Die Ja-Initiative hat es geschafft. In Hüfingen wird die unechte Teilortswahl jetzt wieder eingeführt. Foto: Sigwart

Hüfingen führt die unechte Teilortswahl wieder ein. Wie sind die Reaktionen einen Tag nach der Entscheidung?

Hüfingen - Ganz an der Spitze liegt Fürstenberg: Hier haben sich 89 Prozent der Wähler für die unechte Teilortswahl ausgesprochen. Es folgen die anderen Ortsteile. Am anderen Ende der Skala liegen die Kernstadt-Wahllokale. Wobei hier auffällig ist: Die Wahlbeteiligung liegt hier deutlich unter 40 Prozent. Doch die Briefwahlergebnisse dürfen hier nicht außer acht gelassen werden, denn insgesamt liegt die Wahlbeteiligung beim Bürgerentscheid bei 70 Prozent.

Hier hat die Mehrheit gegen die unechte Teilortswahl gestimmt. Am deutlichsten sieht man das im Wahllokal Lucian-Reich-Schule: 64,3 Prozent sprachen sich für die Beibehaltung des aktuellen politischen Systems aus. Doch gereicht hat das am Ende nicht: 53,9 Prozent aller Wähler wollen, dass die Dörfer wieder einen garantierten Sitz am Ratstisch haben.

Mundelfingen

"Es war uns von Anfang an klar, dass dies kein einfacher Weg sein wird, die unechte Teilortswahl in Hüfingen wieder einzuführen", sagt der Mundelfinger Ortsvorsteher Michael Jerg. Die unterschiedlichen Stimmenpotenziale wären einfach zu groß. "Aber wir haben es geschafft und darüber sind wir sehr glücklich, da jetzt wieder sichergestellt ist, dass alle Ortsteile von Hüfingen ab 2024 eine gesicherte Vertretung im Gemeinderat haben werden", erklärt Jerg am Tag nach der Entscheidung. Dies entspreche dem allgemeinen Demokratieverständnis, dass auch Minderheiten ein Mitspracherecht in einem großen Ganzen haben müssten.

"Bewusst war uns ebenfalls, dass wir uns nicht mit einem übermächtigen Gegner, dem interfraktionellen Bündnis anlegen, sondern dass wir insbesondere Zuspruch und Verständnis bei den Kernstadtbürgern in Hüfingen wecken wollten", erklärt Jerg. "Viele Bürgerinnen und Bürger der Kernstadt waren von Anfang an auf unserer Seite und sahen eine gesicherte Mitsprache der Ortsteile von Hüfingen als Garant für ein gutes und freundschaftliches Miteinander auf Augenhöhe ja, als demokratische Selbstverständlichkeit", erklärt der Mundelfinger Ortsvorsteher und fügt hinzu: "Das haben wir so nicht erwartet und waren diesbezüglich auch etwas überrascht, da das interfraktionelle Bündnis ein ganz anderes Meinungsbild von der Realität suggerierte." Doch nun soll auch an der politischen Zukunft gearbeitet werden: "Dem interfraktionellen Bündnis reichen wir die ausgestreckte Hand, damit wir die leichten Furchen, die vielleicht entstanden sind, schnell und gemeinsam wieder zu planieren. Wir wollen ein gemeinsames Hüfingen, mit all seinen liebenswerten Ortsteilen und Eigenheiten die dies mit hervorbringt, denn es ist richtig, wir alle sind Hüfingen", sagt Jerg und nimmt damit Bezug auf den Wahlslogan der Gegenseite.

Behla

"Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist positiv, schön und ich habe mich sehr gefreut", sagt Christoph Martin, Ortsvorsteher von Behla und fügt hinzu: "Ich weiß, dass es vielen nicht gefällt, aber ich halte es richtig für die Zukunft meines Dorfes." Und natürlich um die Zukunft der anderen Dörfer. "Wir Ortsvorsteher sind jetzt so dicke, so etwas gab es bislang noch nie." Nun müssten aber alle auch nach vorne blicken. "Wir haben zwar gewonnen. Aber ich würde nicht sagen, dass wir die Sieger sind", so Martin. Gemeinsam müsse man wieder an der Sache arbeiten. "Uns ging es ja nur darum, dass das auf Augenhöhe geschieht und dass wir respektiert werden." Nun zementiere dies ein Bürgerwille und dieser müsse auch respektiert werden. Als Beispiel führt Martin die Feuerwehr an. Denn feiern konnte der Ortsvorsteher von Behla nicht lange. Gegen 23 Uhr wurde die Feuerwehr alarmiert, weil das Ökonomieteil eines Mehrfamilienhauses in Flammen stand. "Es waren alle Feuerwehren da, von den Ortsteilen und auch aus der Kernstadt. Ich habe kein einziges böses Wort wegen der unechten Teilortswahl gehört", sagt Martin und fügt hinzu: "Die Kommunalpolitik könnte sich ein Beispiel an der Feuerwehr nehmen."

