Gitta Bertram und Veronica Munin-Glück (von links) sind die Initiatorinnen des Kunstprojekts in Sulz. Foto: /Marzell Steinmetz

Die beiden Künstlerinnen Gitta Bertram und Veronica Munin-Glück stehen hinter der „Halle 16“ in Sulz am Neckar, die sich zu einer festen Größe in der Kulturlandschaft Sulz und Umgebung entwickelt hat. Als sie auf der Suche nach einem Atelier waren, überzeugte sie der Charme des alten Gebäudes mit seinen Stahlträgern, der Verglasung und dem natürlichen Licht.

Zwei Jahre kommen Gitta Bertram so vor, als seien es zehn. Seit der Eröffnung der „Halle 16“ am 16. März 2023 hat sich auch viel getan. Das Projekt war zunächst nur auf ein Jahr angelegt, jetzt ist es aus der Kulturlandschaft Sulz und Umgebung nicht mehr wegzudenken.

 

110 Veranstaltungen und 229 Regelangebote im Jahr 2024

Das verdeutlichen Zahlen: 2024 fanden in der Halle 110 Veranstaltungen und 229 Regelangebote wie Singen, Tanzen oder Schach statt. An 50 Tagen wurden Workshops abgehalten, mehr als 4000 Besucher sind gezählt worden. Der Projektraum für Kunst hat gleich nach dem Start rasant Fahrt aufgenommen. Befürchtungen, allein „dazuhocken“, hatten sich für die Initiatorinnen Gitta Bertram und Veronica Munin-Glück schnell zerstreut.

Charme des alten Gebäudes

Kennengelernt hatten sie sich bereits 2021 beim Kulturtag mit Schaufensterausstellungen auf dem Sulzer Marktplatz. Auf der Suche nach einem „coolen Ort für ein Atelier“ sind sie wenig später auf die Werkshalle Gerster gestoßen. Der morbide Charme des Gebäudes aus dem Jahr 1937, die filigranen Stahlträger und nicht zuletzt die Verglasungen, die natürliches Licht ins Innere lassen, faszinierten die Künstlerinnen. Das lade zum Zusammentreffen von Menschen ein, um Kunst zu machen, sagte Veronica Munin-Glück bei der Eröffnungsveranstaltung vor zwei Jahren.

Bunte Fassade mit großer „16“ an der Giebelwand

Die Fassade der Halle ist inzwischen bunt, die große 16 an der Giebelwand zum Markenzeichen geworden. Neben dem Eingang steht auf einer Tafel: „Jeder ist hier willkommen. Auch du gehörst dazu.“

„Halle 16“ ein offenes Haus

Die „Halle 16“ war von vorneherein als offenes Haus mit offenen Ateliers konzipiert. Mit dazu gehört, dass bei Ausstellungen, Konzerten oder Lesungen kein Eintritt verlangt wird, sondern nur Spenden erbeten werden. Die auftretenden Künstler sollen auf jeden Fall Gage erhalten. Das ist möglich, weil der Projektraum inzwischen von einer größeren „Community“, von Förderern – auch staatlicherseits – und Unterstützern am Leben gehalten wird.

Im Winter leider „ein bisschen frisch“

Lediglich im Winter ist es ruhig in der ungeheizten Halle. „Es ist ein bisschen frisch“, untertreibt Veronica Munin-Glück, die aber dennoch in der kalten Jahreszeit hier arbeitet. Großformatige Werke stehen in ihrem Atelier, einige noch nicht ganz fertig. Sie liebt, wie sie sagt, das je nach Tageszeit wechselnde Licht, das durch die vielen Fenster in die Halle flutet. Das wirkt inspirierend.

Beobachter bei der Arbeit

Gleich daneben hat Gitta Bertram ihren Arbeitsbereich. Für beide war es anfangs gewöhnungsbedürftig, dass ihnen Besucher zuschauen können und das Gespräch suchen; oft dann, wenn es mal in einer Konzentrationsphase nicht passt. Künstler zeigen normalerweise nicht gern ihre Bilder in einem unfertigen Zustand. „Alle meine Künstlerfreunde sagen, bist du wahnsinnig“, schildert Gitta Bertram deren Reaktion.

Kunsterziehung und Englisch im Lehramt studiert

Sie hat Kunsterziehung und Englisch im Lehramt studiert. Über den Maler Rubens hat sie ihre Doktorarbeit geschrieben. Mit Malerei auf Leinwand und Drucktechnik beschäftigt sie sich jetzt wieder intensiver. Momentan malt sie an einem Karaoke-Bild.

Vieles möglich in der Halle

In der Halle ist vieles möglich – sogar Karaoke-Events, zu denen die beiden Künstlerinnen als begeisterte Sängerinnen gerne einladen. Eine Gesangsanlage mit Bildschirm gehört zum Inventar. Aber was hat das mit Kunst zu tun?

Karaoke eine Möglichkeit, sich mit der Stimme zu beschäftigen

Für Gitta Bertram ist Karaoke eine Möglichkeit, sich mit der eigenen Stimme zu beschäftigen und Fertigkeiten auszuprobieren. Dazu brauche man einen niederschwelligen Zugang. „Mich macht Musik glücklich“, meint Veronica Munin-Glück, „Karaoke finde ich wunderbar, weil es auch eine gemeinsame Sache ist.“ Nicht jeder mag das, räumen sie ein. Dennoch: Singen hat einen festen Platz im Programm gefunden und wird, wie das „Singen für alle“ mit der Musikerin Christine Schneider, sehr gut angenommen. Die Sulzer Inklusionsgruppe, die sich zuvor im Stadtgarten getroffen hatte, fand in der „Halle 16“ eine neue Heimat. Die Mitglieder haben für den Weihnachtsmarkt „Sulz erstrahlt“ verschiedene Dekorationen hergestellt. So hat sich der Projektraum mittlerweile zu einem soziokulturellen Ort entwickelt, der viele Begegnungen zulässt und nicht zuletzt Barrieren abbaut.

Kunst ein weites Feld

Kunst ist eben auch ein weites Feld. „Es gibt sehr viele Definitionen“, erklärt Gitta Bertram, „wir versuchen aber, nicht zu werten. Der persönliche Geschmack darf kein Kriterium sein“.

Was sich in der Halle abspielt, sollen die Menschen entscheiden

Was sich in der Halle abspielt, sollen daher die Menschen entscheiden, die sich engagieren. Der künstlerische Anspruch bleibt nichtsdestoweniger erhalten, nur sind die Grenzen fließend.

Wichtig sei, dass es überhaupt einen Ort für ästhetische Bildung gebe. Und der sollte, so Gitta Bertram, nicht gerade in einem Keller sein.