Der Polizeieinsatz gegen die S-21-Gegner hat ein parlamentarisches Nachspiel.

Stuttgart - Der massive Polizeieinsatz gegen die Stuttgart-21-Gegner hat ein parlamentarisches Nachspiel. Am Mittwoch richtet der Landtag einen Untersuchungsausschuss ein. Fünf Monate vor der Landtagswahl wächst die Unruhe in der CDU.

Die aktuelle Legislaturperiode nähert sich dem Ende, und trotz allem politischem Streit gab es seit der Landtagswahl 2006 keinen Untersuchungsausschuss. Nun aber, fünf Monate vor der Landtagswahl und somit in politisch höchst brisanter Zeit, gibt es doch noch einen. An diesem Mittwoch wird der Landtag auf Antrag der SPD einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Der offizielle Titel: "Aufarbeitung des Polizeieinsatzes am 30. September im Stuttgarter Schlossgarten." Der Untertitel könnte lauten: Warum eskalierte die Lage an jenem "schwarzen Donnerstag", wie er inzwischen genannt wird, auf diese Art? Wer gab grünes Licht für den massiven Polizeieinsatz mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Tausende Stuttgart-21-Demonstranten, darunter auch ältere Menschen und Jugendliche? Waren Ministerpräsident Stefan Mappus und Innenminister Heribert Rech (beide CDU) in die Entscheidung eingebunden?

Beide haben dies bisher stets verneint. Er mische sich nie "ins operative Geschäft der Polizei ein", hatte Mappus zuletzt mehrfach betont. Auch der Innenminister argumentiert ähnlich. Und die Polizeigewerkschaft hat wiederholt den Verdacht zurückgewiesen, da habe jemand ganz oben auf den Knopf gedrückt. Dennoch wächst in der Südwest-CDU die Sorge, im Untersuchungsausschuss könnten Besprechungsprotokolle oder Aktennotizen von Telefonaten ans Tageslicht kommen, die die ohnehin im Umfragetief gefangene Landesregierung in Erklärungsnot bringen. Selbst wenn es solche Dokumente nicht gibt, fürchten sie "die Macht der Bilder", wie es im Umfeld von Mappus heißt.

Im Wahlkampf sind solche Bilder der Super-GAU

"Wir wollen solche Bilder nie wieder sehen", hatte der Ministerpräsident nach dem "schwarzen Donnerstag" immer wieder darauf hingewiesen, dass sich eine derartige Eskalation nicht wiederholen dürfe. Nun aber werden die Aufnahmen von blutenden Demonstranten und heulenden Jugendlichen "immer wieder zu sehen sein", glaubt ein führender Koalitionär in Erwartung des Untersuchungsausschusses. Da könne die CDU landauf, landab noch so sehr fürs Milliardenprojekt Stuttgart 21 werben, solche Bilder seien "auch geneigten Unionswählern schwer zu vermitteln". Soll heißen: Im Landtagswahlkampf sind sie der mediale Super-GAU - selbst wenn es parallel Dokumente gibt, die zeigen, wie gewalttätig manche Demonstranten waren.

Nur, der CDU sind die Hände gebunden. Ursprünglich wollten nur die Grünen den Untersuchungsausschuss einsetzen, sie allein hätten dafür aber nicht die nötige Mehrheit im Landtag gehabt. Dann aber kam der SPD-Landesparteitag in Ulm, wo ein Antrag der Jusos für den Untersuchungsausschuss eine Mehrheit fand. Dabei hatte der innenpolitische Sprecher Reinhold Gall kurz nach dem Polizeieinsatz einen solchen Ausschuss noch als unnötig abgelehnt. Kein Wunder, dass CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk die Kehrtwende der Sozialdemokraten bitterböse wertet. Erneut verhalte sich "die SPD wie die Fahne im Wind". Es sei "beschämend", so Hauk, "sich von der eigenen Nachwuchsorganisation so vorführen zu lassen".

