Harris bei ihrer Rede in Washington. Foto: dpa

Kamala Harris kehrt zum Wahlkampffinale an den Ort zurück, an dem Donald Trump zum Angriff auf Amerikas Demokratie blies.

Das Weiße Haus im Hintergrund, blaue Stelen mit der Aufschrift „Freiheit“ und ein Meer an Sternenbannern, die ihre mehr als 75 000 Anhängern schwenken – patriotischer könnte die Kulisse kaum sein, vor der die Kandidatin auf die Bühne tritt. Der Ort des Wahlkampffinales ist bewusst gewählt. Denn hier auf der „The Ellipse“ genannten Rasenfläche auf der National Mall rief Donald Trump am 6. Januar 2021 zur Rebellion auf.

 

Die aktuelle Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris hält hier ihr Schlussplädoyer gegen den Ex-Präsidenten. Die ehemalige Chefanklägerin des Bundesstaates Kalifornien erinnert an Trumps Verantwortung für den Sturm auf den Kongress und warnt eindringlich vor seiner Rückkehr an die Macht. „In weniger als 90 Tagen werden entweder Donald Trump oder ich im Oval Office sitzen“, sagt Harris, die auf das Weiße Haus deutet. Trump würde im Fall seiner Wahl das Büro mit einer Feindesliste betreten. „Wenn ich gewählt werde, werde ich mit einer To-do-Liste kommen.“

Gegenmodell zu Trump

In ihrer halbstündigen Rede präsentiert sich die Vizepräsidentin als Gegenmodell zu dem verurteilten Betrüger und Dauerlügner, dessen Wahlkampffinale im Madison Square Garden von New York am Sonntag kaum verschiedener sein konnte. Ein Hassfest, bei dem Trump und andere Sprecher mit offen rassistischen Parolen gegen Migranten hetzten, „inneren Feinden“ drohten und Harris mit sexistischen Attacken angriffen. Harris nimmt Bezug auf Trumps wiederholte Drohung, die Armee gegen „den Feind im Inneren“ einsetzen zu wollen. „Ich glaube nicht, dass Menschen, die anderer Meinung sind als ich, der Feind sind“, hielt sie dagegen. „Er will sie ins Gefängnis stecken. Ich werde ihnen einen Platz am Tisch geben.“

Die Vizepräsidentin erwähnte Trump 24- mal namentlich und Joe Biden nur einmal. Sie rührt in ihrer Rede auch an die zentralen Themen des Wahlkampfs: hohe Preise, Abtreibungsrechte, die Grenze, die Gesundheitsversorgung und das Klima. Um dann noch einmal zu dem Grund zurückzukommen, warum sie genau eine Woche vor den Wahlen an diesem symbolischen Ort auftritt.

Vor fast 250 Jahren hätten sich die Amerikaner von einem „kleinlichen Tyrannen“, dem britischen Monarchen George III., befreit. Die Vorfahren dürften nicht dafür gestorben sein, jetzt miterleben zu müssen, „wie wir unsere grundlegenden Freiheiten aufgeben“ und „uns dem Willen eines anderen kleinlichen Tyrannen zu unterwerfen“.

Umfragen lassen ein Fotofinish erwarten

Trump habe ein Jahrzehnt damit verbracht, das amerikanische Volk zu spalten. „Amerika, ich bin heute Abend hier, um zu sagen: Das ist nicht, wer wir sind.“ Ob das so ist, wird sich in einer Woche zeigen. Die Umfragen lassen national und in allen sieben „swing states“ (den besonders hart umkämpften Bundesstaaten) ein Fotofinish erwarten. „Dieses Rennen ist extrem knapp“, räumt Harris’ Wahlkampfmanagerin Jen O’Malley Dillon ein. Harris wird nun in in den „swing states“ weiter mobilisieren, bevor sie am Wahltag nach Washington zurückkehrt. Mit der Hoffnung, besser abzuschneiden als der letzte Vizepräsident, der ins Weiße Haus wollte, Al Gore, der 2000 die Wahlen nach einer Entscheidung des Supreme Court mit ein paar Hundert Stimmen Abstand auf George W. Bush verlor.