Auftakt der Zeugenvernehmung im U-Ausschuss: Polizeipräsident Stumpf verteidigt den Einsatz.

Stuttgart - Nach wochenlangem Vorspiel beginnt die Aufklärung. Am Montag hat der Untersuchungsausschuss des Landtags erste Zeugen zum umstrittenen Polizeieinsatz gegen die Stuttgart-21-Gegner gehört. Die Botschaft der Polizei: Alles geschah ohne Einflussnahme der Politik.

Acht Wochen ist der sogenannte schwarze Donnerstag inzwischen her. Aber das Interesse, wieso es an jenem 30. September in Stuttgart zu den schweren Ausschreitungen zwischen der Polizei und Stuttgart-21-Gegnern kam, ist ungebrochen. Als der Untersuchungsausschuss des Landtags am Montagmorgen mit der Zeugenbefragung beginnen will, platzt der reservierte Saal im Stuttgarter Landtag aus allen Nähten. Viele Gegner des Milliardenprojekts sind gekommen und wollen wissen, wie die Polizei jenen Tag erklärt.

Wurde der Einsatz von ganz oben eingeordnet?

Aber der Hauptzeuge dieses Tages, Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf, muss erst mal warten. SPD und CDU liefern sich ein verbales Gefecht, warum die Aktenflut erst vergangenen Freitag den Abgeordneten übergeben wurde. In der Kürze der Zeit sei die Einarbeitung unmöglich gewesen, kritisiert Andreas Stoch (SPD) und will die Zeugenbefragung vertagen. Ulrich Müller (CDU) kontert kühl: "Wir haben Samstag und Sonntag gearbeitet. Ich kann nichts dafür, dass Sie nicht vorbereitet sind." Es sind die Nickligkeiten bei Untersuchungsausschüssen, die das Klima zusätzlich anheizen, aber am Fahrplan nichts ändern.

Dann kommt Siegfried Stumpf. Mit der Aktentasche in der Hand geht er zum Zeugenstuhl, gibt ordnungsgemäß seine Personalien zu Protokoll und wird hernach vier Stunden mit Fragen gelöchert. Schnell zeichnet sich ab, dass da kein willfähriger Beamter sitzt, dessen Hände zittern, wenn der Ministerpräsident anruft. "Ich war nicht immer ein pflegeleichter Behördenleiter", blickt der 60-Jährige auf sein Berufsleben zurück. Soll heißen: Mir sagt so schnell niemand, was ich zu tun habe. Aber genau das ist die Frage dieses Untersuchungsausschusses: Wurde der Polizeieinsatz von ganz oben angeordnet? Nein und nochmals nein sagt Stumpf und formt Sätze wie "Das hatte mit der Politik nichts zu tun" oder "Man hat der Polizei freie Hand gelassen".

Ja, sagt Stumpf, es habe seit Juni mit der Bahn, der Stadt und den beteiligten Ministerien diverse Vorbesprechungen für den Tag X gegeben, an dem die Baustelle im Schlossgarten eingerichtet und die Bäume gefällt werden sollten. Und erstmals sei am 27. September der Einsatz der Wasserwerfer ins Spiel gekommen. "Die Entscheidung kam von mir." Aber nicht zur Vertreibung der Demonstranten, sondern um die Baustelle in der Nacht gegen erwartete Störer abzusichern.

"Proteste hatten eine neue Qualität"

Dass die grünen Ungetüme mit ihrem scharfen Strahl dann bereits am 30. September nachmittags aktiv wurden und obendrein Pfefferspray zum Einsatz kam, erklärt Stumpf mit "dem massiven Widerstand der Demonstranten, den wir so nicht erwartet haben", und mit der wachsenden Gefahr, "von der schieren Masse überrannt zu werden". Alle Aufrufe über Lautsprecher, die Blockaden der Wege und Fahrzeuge zu beenden, seien ignoriert worden. Stattdessen habe man die Beamten beleidigt und angegriffen. Die Proteste hätten "eine neue Qualität" gehabt, sagt Stumpf. "Es ging nicht mehr um eine politische Meinungsäußerung", es habe "nur noch den Zweck gehabt, die Polizei in ihrer Arbeit zu behindern". Dies sei nach geltendem Gesetz ein Rechtsbruch, deshalb sei der massive Einsatz "zulässig" gewesen.

Hans-Ulrich Sckerl mag das nicht akzeptieren. "Warum haben Sie nicht mit führenden Köpfen der Bürgerbewegung geredet?", fragt der Grüne. Das habe er sehr wohl versucht, entgegnet Stumpf, nämlich mit Sckerls Parteifreund Werner Wölfle. Mit dem habe er an jenem Tag telefoniert und ihn darüber informiert, dass die Polizei jetzt die Absperrungen im Schlosspark aufbauen werde. Es sei darum gegangen, so Stumpf, "einen zu erreichen, der mit den Leuten reden kann". Allein, es half nichts. Die Masse war nicht zu stoppen. SPD-Obmann Andreas Stoch hält Stumpf in diesem Zusammenhang eine "eklatante Fehleinschätzung" vor, "nicht so viele Leute erwartet zu haben". Ob er an einen Einsatzabbruch gedacht habe, als das Szenario immer bedrohlicher wurde? "Nein", sagt Stumpf, "diese Option hat sich für mich nicht gestellt."

Der Einsatz geht schief

Schon tags zuvor war er hartnäckig geblieben. Da hatten sich Politik und Polizei im Staatsministerium bei Ministerpräsident Stefan Mappus getroffen, um das Vorgehen zu beraten. Es habe Stimmen gegeben, die die Aktion "in den Oktober hinein verschieben wollten", so Stumpf, "aber keiner hatte den Königsweg". Schließlich folgte die Runde dem Polizeipräsidenten: "Ich war der Meinung, nicht länger zuzuwarten, weil die Proteste nur noch größer geworden wären." Niemand habe "grundsätzliche Bedenken gegen das Einsatzkonzept gehabt", so Stumpf, auch Mappus habe betont, das Vorgehen sei "Sache der Polizei".

So nimmt das Unheil am nächsten Tag seinen Lauf. Der Einsatz beginnt aus taktischen Gründen bereits um 10 statt um 15 Uhr, aber einige Polizeieinheiten aus anderen Ländern verspäten sich, die Anti-Konfliktteams sind auch noch nicht alle da. Der Einsatz geht schief. Das Ergebnis: Hunderte Verletzte und hässliche Bilder, die um die Welt gehen. Irgendwann, als das Chaos tobt, klingelt in der Einsatzzentrale bei Stumpf das Telefon. Am anderen Ende: die Personenschützer von Mappus. Stumpf schildert die Lage, dann reicht ein Leibwächter das Handy an den Ministerpräsidenten weiter. Stumpf: "Ich habe ihm in vier oder fünf Sätzen geschildert, wie der Einsatz läuft."