Sumpfohren

"Ich war gestern Abend richtig geflasht und sehr glücklich", sagt Ancilla Batsching; Ortsvorsteherin von Sumpfohren. Es sei absehbar gewesen, dass es eine enge Sache werden würde. Sicher sei sie sich vor der Wahl nicht gewesen, dass sich die Mehrheit der Hüfinger für die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl aussprechen werde. Aber die Hoffnung hatte sie. "Aber es ist gut, dass es nun vorbei ist und wir können wohl alle mit dem Ergebnis leben", sagt die Ortsvorsteherin. Jetzt ginge es darum, weiterzumachen und die Gräben wieder zuzuschütten, das ist ihr Ziel. Und natürlich freue sich Sumpfohren auch: "2024 werden wir wieder einen Stadtrat haben." Was die Sumpfohrenerin auf jeden Fall beibehalten möchte, ist die enge Zusammenarbeit mit den anderen Ortsvorstehern. In der ganzen Diskussion über die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl waren die fünf Ortsteil-Chefs näher zusammengerückt. "Es geht nur gemeinsam", sagt Batsching. Die Zeiten, in denen jeder Ortsteil sich nur für seine Belange einsetze, wären vorbei. So etwas wie 2015, als in der Kindergarten-Diskussion jeder Ortsteil nur die Hausaufgaben für seinen eigenen Bereich gemacht habe, wären eindeutig vorbei. Erste Projekte wären auch schon geplant. Eines freut die Ortsvorsteherin besonders. Gerade die jungen Sumpfohrener hätten eine klare Entscheidung getroffen. "Die mussten wir eigentlich nicht überzeugen, für viele von ihnen war gleich klar, dass sie die unechte Teilortswahl wollen", sagt Batsching.

Fürstenberg

Zum Feiern ist Werner Bäurer, Ortsvorsteher von Fürstenberg, noch gar nicht gekommen. Am Sonntag hatte er Wahldienst, am Tag danach musste er um vier Uhr morgens aufstehen und in den Stall. "Es ist gut gelaufen, jetzt können die Gegner zurückrudern", sagt Bäurer. Was allerdings die Emotionalität, mit der der Wahlkampf in den vergangenen Wochen geführt worden ist, anbelangt, war es dem Fürstenberger Ortsvorsteher dann doch manchmal ein bisschen zu viel. "Ich habe die Sache entspannt gesehen." Doch die neue Einigkeit zwischen den Ortsteilen gefällt ihm. "Das war ja das Problem, dass sich die Ortschaften gegenseitig nicht unterstützt haben", erklärt Bäurer. Denn wenn die Wähler aller fünf Teilorte auch für die Kandidaten der anderen Ortsteile gestimmt hätten, wäre die Wahl 2019 ganz anders ausgegangen. "Dann hätte es auch für die Kandidaten der Ortsteile gereicht", erklärt der Fürstenberger Ortsvorsteher. Mit der unechten Teilortswahl habe man eben seine 18 Stimmen ganz einfach verteilt: 15 Stimmen für die Kernstadt-Kandidaten und drei Stimmen für die Fürstenberger. Viele hätten nach der Änderung des Wahlsystems 2017 ihr Abstimmungsverhalten beibehalten und daher habe es für die Ortsteil-Kandidaten nicht gereicht. "Aber nächstes Mal klappt es ja wieder. Und dann sind wir Ortsteile nicht mehr nur Zuschauer in der Gemeinderatssitzung." Und wie sieht es mit den Gräben aus? "Oje, das wird schon schwierig", sagt Bäurer, der aber daran arbeiten will, dass sie wieder zugeschüttet werden. "Es wird jetzt ein paar Wochen Missstimmung geben, aber dann legt sich das hoffentlich wieder."

Hausen vor Wald

"Es ist doch gut so, wie es gelaufen ist", sagt Hans-Peter Münzer, Ortsvorsteher von Hausen vor Wald, und fügt hinzu: "Und nach der nächsten Wahl haben wir wieder einen Gemeinderat und sind nicht vom politischen Geschehen ausgeschlossen." Und die Hüfinger Ortsteile würden einfach zur Gesamtstadt gehören. "Ohne die Ortsteile wäre Hüfingen nicht so vielfältig, denn jeder Ortsteil hat seinen eigenen Charakter." Nun gelte es, das Ergebnis des Bürgerentscheides zu akzeptieren. "Das ist Demokratie und das ist auch gut so", sagt der Ortsvorsteher von Hausen vor Wald, der ein Fan von Bürgerentscheiden ist. "Gott sei dank gibt es die. Man weiß ja auch nicht, ob ein Gemeinderat mit seinen Entscheidungen immer richtig liegt", so Münzer allgemein zum Bürgerentscheid. Stimmungstechnisch sieht er kein Problem. "Von meiner Seite her ist alles gut gelaufen." Er habe mit keinem Streit gehabt und habe nun auch nicht vor, das noch nachzuholen. "Ich glaube nicht, dass der Bürgerentscheid und sein Ergebnis noch Nachwehen haben."

