Gondoliere versammeln sich am Sonntag auf dem Canal Grande, um des am Vortag bei einem Unfall ums Leben gekommenen Richters aus Stuttgart zu gedenken Foto: ANSA

In Venedig kam beim Zusammenstoß einer Gondel mit einem Wassertaxi ein Tourist aus Tübingen ums Leben. Die dreijährige Tochter wurde verletzt. Der tödlich Verunglückte war Richter am Oberlandesgericht Stuttgart und Jura-Professor an der Uni München.

Venedig/Stuttgart - „Das musste doch eines Tages so weit kommen!“ Matteo ist entsetzt, auch einen Tag nach dem Drama. „Wir können hier unsere Arbeit nicht mehr in Ruhe ausführen, das ist doch alles viel zu gefährlich geworden”, sagt der Gondoliere. Auch er trauert um den 50-jährigen Joachim V., der am Samstag bei einem Gondel-Unglück in Venedig ums Leben gekommen ist. Als Zeichen ihres Mitgefühls legten die meisten Gondolieri am Samstag nach dem Unglück ihre Arbeit nieder. Das Unglück ist der erste tödliche Gondel-Unfall in Venedig.

Matteo befördert keine Touristen auf den klassischen Touren durch die Lagunenstadt. Er setzt auf dem Canal Grande in der Nähe des Palazzo Grassi, wo der französische Milliardär François Pinault seine Kunstschätze ausstellt, mit seiner Gondel Einheimische und Touristen von einem Ufer zum anderen über. Der dichte Schiffsverkehr von Gondeln und Vaporetti – großen, motorisierten Bussen auf dem Wasser – ist jedoch ein Problem. „Meine Gondel wackelt so stark, dass immer weniger Venezianer eine Überfahrt riskieren und den Umweg über eine Brücke oder ein Vaporetto nehmen“, klagt Matteo.

Die dreijährige Tochter erlitt bei dem Unglück eine schwere Kopfverletzung

Ein Vaporetto hatte am Samstagmittag gegen 11.30 Uhr die Touristen-Gondel gerammt, in der Joachim V. und seine Familie saßen. Die Ehefrau und die beiden Söhne gingen über Bord, konnten aber gerettet werden. Die dreijährige Tochter erlitt bei dem Unglück eine schwere Kopfverletzung. Der Vater wurde zwischen der Gondel und dem Vaporetto eingeklemmt und erlitt dabei tödliche Verletzungen. Ein Krankenpfleger, der Augenzeuge des Unglücks wurde, versuchte noch an der Unfallstelle den Vater zu reanimieren. Vergebens.

Joachim V. war seit 2001 Richter am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart. Seit 2000 lehrte er als Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Tübingen. 2012 folgte er einem Ruf an die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. In Tübingen, wo er laut Telefonbuch mit seiner Familie lebte, hatte der gebürtige Hesse nach Medienberichten als einer der beliebtesten Professoren gegolten. Unter anderem beteiligte er sich mit großem Engagement an der Studium-generale-Reihe.

Das Justizministerium in Stuttgart konnte am Sonntag noch keine detaillierte Auskunft zu dem Todesfall geben. Noch lägen dazu keine offiziellen Berichte aus Italien vor, sagte eine Sprecherin am Sonntagnachmittag unserer Zeitung. Auch die Frage, inwieweit der Jurist derzeit beim OLG tätig ist, blieb am Wochenende offen.

Staatsanwaltschaft Venedig leitet am Samstag ein Ermittlungsverfahren ein

Das Unglück in Venedig geschah bei dem Verkehrsknotenpunkt Rialto, nicht weit von der berühmten gleichnamigen Brücke entfernt. Das Vaporetto der Linie 1 hatte gerade die Haltestelle Peschiera verlassen, um den nächsten Halt Rialto anzusteuern. Nachdem der Wasserbus unter der Rialtobrücke durchgefahren war, kamen ihm andere Vaporetti entgegen; dazu einige ebenfalls motorisierte Wassertaxen, die in Venedig häufig viel zu schnell fahren. Der Fahrer des Unglücksvaporetto versuchte wegen des intensiven Verkehrs ein Rückwärtsmanöver. Eine katastrophale Entscheidung: Das Heck des Schiffes rammte die Gondel mit den deutschen Touristen.

Der Gondoliere der gerammten Gondel konnte sich mit einem Sprung an Land in Sicherheit bringen. Seine Passagiere aus Deutschland fielen zwischen den Booten und dem Uferbereich ins Wasser. Der Familienvater versuchte, seine dreijährige Tochter mit dem eigenen Körper zu schützen. Das gelang ihm zwar, doch er bezahlte dafür mit seinem Leben. Augenzeugen versuchten, den Fahrer des Vaporetto auf das Unglück aufmerksam zu machen. Doch bevor das Schiff zum Halten kam, zog es die Gondel noch rund 30 Meter mit sich. Auch der Einsatz mehrerer Gondolieri, die beherzt in den Kanal sprangen, konnte Joachim V. letzten Endes nicht mehr retten.

Die Staatsanwaltschaft Venedig leitet bereits am Samstag ein Ermittlungsverfahren ein. Venedigs Bürgermeister Giorgio Orsini versicherte am Sonntag, dass er zu Wochenbeginn eine Sondersitzung der Stadtverwaltung einberufen werde, um den Wasserverkehr auf den Kanälen zu beschränken. Eine Maßnahme, die vermutlich bei der Mehrheit der Bürger in Venedig als überfällig gelten dürfte.