Anfang 2020 war für Skispringer Stephan Leyhe aus Hinterzarten eigentlich schon alles vorbei: Bei einem Sturz in Trondheim riss er sich das Kreuzband. Und doch hat er es geschafft und ist in Peking dabei. Mehr Probleme bereitete ihm eher die Logistik des Kofferpackens.
Kollege Markus Eisenbichler freut sich abseits der Skisprungschanzen am meisten "auf eine Peking-Ente", da will der Hinterzartener Stephan Leyhe allerdings nicht mithalten, wie der Olympiafahrer lachend erklärt. "Ich bin eher nicht auf Essen bedacht", sagt der 30-Jährige, "sondern freue mich eigentlich darauf, auf dem Flug hoffentlich die chinesische Mauer von oben zu sehen." Dieses Interesse hat einen ganz einfachen Grund: "Aufgrund meines Studiums – Architektur – bin ich eher an Gebäuden interessiert als am Essen."
Der ruhende Pol
Gerade hat der "ruhende Pol in der Mannschaft", wie es Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher ausdrückt, zwei Heimweltcups hinter sich, einer in Titisee-Neustadt und einer im hessischen Willingen. "Ich glaube, es gibt nicht viele, die das von sich behaupten können", erklärt Leyhe verschmitzt, "bei mir ist die Situation einfach, dass ich in der Jugend den Ort gewechselt habe, aber immer noch sehr heimatverbunden bin."
Olympia das große Ziel
Seit seinem Kreuzbandriss hatte der Jetzt-Schwarzwälder immer nur ein Ziel vor Augen: Olympia! Und deshalb ist er trotz aller Form-Schwankungen der letzten Zeit einfach froh, dabei zu sein. "Meine Saison geht ein bisschen hoch, ein bisschen runter – so wie halt auch mein Leistungsstand einfach im Moment ist." Dass er sich aber so schnell wieder zurückgekämpft hat ins Weltcup- und jetzt sogar ins Olympiateam, das macht ihn schon stolz. "Ich bin sehr zufrieden, dass ich es bis hierher geschafft habe in dem Niveau, Top-Ten-Plätze zu schaffen."
Ehrgeiz zu höheren Zielen
Der geordnete, ruhige Aufbau war exakt der richtige Weg, und daher will er nicht überziehen mit seinen Erwartungen an Peking. Allerdings weckt es schon den Ehrgeiz, wenn man wieder die Weltspitze von Nahem sieht: "Klar, sprungtechnisch will man immer mehr, und die eigenen Erwartungen – und auch wahrscheinlich die Erfahrung von außerhalb – gehen halt mit den Ergebnissen immer höher."
Bundestrainer erwartet Sprung nach vorn
Bundestrainer Horngacher erwartet von Leyhe in Peking einen Sprung nach vorne – und er selber auch. "Ich hab‘s auch irgendwo gelesen, dass mir die Schanze in der Höhe mit Rückenwind entgegenkommen sollte. Ich war selber noch nicht drüben und bin gespannt, wie es auf der Schanze funktionieren wird", stapelt der Hinterzartener tief, um dann doch zuzustimmen, "dass es grundsätzlich stimmt, weil meine Stärken einfach im Absprung liegen und mir kleine Schanzen oder auch Schanzen auf großer Höhe wie in Peking auf 1700 Höhenmetern mit wenig Druck unter dem Ski sehr entgegenkommen." Zudem kennt er das Gefühl bei Olympia zu starten, "also das ganze Prozedere drumherum", weshalb er die Aufgabe tiefenentspannt angeht.
Eine Medaille ist drin
Natürlich setzt auch Leyhe auf die deutschen Vorspringer Eisenbichler und Karl Geiger, aber auch für ihn tut sich eine große Medaillenchance auf der Schanze auf: beim Teamwettbewerb. Nach Lage der Dinge dürfte er als Konstantester hinter dem Top-Duo gesetzt sein, auch wenn es zuletzt zäher lief als zu Saisonbeginn. Trotz der ganzen Testerei in China ist die Vorfreude bei Leyhe "sehr groß. Jeder Sportler, dessen Disziplin olympisch ist, will einmal zu diesen Olympischen Spielen fahren, und ich darf es jetzt das zweite Mal tun."
"Ich freu mich riesig"
Und das bei der riesigen Konkurrenz im eigenen Lager. "Die Chance war einfach sehr, sehr gering bei einer so starken Mannschaft, das hätte mich genauso gut treffen können, dass ich nicht mitfahre aufgrund der Verletzung", verrät Leyhe, was ihm durch den Kopf ging, als er sich 2020 in Trondheim bei einem Sturz das Kreuzband riss: "Oh Shit, Peking ist nicht mehr so weit entfernt!" Aber es hat ja gereicht, und "ich freu mich einfach riesig drauf".
Logistische Probleme
Das letzte Haupt-Problem war logistischer Natur, denn direkt nach dem letzten Weltcup in Willingen stand der Abflug nach Peking auf dem Programm. Und das sorgte für ungeahnte Probleme: "Ich habe mich fast einen ganzen Nachmittag damit beschäftigt, welche Klamotte ich in welche Tasche packe und welche ich dann aufpacken muss in Willingen, weil sie sowohl in Willingen benötigt wird als auch in Peking!" Aber mit Hilfe ausgeklügelten Nachdenkens und "der einen oder anderen Liste" hat Stephan Leyhe auch diese Hürde umschifft und geht jetzt das Abenteuer Peking an. Und überdies: "Das wichtigste ist eigentlich, dass wir unsere Sprungklamotten dabeihaben!"