Die Ateliers im Bildhauerbau dürfen auf unbestimmte Zeit nicht betreten werden. Die Ursache für den Einsturz einer Decke ist noch unklar. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

In einem Atelierraum an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ist eine Decke eingestürzt. Zwei Studentinnen wurden dabei leicht verletzt. Besteht ein Zusammenhang mit einer Sprengung für den S21-Tunnelbau?

Stuttgart - Es begann mit einem leisen Grummeln. Lucia Gödicke und ihre Kommilitonin Blerta Osmani saßen am 21. März, einem Dienstag, in einem Atelier im Obergeschoss des dreigeschossigen Bildhauerbaus an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste am Killesberg in Stuttgart. Der Hund zu Füßen der beiden Studentinnen, die sich auf einem Sofa in der hintersten Ecke des Raums befanden, fing an zu bellen. Das Grummeln ging in ein bedrohliches Grollen über. „Raus hier“, rief Lucia Gödicke intuitiv. Als die 23-Jährige als erste die Tür erreichte, stürzte die Decke des Ateliers ein. „Ich habe nur noch eine riesige Staubwolke gesehen“, sagt sie. Ihre 25-jährige Kommilitonin kam kurz nach ihr aus dem Atelier. „Ich weiß nur noch, wie ich was auf den Kopf bekommen habe, meine Hände über den Kopf hielt – und im nächsten Moment lag ich plötzlich auf dem Boden und krabbelte durch den Schutt und die Staubwolke hysterisch aus dem Raum heraus“, sagt Blerta Osmani.

Die Studentinnen riefen um Hilfe, Werkstattleiter nahmen sich der beiden an. Der Kanzler der Akademie, Martin Böhnke, kam hinzu. An den jungen Frauen zog alles vorbei wie ein Film: „Wir standen unter Schock“, sagt Gödicke. Schließlich sei nicht nur der Putz von der rund vier Meter hohen Decke gekommen, sondern die gesamte Konstruktion – eine Gipsrohrmattendecke auf Holzunterkonstruktion. „Wir hätten erschlagen werden können“, sagt Gödicke. Am Abend gingen beide Studentinnen in ein Krankenhaus, dort seien vor allem bei Blerta Osmani blaue Flecke und Schnittwunden am ganzen Körper festgestellt worden, berichten sie.

Blaue Flecke und Schnittwunden am ganzen Körper

Martin Böhnke verständigte den Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg, dem die Gebäude der Kunstakademie gehören. Handwerker sperrten diesem zufolge noch am selben Tag den gesamten Bildhauerbau ab. Danach hätten Mitarbeiter des Landesbetriebs, eines beauftragten Architekturbüros und einer Fachfirma den Schaden besichtigt und aufgenommen. „Bisher kann sich allerdings niemand so recht erklären, wieso das passiert ist“, sagt Böhnke.

Der dreigeschossige Bildhauerbau wurde 1955 erbaut und ist rund 1100 Quadratmeter groß. Etwa 40 Studierende arbeiten üblicherweise dort – in der Bildhauerwerkstatt, in der Metallwerkstatt und in den Ateliers. Das Gebäude sei zwar recht alt, ein typischer Nachkriegsbau, so Böhnke. Es zeige sonst keine Zersetzungserscheinungen und sei ein stabiles Haus – es müsse wegen der Werkstätten einiges vertragen.

Die betroffenen Studierenden haben eine eigene Hypothese, wie es zu dem Einsturz gekommen sein könnte. Sie haben recherchiert und einen möglichen räumlichen wie zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Deckeneinsturz und der S-21-Baustelle gefunden. „An diesem Dienstagnachmittag fand um 15.50 Uhr eine Sprengung im Bereich Killesberg statt – um 16.30 Uhr ist dann die Decke eingestürzt“, sagt Gödicke. „Klar, die Akademie steht auf dem Tunnel“, räumt der Kanzler ein, „aber einen Zusammenhang zu Stuttgart 21 herzustellen, das wäre reine Spekulation.“

Deutsche Bahn hält Sprengung nicht für ursächlich

Ein DB-Sprecher bestätigt die „Sprengung um 15.50 Uhr am Tunnel Feuerbach an der Achse 258.“ Er sagt jedoch: „Mit dem Tunnelbau befinden wir etwa auf Höhe der Birkenwaldstraße 200 – die Entfernung bis zur Akademie beträgt etwa 250 Meter“. Die Oberflächensetzung, also die Erschütterung, sei sehr schwach, da innerhalb des gesetzlichen Rahmens. „Ich kenne den Schaden nicht, aber die Werte, die uns vorliegen, deuten nicht auf einen Zusammenhang zwischen Sprengung und dem Deckeneinsturz hin“, so der DB-Sprecher.

Vom Landesbetrieb Vermögen und Bau liege der Deutschen Bahn keine Schadensmeldung vor, berichtet er. Auf Anfrage dieser Zeitung, warum dies so sei, antwortet Roland Wenk, der Leiter von Vermögen und Bau: „Bis zu Ihrer heutigen Fragestellung wusste das Amt Stuttgart nichts von der erwähnten Sprengung“. Man wolle auch nicht darüber spekulieren. Andere mögliche Ursachen könnten im Bereich Materialversagen, Materialermüdung gesucht werden. Auch Konstruktionsmängel seien denkbar. „Theoretisch könnten auch Belastungen der Unterdecke ursächlich sein“, so Wenk.

Auch Kunstwerke der Studenten sind betroffen

Blerta Osmani berichtet, dass es bereits vor dem Einsturz große Risse an den Wänden und Decken gegeben hätte – und zwar nicht nur in besagtem Atelierraum. „Im Altbau sind auch einige Räume mit Rissen an den Decken zu finden“, behauptet die Studentin. Roland Wenk hingegen gibt an, dass keine andere Gebäude betroffen oder gefährdet wären.

Wie geht es weiter? „Der von dem Schaden betroffene Raum wird umgehend wiederhergestellt. Die benachbarten Bereiche mit vergleichbarer Deckenkonstruktion werden wir vor einer erneuten Nutzung überprüfen lassen und gegebenenfalls sichern oder sanieren“, berichtet Wenk.

Blerta Osmani, Lucia Gödicke und Kasper Leisner, der als dritter im Atelierraum untergebracht war, wissen nicht, wann sie diesen wieder beziehen können. Weder sie noch die rund 40 weiteren Studierenden, die Ateliers im Bildhauerbau nutzen, haben ein Ausweichquartier zur Verfügung gestellt bekommen. Am meisten schmerze jedoch, dass auch künstlerische Werke der drei Studierenden im Raum waren, an denen sie teils jahrelang gearbeitet hatten. Was davon übrig ist, wissen sie nicht.