Im November soll der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen

Das alles ändert aber nichts mehr an der Tatsache, dass der Untersuchungsausschuss am Mittwoch die nötige Mehrheit finden wird und Anfang November mit seiner Arbeit beginnen soll. Fünf Abgeordnete der CDU, drei von der SPD sowie je einer von FDP und Grünen werden in das Gremium entsandt. Der Vorsitz steht diesmal der CDU zu. Seit Tagen wird deshalb hinter den Kulissen gerungen, wer diese heikle Aufgabe übernimmt. "Das darf keiner sein, der zusätzliche Angriffsfläche bietet. Das muss einer sein, der so etwas schon mal gemacht hat oder standhaft ist", lautet das Anforderungsprofil. Als Favorit gilt der Landtagsabgeordnete Winfried Scheuermann, ein parlamentarisches Urgestein, das bereits die Untersuchungsausschüsse Atomaufsicht (2002) und Messe Sinsheim (2005) leitete. Aber auch Ex-Umwelt- und Verkehrsminister Ulrich Müller sowie Christoph Palm, zuletzt Chef im Sonderausschuss Amoklauf Winnenden, werden gehandelt.

Selbst mit einem erfahrenen Parlamentarier an der Spitze bleibt der Verlauf eines solchen Untersuchungsausschusses freilich unkalkulierbar. Der beste Beleg: Als vor wenigen Jahren der Untersuchungsausschuss Flowtex versuchte, den politischen Einfluss in dem milliardenschweren Betrugsskandal aufzuklären, war nach der Befragung der Zeugen mehr unklar als klar. Irgendwann verhedderte sich der damalige Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) in einer falschen Aussage und trat schließlich zurück. Kurz darauf musste auch seine Parteikollegin, Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck, ihren Stuhl räumen, weil sie im Verdacht stand, Döring diverse Dienstgeheimnisse verraten zu haben.

An solche Konsequenzen mag derzeit in der CDU niemand denken - auch wenn zu erwarten ist, dass neben Polizisten aus dem Einsatz jenes Tages auch Mappus, Rech und Umweltministerin Tanja Gönner in den Zeugenstand gerufen werden. "Wir haben nichts zu verbergen", meint ein Vertrauter des Ministerpräsidenten selbstbewusst, aber natürlich bleibe "immer ein Restrisiko". Das sehen auch andere in der Koalition so. "Der Polizeieinsatz war definitiv der Tiefpunkt in dem ganzen Drama um Stuttgart 21. Das hätte nie passieren dürfen", sagt einer aus dem CDU-Landesvorstand. "Wenn wir die Wahl am 27. März verlieren, dann haben wir sie am 30. September verloren", ergänzt ein anderer. Für Unverständnis sorgt nicht zuletzt die Kommunikationsstrategie nach jenem Donnerstag. "Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Polizei so lange gebraucht hat, um die Beweisvideos von den gewalttätigen Demonstranten vorzulegen", moniert ein Abgeordneter. Immer wieder gab es zuletzt Vermutungen, die Bilder seien geschönt worden, um das brutale Vorgehen der Polizei zu relativieren. Beweise sind bisher aber nicht bekannt.

CDU könnte weiter in die Defensive gedrängt werden

So steuert die Landes-CDU beim Thema Stuttgart 21 auf einen heißen Rest-Herbst zu. Nicht nur, weil parteiintern die Arbeit von Schlichter Heiner Geißler als "unkalkulierbar" eingestuft wird, sondern weil der Untersuchungsausschuss die Regierungspartei weiter in die Defensive drängen könnte. Offiziell, so ist es das Ziel der SPD, soll der Ausschuss spätestens Ende Januar 2011 seine Arbeit beenden. Insider gehen aber davon aus, dass die Opposition nichts dagegen haben wird, wenn es länger in Richtung Wahltermin gehen wird. Ein erfahrener Parlamentarier meint dazu: "Draußen wird's jetzt kalt und nass, die Demonstrationen werden weniger. Aber drinnen ist es trocken. Da ist viel Zeit zur Aufarbeitung."