Die Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss zum Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten wiedersprechen sich Foto: Vogt

Wie man den Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten bewertet, ist eine Frage der Perspektive.

Stuttgart - Dass Polizisten und Demonstranten den 30. September im Schlossgarten ganz unterschiedlich beschreiben, kommt häufig vor und liegt wohl in der Natur der Sache. Doch nirgends sind die Widersprüche so groß wie bei der Schilderung des Wasserwerfereinsatzes.

Der Stuttgarter Theaterregisseur Volker Lösch hat den Polizeieinsatz am 30. September im Schlossgarten als eine Orgie der Polizeigewalt beschrieben. "Man konnte die Lust an der Eskalation erkennen", sagte der 47-Jährige vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags. Den Beamten habe es ersichtlich Spaß gemacht, die Demonstranten zu schlagen oder ihnen Pfefferspray unter die Brillengläser zu sprühen: "Offenbar gab es einen Freibrief."

Der Regisseur, der fast sechs Stunden mitdemonstriert hat, sprach von einer "martialischen Ästhetik" der Sicherheitskräfte, die wie eine "kleine Armee" aufgetreten seien. Trotzdem habe ein Lastwagen, der mit Absperrgittern beladen war, Stunden gebraucht, um in der Schar der Sitzblockierer voranzukommen: "Wegtragen erwies sich als sinnlos." Seiner Ansicht nach hätte die Polizei den Einsatz abbrechen müssen. Doch offenbar sei es darum gegangen, Stärke zu zeigen. Die Staatsgewalt habe jegliches Fingerspitzengefühl vermissen lassen und in der Wahl der Mittel völlig überzogen. Auf den Vorhalt, dass die Polizei dazu aufgerufen habe, das Gelände zu verlassen, sagte er: "Wir haben von unserem Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht.

Lösch warf der Polizei vor allem Willkür beim Einsatz der Wasserwerfer vor. Er habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Jugendlicher aus einem Baum "geschossen" wurde. Zu diesem Vorwurf, der auch von anderen Zeugen erhoben worden war, ließ sich der Ausschuss mehrere von Demonstranten gedrehte Videos vorführen. Die Polizei wiederum präsentierte Aufnahmen aus den Wasserwerfern und kombinierte diese mit Sequenzen aus dem Internet, so dass ein- und dieselbe Szene aus mehreren Blickwinkeln verfolgt werden konnte.

"Der Ministerpräsident wäre Vorschlag gefolgt"

Einen Beleg für den Vorwurf lieferten die Filmchen allerdings nicht. "Man könnte zwar den Eindruck haben, dass auf Bäume gezielt wird", sagte der Vizechef der Bereitschaftspolizei, Helmut Baumann. Doch andere Perspektiven widerlegen diese Wahrnehmung: Der Wasserstrahl trifft - zumindest auf diesen Videos - keinen der Baumbesetzer. Gegen diese Absicht spricht auch der mitgeschnittene Funkverkehr der Besatzung. An einer Stelle ist zu hören: "Den auf dem Baum lassen wir hocken." An einer anderen Stelle sagt ein Polizist im Wasserwerfer: "Nicht den vom Baum runterschießen ... da sitzt einer hinter dem Baum."

Doch warum hat die Polizei den Einsatz nicht abgebrochen, als sie sah, dass er komplett aus dem Ruder lief? Diese Möglichkeit des Rückzugs hatte ein Spitzenbeamter des Staatsministeriums zwei Tage zuvor sehr wohl durchgespielt. Es war Mappus' rechte Hand Michael Kleiner, der Leiter der Grundsatzabteilung, der in einem Aktenvermerk vor möglichen Gewalttätigkeiten und massivem Widerstand warnt. Doch es heißt dort auch: "Nach Beginn der Aktion kommt ein Abbruch nur im Notfall in Betracht."

Die SPD wertet dies als eindeutigen Beleg, dass man im Staatsministerium um das Konfliktpotenzial wusste und den Einsatz mit allen Mitteln durchziehen wollte. "Man hat sich sehenden Auges für die harte Linie entschieden, denn sonst macht man sich nicht vorher über einen Abbruch Gedanken", sagt SPD-Obmann Andreas Stoch. Er hält dies für ein weiteres Steinchen in einem Mosaik, in dem SPD und Grüne einen mehr oder weniger subtilen politischen Druck auf die Polizei erkennen.

Ein solches Steinchen ist für die Opposition auch der Umstand, dass der Baumeinschlag nicht in den Oktober verschoben wurde, sondern bereits am 30. September stattfand. Auf Druck von Ministerpräsident Stefan Mappus, der eine Woche später eine Regierungserklärung zu Stuttgart 21 halten wollte? Hubert Wicker, Staatssekretär in der Regierungszentrale, widersprach dieser Vermutung.

"Uns war allen klar, dass das kein einfacher Einsatz werden würde", so Wicker - doch der Termin sei auf Wunsch der Bahn auf den 30. September gelegt worden, weil sie rasch mit den Bauarbeiten beginnen wollte. Wenn der Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf einen anderen Tag favorisiert hätte, so Wicker, "dann wäre der Ministerpräsident dem Vorschlag gefolgt."