Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Ohne Anlass dürften die Kommunikationsdaten aller Bürger nicht gespeichert werden, entschied der Europäische Gerichtshof.
Laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag in Luxemburg ist die deutsche Vorratsdatenspeicherung mit EU-Recht nicht vereinbar. Demnach dürften die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger ohne Anlass nicht gespeichert werden. Nur unter bestimmten strengen Voraussetzungen sei eine begrenzte Datenspeicherung zulässig. Die Regelung liegt seit 2017 auf Eis.
Bei einer ernsten aktuellen oder vorhersehbaren Bedrohung für die nationale Sicherheit dürften Verkehrs- und Standortdaten allgemein vorübergehend gespeichert werden, erklärte der EuGH. Zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dürften Telekommunikationsanbieter für einen begrenzten Zeitraum dazu verpflichtet werden, bestimmte Daten zu speichern.
„Klare und präzise Regeln“ müssten dabei sicherstellen, dass die Voraussetzungen eingehalten würden. Außerdem müsse sichergestellt sein, „dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen“, sagte EuGH-Präsident Koen Lenaerts bei der Urteilsverkündung.
Regierung will Regelungen der Vorratsdatenspeicherung reformieren
In Deutschland wird seit Langem über die Vorratsdatenspeicherung gestritten. Die Bundesregierung vereinbarte in ihrem Koalitionsvertrag, Regelungen so auszugestalten, dass „Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Justizminister Buschmann favorisiert eine sogenannte Quick-Freeze-Regelung. Bei ihr werden Verbindungsdaten nur bei einem konkreten Anlass und auf richterliche Anordnung hin gespeichert.
Neben der FDP begrüßten auch die Grünen das EuGH-Urteil: „Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte“, erklärten die Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Helge Limburg.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU), derzeit Vorsitzender der Justizministerkonferenz, forderte, Spielräume müssten „vor allem zum Schutz der Kinder vor schweren Verbrechen genutzt werden“. Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) erklärte, bei der Verfolgung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie sei „die Zuordnung von IP-Adressen zu konkreten Anschlussinhabern oft der einzige Ansatz unserer Ermittler“.
Aktuelle Regelung seit 2017 ausgesetzt
Auch die Gewerkschaft der Polizei forderte die Bundesregierung auf, „eine für die Ermittlungsbehörden praxistaugliche Vorratsdatenspeicherung zu vereinbaren“. Gesetzgeberische Spielräume seien vorhanden. Die Deutsche Polizeigewerkschaft bedauerte das EuGH-Urteil. „Die polizeiliche Ermittlungsarbeit wird mit diesem Urteil erschwert“, erklärte ihr Bundesvorsitzender Rainer Wendt.
Der Telekommunikationsbranchenverband Bitkom teilte dagegen mit, es sei sinnlos, „sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten“. Die Politik sei aufgefordert, „andere und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen“.
Die aktuelle Regelung stammt von 2015, wird aber seit 2017 nicht mehr angewandt. Demnach müssen Telekommunikationsanbieter bestimmte Telefon- und Internetdaten ihrer Nutzerinnen und Nutzer vier oder zehn Wochen lang speichern. Ermittler sollen unter Umständen sehen können, wer mit wem wann telefonierte oder SMS austauschte, in welcher Funkzelle ein Handy eingeloggt war oder mit welcher IP-Adresse wie lange im Internet gesurft wurde.
Gericht: Eingriff in Grundrechte bedarf einer Rechtfertigung
Aus diesen Daten könnten aber sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben gezogen werden, erklärte der EuGH. Es handle sich um einen Eingriff in die Grundrechte, der gerechtfertigt werden müsse, was die aktuelle Regelung nicht leiste. Der EuGH betonte, dass er mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung bestätige. Auch eine französische Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gegen Marktmissbrauch und Insiderhandel erklärte er am Dienstag für rechtswidrig.
Ein weitergehendes früheres Gesetz in Deutschland war 2010 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gekippt worden. 2014 erklärte der EuGH die zugrunde liegende europäische Richtlinie selbst für nichtig. Gegen das Gesetz von 2015 klagten die Telekommunikationsanbieter Telekom und Spacenet. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig setzte das Verfahren aus und legte die Frage nach der Rechtmäßigkeit dem EuGH vor.