Ein ganzes Läuferleben: Horst Seeger hat seine Schuhe auf der Terrasse ausgelegt. Foto: Seeger Foto: Schwarzwälder Bote

Ausdauersport: Von wegen Rentner: Meinrad Beha (66) und Horst Seeger (80) sind ständig in Bewegung

Horst Seeger ist ein Phänomen. Der 80-Jährige aus Mönchweiler läuft und läuft und läuft. Nicht, weil er muss, sondern weil’s ihm einfach Spaß macht.

Mönchweiler/Unterkirnach. Um die 145 000 Kilometer hat der Langstreckler vom Lauftreff (LT) Unterkirnach in den Beinen, und er ist noch längst nicht müde. Da zieht auch Lauftreff-Chef Meinrad Beha mit Hochachtung den Hut.

"Laufen ist ein Lebensgefühl. Man kann es alleine oder in der Gruppe tun, ambitioniert oder in Ruhe. Und man kann dabei abschalten, nachdenken, ja sogar manchmal Probleme lösen", sagt Seeger, und der muss es schließlich wissen. Der gebürtige Stuttgarter, der als kleiner Junge nach Mönchweiler kam, nachdem Kriegsbomben sein schwäbisches Zuhause zerstört hatten und dessen Vater 1942 beim Russland-Feldzug zu Tode kam, war schon in frühen Jahren von der Leichtathletik fasziniert.

Zuerst lag der Schwerpunkt auf dem Sprint, sukzessive wurden die Distanzen aber länger. Schon mit 16 lief er die 5000 Meter in bemerkenswerten 15:35 Minuten – das Ziel war klar formuliert: Leistungssport sollte es sein. Doch mit 18 war zunächst einmal Schluss. Beruf und dann die Gründung einer Familie gingen vor. Erst zehn Jahre später zog Seeger – inzwischen Vater einer Tochter – das Trainingspensum wieder an, zunächst jedoch nur als Ausgleich zum beruflichen Stress ohne jegliche Wettkampf-Ambitionen, das Ganze unter dem Dach der TG Schwenningen.

Ganz vorbei scheint der Wettkampfspaß noch nicht zu sein

Richtig spannend wurde es erst viel später. Seeger war inzwischen 50 und Abteilungsleiter bei den Schwenninger Hommel-Werken (jetzt Jenoptik). "100 Kilometer pro Woche, das wurde zu meinem durchschnittlichen Trainingspensum", erzählt er. Und weil sein läuferisches Talent ohnehin stark ausgeprägt war, kamen die Erfolge prompt und zudem Schlag auf Schlag.

Mit 53 Jahren gewann er den Ultra-Lauf Genf-Basel über 320 Kilometer – ohne Ruhetag, versteht sich. Inzwischen hat Seeger 450 Langstreckenrennen über unterschiedlichste Distanzen absolviert. Seine grandiose Bilanz: 250 Siege, 70 zweite und 30 dritte Plätze in den jeweiligen Altersklassen. "100 Mal war ich nicht auf dem Treppchen", rechnet er mit einem Schmunzeln vor.

Seit drei Jahren verzichtet er auf Wettkämpfe, nur noch Training – auch auf Inline-Skates und mit dem Mountainbike – stehen auf dem Programm. Inline-Rennen hatte ihm seine Frau Margarete ohnehin schon vorher verboten, der Nerven wegen, ihrer eigenen wohlgemerkt. Nach einem Sturz hatte sich ihr Mann blutüberströmt ins Ziel gekämpft. "Ich wollte nicht aufgegeben und habe mehr Beifall an der Strecke geerntet als alle anderen. Aber meine Frau musste nach dem Rennen wegen der Aufregung von den Sanitätern behandelt werden", schildert er lachend die damalige Szenerie.

Mit 70 absolvierte er seinen 70. Marathon, fortan beschränkte er sich vorzugsweise auf die halbe Distanz und heimste weiterhin Altersklassen-Siege en masse ein. Bei den baden-württembergischen Straßenmeisterschaften 2015 in Weinheim gewann Seeger, inzwischen 77 Jahre alt, den Titel im Halbmarathon in 1:40,58 Stunden. So ganz vorbei scheint der Wettkampfspaß allerdings noch nicht zu sein: Demnächst steigen die Landestitelkämpfe auf der Straße.

