Alpen-Expedition der Familie Richter hallt noch nach / 1000 Kilometer gemeinsam durch dick und dünn
Von Birgit Krause-Sittnick
Schwarzwald-Baar-Kreis. Es war schon eine abenteuerliche Idee, die Klaus Richter mehrere Wochen lang "ausbrütete": Mit der ganzen Familie 1000 Kilometer zu Fuß über die Alpen bis ans Mittelmeer.
Zwei Jahre sind vergangen, seit er mit seiner Frau Silke und den Söhnen Marius (15 Jahre), Mathis (14), Lorenz (11) und Linus (9) tatsächlich zu dieser außergewöhnlichen Reise auf dem Weitwanderweg GTA (Grande Traversata delle Alpi) aufbrach. Und noch immer hallt das rund zweimonatige Abenteuer nach. Die Vorträge der Richters, die vor sieben Jahren aus der Villinger Innenstadt auf einen Hof aus dem Jahr 1674 im Rötenloch bei Unterkirnach zogen, sind gefragt. Dabei ist das Faszinierende für die Zuhörer nicht die Tour an sich, ist Klaus Richter überzeugt, sondern "dass wir das als Familie gewagt haben". Die Expedition hat Eltern und Kindern vieles abverlangt, sie aber auch um vieles reicher gemacht und zusammengeschweißt. Das wird aus ihren Erzählungen deutlich.
Entspannt sitzt die Familie abends am rustikalen Holztisch vor ihrem Hof. In einer Vase steht ein Strauß frischer leuchtend-bunter Wiesenblumen. Die Stimmung ist gelöst. Immer wieder flitzt eine Katze um den Tisch herum. Linus, der Jüngste, schleppt stolz einen ganzen Korb voll kleiner Kätzchen herbei. Marius, der Älteste, fehlt in der Runde. Er hilft bei der 72-Stunden-Aktion.
Wie war das vor zwei Jahren? Jedes Familienmitglied hat da seine persönlichen Erinnerungen, die wieder lebendig werden. "Es sind Erlebnisse, die prägen – das bleibt", sagt Silke Richter. Sie denkt gerne an die "unglaubliche Gastfreundschaft" zurück, die die Familie immer wieder erfahren hat. Zum Beispiel von Marco, der die Familie aufnahm, als sie extrem mit schlechtem Wetter zu kämpfen hatte. Und sie erinnert sich gerne an den Tag danach, als sie drei Pässe bewältigten und von 2800 Metern auf die Po-Ebene blickten. "Da waren wir bei der kaputten Hütte und ich hatte Bauchweh. Drum war ich mit Mama so weit hinten", sprudelt es aus Linus nur so heraus. "Es gab auch Tage des Hungers und der Abweisung", berichtet Klaus Richter. "Man weiß jetzt, wie man sich fühlt, wenn man Hilfe braucht", ergänzt Mathis. "Bei Marco haben wir beschlossen, jeden Wanderer bei uns zu Hause zu bewirten", erinnert sich der 14-Jährige noch genau. Und willkommen fühlt man sich tatsächlich bei den Richters in dieser Naturidylle.
Klaus Richter hat den Blick auf die Westalpengipfel Matterhorn und Gran Paradiso sechs Tage, bevor sie das Ziel erreichten, noch in Gedanken vor sich. "Man sah den Weg zurück und nach vorne und schon ein Stückchen Meer. Da sagten meine Kinder: Jetzt ist es egal, wenn du dir den Fuß brichst, Papa. Wir tragen dich", erzählt er lächelnd. So sehen starke Familienbande wohl in der Praxis aus.
"Es war schon interessant, die Kinder so viel um sich zu haben. Keiner konnte flüchten oder sich aus dem Weg gehen", sagt der Familienvater, der als Mitinhaber einer Firma im Muster- und Prototypenbau in Mönchweiler beruflich viel beschäftigt ist. Er habe die intensive Zeit sehr genossen, "auch wenn an Krisentagen keiner mit dem anderen konnte".
"Klaus und ich waren uns immer einig", schildert seine Frau Silke, "auch als Mathis und Marius mal gestreikt haben". Doch trotz Zoff unter den Brüdern und kleineren "Meutereien", letztlich überwog das Gemeinschaftsgefühl und die Verantwortung, was die Eltern stark beeindruckte.
Sie war ein Wagnis, diese Tour. Körperlich fit und bergerprobt stellte nicht die weite Strecke die größte Herausforderung dar. "Es war eine Kopfsache", meint Klaus Richter. Sich immer wieder motivieren, schwierige Situationen meistern, sich gegenseitig aushalten und dazu noch der Verzicht auf Annehmlichkeiten. Familie Richter beschränkte sich auf das Allernötigste. 59 Tagesetappen, tägliche Gehzeiten von mehreren Stunden, Übernachtung meist im Freien unter der Zeltplane, oft ein wenig üppiger Speiseplan – das klingt nicht gerade nach Entspannungsurlaub. Den wollten die Richters auch gar nicht. Die Eltern gingen schon früher immer in den Bergen klettern. Und auch ihre Söhne teilen diese Leidenschaft.
Nur mit dem Wandern haben’s die vier Jungs nicht mehr so. "Ich habe immer wieder das Gefühl, die Kinder laufen nicht mehr gerne", schmunzelt Silke Richter und blickt amüsiert in die Runde. "Ich geh nur noch Bergsteigen oder klettern", so viel steht für Mathis fest. Der Zweitälteste geht sogar noch einen Schritt weiter: "Jetzt kommt die Zeit, wo wir nicht mehr mit Mama und Papa klettern gehen", sagt er selbstbewusst.
Klaus Richter sieht das gelassen. Er hat seinen Kindern schon immer viel zugetraut. "Sie sind sehr verlässlich geworden", weiß er. Kein Wunder, dass die beiden Ältesten über Pfingsten erstmals allein mit zwei Freunden zum Klettern an den Teufelsfelsen bei Triberg durften. Denn ihre Eltern wissen spätestens seit dem großen Familienabenteuer: Die packen das.