Zölle und Handelskonflikte einerseits, Steuergeschenke und Deregulierung andererseits: Donald Trumps wirtschaftspolitische Agenda macht Volkswirten Sorgen. Über allen Szenarien hängt das Damoklesschwert steigender US-Staatsverschuldung.
Ob es einem passt oder nicht: Spätestens nach dem katastrophalen Auftritt von US-Präsident Joe Biden beim TV-Duell ist eine Rückkehr seines Vorgängers Donald Trump ins Weiße Haus das Szenario, mit dem sich Anleger ernsthaft befassen müssen – auch wenn Biden jetzt beim Nato-Gipfel eine fehlerfreie Rede hielt. Überzeugt hat er Kritiker damit nicht. Denn die Anzeichen für eine Schwäche mehren sich und die Sorgen um Biden wachsen. Doch was würde Trump 2.0 für Unternehmen und Kapitalmärkte bedeuten? Auf welche Risiken muss man sich an der Börse einstellen? Welche Chancen gibt es? Experten erklären, was auf Wirtschaft und Finanzwelt zukommt.
Vorweg: Sollte Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden, steht zu befürchten, dass er ähnlich erratisch und unberechenbar regiert wie bei seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021. Mit Überraschungen ist bei Trump immer zu rechnen, entsprechend schwierig ist es, seinen Weg vorzuzeichnen. Eine grobe wirtschaftspolitische Agenda steht aber: Steuern senken, Zölle erhöhen, Regeln und Vorschriften für Unternehmen lockern oder beseitigen – bevorzugt für solche aus wohlgesonnenen Branchen wie der Ölindustrie.
Weniger staatliche Einmischung und niedrigere Abgaben – das ist normalerweise ein Programm ganz nach dem Geschmack der Wall Street. Würde Trump die Kurse an den Börsen steigen lassen? „Im November 2016 reagierten die Aktienmärkte positiv auf den Wahlsieg, da der neue US-Präsident Trump den Unternehmen unter anderem niedrigere Steuern und weniger Regulierung versprach“, erklärt Ökonom Bernd Weidensteiner von der Commerzbank. Allerdings spreche diesmal einiges gegen einen ähnlich euphorischen Empfang. So seien die Aktienbewertungen inzwischen deutlich gestiegen.
Die Börsen sind heiß gelaufen, das Potenzial für Rücksetzer ist groß. Anders als beim ersten Mal käme ein Wahlsieg Trumps zudem nicht überraschend. Und Trumps haushaltspolitischer Handlungsspielraum wäre begrenzter, die Unternehmenssteuern sanken bereits in seiner ersten Amtszeit kräftig. Zu deregulieren gibt es auch nicht mehr so viel: Der Bankensektor, dem nach der großen Weltfinanzkrise von 2008 Zügel angelegt worden waren, wurde schon in wesentlichen Teilen wieder entfesselt. Dazu kommt: Trumps ausgeprägter Hang zu Protektionismus und Handelskonflikten ist ein rotes Tuch für viele Finanzprofis.
Chefvolkswirt Michael Heise vom Vermögensverwalter HQ Trust erwartet für den Fall einer erneuten Wahl Trumps höchstens eine kurzfristige Kursrallye und keinen dauerhaften Aufwärtstrend an den Börsen wie bei Trumps erster Präsidentschaft. Auch mit Blick auf die Wirtschaft bremst Heise: „Ein Sieg von Trump bringt allenfalls eine kurze Phase der Belebung durch Steuersenkungen und Deregulierung.“ Danach werde Ernüchterung folgen wegen preistreibender Zölle und Engpässen am Arbeitsmarkt. Die Konjunktur werde sehr schnell einen Dämpfer erhalten.
Für die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft ist Trump ein besonders großes Risiko. Modellrechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, wie sehr Deutschland leiden würde, wenn Trump seine Drohungen gegenüber den Handelspartnern der USA wahr macht. Würden seine Pläne umgesetzt, die US-Zölle auf sämtliche Einfuhren aus dem Ausland auf 10 Prozent und auf Importe aus China auf 60 Prozent zu erhöhen, so würde Deutschlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2028 um 1,2 Prozent niedriger ausfallen als bei einem Szenario ohne zusätzliche Zölle. Sollte China in gleichem Maße mit Gegenzöllen kontern, wäre der Untersuchung vom IW zufolge mit noch größeren BIP-Abstrichen zu rechnen.
Die Staatsschulden in den USA steigen
Bei der TV-Debatte zwischen dem altersschwach und zerstreut wirkenden Präsident Biden und seinem chronisch lügenden Herausforderer Trump passte sich der Schlagabtausch zum Thema Wirtschaft dem insgesamt bizarr schwachen und einem Wahlkampf in der weltgrößten Volkswirtschaft völlig unwürdigen Niveau an. Biden klagte, er habe von Trump eine „Konjunktur im freien Fall“ übernommen. Trump hielt dagegen: „Er macht einen lausigen Job, und die Inflation richtet unser Land zugrunde“. Das vielleicht wichtigste Thema kam viel zu kurz: die hohen US-Staatsschulden.
In vielen Ländern seien die Staatsschulden seit der letzten großen Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008 in die Höhe geschnellt, erläutert Commerzbank-Experte Weidensteiner. „In den USA sind sie in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 65 Prozent auf 122 Prozent gestiegen, die Staatsschuldenquote hat sich also fast verdoppelt.“ Zwar hätten die USA in der Vergangenheit gezeigt, dass sie den nötigen Willen zum Schuldenabbau aufbringen können. Dies sei Anfang der 1990er Jahre unter Ex-Präsident Bill Clinton gewesen, dessen Regierung Steuererhöhungen durchgesetzt und das Ausgabenwachstum gebremst habe. „Dazu muss das Problembewusstsein aber ausgeprägt und der nötige öffentliche Druck vorhanden sein.“ Anders als damals sei dies heute nicht der Fall.
Biden will zwar Steuern für Reiche und große Konzerne anheben, im Wahlkampf ist das allerdings eher ein Randthema. Trump verspricht hingegen weitere Nachlässe bei Einkommens- und Unternehmenssteuern, die die Staatsfinanzen abermals belasten würden. Der Internationale Währungsfonds IWF, die globale Finanzfeuerwehr, sieht in der angespannten US-Haushaltslage ein „wachsendes Risiko“ für die Weltwirtschaft. Die USA seien in den kommenden Jahren mit einer „dringenden Notwendigkeit“ konfrontiert, ihre Schulden in den Griff zu bekommen, hieß es in der jüngsten IWF-Länderanalyse.
Bislang schauen sich die Märkte die Schuldenorgien – auch Biden gab etwa für das Konjunkturprogramm „Inflation Reduction Act“ von 2022 Unsummen an Geld aus – noch gelassen an. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen erreichte 2023 zwar zeitweise die als Schmerzgrenze geltende Marke von fünf Prozent, ist aber wieder deutlich gesunken. Doch Ökonomen warnen: Auf Dauer lassen Ausgabenexzesse Inflation und Zinsen wieder steigen, – besonders, wenn auch noch Trumps angekündigte Zölle hinzukommen sollten.