Für einen Halbmarathon reicht es nicht, aber vielleicht für den 10-er, "einfach so, ganz locker aus dem Training heraus", wie er versichert. Halbmarathon deshalb nicht, weil er nach einem Leitersturz mit Krankenhausaufenthalt ("das ärgert mich, da war ich leichtsinnig") noch nicht hundertprozentig fit ist.

Bei Seegers Schilderungen muss Meinrad Beha immer wieder grinsen. Das inzwischen 66-jährige Lauf-Ass mit grandioser Trophäensammlung erinnert sich noch gut daran, wie er den Oldie einst nach Unterkirnach gelotst hat: "Ich habe ihn immer mal wieder beim Laufen gesehen und einfach gefragt, ob er nicht bei uns mitmachen wolle", schildert der Lauftreff-Chef die Umstände des Wechsels von der TG zum LT.

Die Trophäensammlung von Meinrad Beha ist schier unüberschaubar

Seeger hat sein Ja ebenso nie bereut wie Beha die damalige Anfrage. "Er ist unser großes Vorbild, immer gut drauf, kann mit allen, vor allem auch mit den jungen Damen", schildert der Chef des 1978 von Friedel Tischler unter dem Dach des FC Unterkirnach gegründeten Lauftreffs lächelnd. Seit 1997 leitet Beha dort die Geschicke des inzwischen eigenständigen Vereins.

Auch für Beha ist Laufen ein intensives Lebensgefühl, "doch man muss aufpassen, es kann leicht zur Sucht werden". So wie bei ihm, das signalisiert zumindest die unüberschaubare Trophäensammlung. Egal ob Marathon (auch zweimal in Bräunlingen), Halbmarathon, Gelände- und Bergläufe, darunter die Klassiker in Zermatt und Davos, Beha sammelte Siege serienweise. So viele, dass er sich einmal nach einem gewonnenen Rennen unter der Dusche einen Disput zweier Konkurrenten anhören musste, der in der Feststellung gipfelte: "Der Beha wieder, der ist immer da, wenn es etwas abzusahnen gibt."

Als leidenschaftlicher Teamplayer steht er vielen zur Seite

Seine Ausdauergrundlagen – inzwischen hat er "so um die 200 000 Kilometer" in den Beinen – wurden auf durchaus spezielle Art gelegt: Als Briefträger in Oberkirnach spulte der gebürtige Unterkirnacher unzählige Kilometer zu Fuß ab. "In meinem roten Rucksack waren auf dem Hinweg zu den Höfen Päckchen, zurück lag das eine oder andere Stück Speck drin", lobt er noch heute die Gastfreundschaft der Bauern. "In fast jeder Küche habe ich damals gevespert."

Dann kamen die Bundeswehr und "eine leichte Wampe". Abhilfe musste her. Der Rest ist hinlänglich bekannt. Momentan kann Beha nicht so, wie er gerne wollte: Ischias-Probleme. Doch sie sind am Abklingen. "Als ich unlängst mit Krücken durch den Ort gegangen bin, haben viele hinter vorgehaltener Hand wahrscheinlich gesagt, ›das musste ja so kommen‹", mutmaßt er lachend.

Sich selbst sieht er nicht gerne im Fokus, viel lieber den Lauftreff als Ganzes. Er ist ein leidenschaftlicher Teamplayer und Ansprechpartner für viele. Egal ob Bambini, Senioren, Spitzen- oder Hobbyläufer beiderlei Geschlechts, Beha steht allen mit Rat und Tat zur Seite und gewährt gerne auch Einblick in seinen reichen Erfahrungsschatz.

Wundermittel hat er nie genommen, gibt Beha zu: Mal zwei Tafeln dunkle Schokolade am Vorabend eines Wettkampfes oder Wasser mit etwas Salz vor dem Rennen. Seine wertvolle Erkenntnis: "Manchmal hat’s geholfen, beim nächsten Mal wieder nicht."