf in Richtung Heidelberg muss geprüft werden, ob sich die millionenteuren Investitionen auch dort rechnen würden.

Ganz ohne neue Fahrbahnen geht es allerdings in den Ballungsräumen nicht. So wurde schon vor Jahren vom Dreieck Leonberg bis zum Kreuz Stuttgart eine vierte Spur gebaut. Lkw können auf dieser Bergaufstrecke nun die beiden rechten Spuren nutzen, die Pkw die beiden linken Spuren. In der umgekehrten Richtung soll dies ebenfalls noch erfolgen. Das Regierungspräsidium Stuttgart hat jetzt nach zwei Jahren Planung einen sogenannten Vorentwurf für den Ausbau der 4,4 Kilometer langen Strecke abgeschlossen. Kosten für die vierte Spur: 13 Millionen Euro. Neben der zusätzlichen Fahrbahn müssen noch zwei Brücken erweitert werden. Zudem soll die Zahl der Lkw-Stellplätze am Parkplatz Sommerhofen dann von drei auf 16 erhöht werden. Wenn Land und Bund nun dem Bau zustimmen, könnte 2014 mit dem Bau begonnen werden, sagt ein Sprecher des Regierungspräsidiums.

Notwendig ist die Zusatzspur allemal: Prognosen gehen davon aus, dass ab 2025 täglich sogar 150.000 Kfz diese Strecke passieren.