Reaktionen der Fraktionen

"Wir danken allen Wählern für die Teilnahme des von unserer Fraktion beantragten Bürgerentscheids. Das Vertrauen ist nicht in Worte zu fassen! Standen wir bei derselben Fragestellung in der Abstimmung im September 2020 im Gemeinderat als Fraktion alleine da, wissen wir nun über 2200 einzelne Befürworter hinter unserem Wunsch der gesicherten Mitsprache aller Teile der Stadt auf Augenhöhe", freut sich Michael Steinemann, BFSO/Grünen-Sprecher und Initiator der Wiedereinführung der unechten Teilortswahl. Was den Unterschied gemacht hat? Steinemann zählt auf: Minderheitenschutz, Bürgernähe, Stimmrecht in einer Gemeinschaft. Das wären die besseren Argumente als "ungültige Stimmzettel" oder "Ausgleichssitze" gewesen. Über die direkte Ansprache und eine ehrliche, sachliche und offene Art habe die Ja-Initiative die Bürger ermuntern können, sich zu beteiligen. Dies zeige auch die hohe Wahlbeteiligung von knapp 71 Prozent. "Dies ist bei einem Bürgerentscheid sensationell und womöglich einmalig", freut sich der junge Mundelfinger und fügt hinzu: "Das Ergebnis war schwer abzuschätzen. Auf unserer Gegenseite standen immerhin zwei Bürgermeister und drei Fraktionen, die ihr Umfeld sehr emotionalisiert haben. Nun muss sich die Stimmung wieder normalisieren." Für die künftige Gemeinderatsarbeit sieht sich Michael Steinemann gestärkt: "Es bleibt die Hoffnung, dass in Zukunft unsere Worte im Gemeinderat mehr Gehör finden werden. Unser Unverständnis über die Gemeinderatsentscheidung im vergangenen Jahr, als sich mit Ausnahme unserer Fraktion alle Stadträte und der Bürgermeister gegen die Wiedereinführung der unechten Teilortswahl aussprachen, wurde am vergangenen Sonntag bestätigt." Nun gelte es respektvoll aufeinander zuzugehen.

"Dass es knapp wird, damit habe ich gerechnet", sagt Adolf Baumann, FW/FDP-Fraktionssprecher. Selbstverständlich könne er mit der Entscheidung leben, auch wenn er nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er gegen die Einführung der unechten Teilortswahl ist. "Ich habe immer gesagt, wenn die Entscheidung im Bürgerentscheid getroffen ist, dann ist sie getroffen." Mundelfingen war der einzige Ortsteil, der mit Baumann und Michael Steinemann sogar zwei Stadträte am Ratstisch hat. Auch 2024 wird das so sein, weil Mundelfingen zu den großen Ortsteilen gehört. Für Baumann macht es einen Unterschied: Schließlich war im Vorfeld viel argumentiert worden, dass die Ortsteile ihre Sitze ohne unechte Teilortswahl verlieren, wenn langjährige und vor allem bekannte Stadträte aufhören, ihren Sitz verlieren, weil die jungen Kandidaten nur schwer an Stimmen kommen würden. Für Baumann wäre dies auch ohne unechte Teilortswahl kein Problem gewesen. "Es muss klar sein, dass man nicht am Sessel und am Mandat klebt und Erbhöfe gibt es eben nicht. Man muss akzeptieren, was bei einer Wahl rauskommt."

"Wegen dem geht die Welt nicht unter. So fanatisch bin ich nicht", sagt der CDU-Fraktionssprecher Christof Faller. Für ihn sei die unechte Teilortswahl nicht ganz demokratisch, aber "der Wähler will es anders und dann machen wir es eben anders." Natürlich sei man im ersten Moment auch etwas enttäuscht gewesen, wenn man sich für eine Sache einsetzt und nachher kommt es anders. "Ich hoffe, dass wir die Gräben wieder geschlossen bekommen", sagt Faller. Das interfraktionelle Bündnis habe keine Gräben aufreißen wollen. Allerdings wären auch im Wahlkampf ein paar Sachen passiert, aber er wolle nun keine schmutzige Wäsche waschen, schließlich müsse man nun wieder zusammenarbeiten. "Und das Klima im Hüfinger Gemeinderat ist eh nicht mehr so toll, wie es einst war", sagt Faller.

"Ich verspüre eine Aufbruchsstimmung", sagt SPD-Fraktionssprecherin Kerstin Skodell. Der Bürger habe entschieden, das müsse man akzeptieren und nun könne man wieder zur Sachpolitik zurückkehren. Das interfraktionelle Bündnis habe einen fairen und ehrlichen Wahlkampf geführt, was sie von der anderen Seite nicht immer behaupten könne. Nun müsse man mit dem Bruch umgehen und es sei eine schwierige Aufgabe, wieder zum Alltag zurückzukehren. Das sei nun Sache der Fraktionen. Schließlich hätten die Gemeinderäte auch einen Eid abgelegt, sich für Hüfingen einzusetzen und zum Wohle der Stadt zu handeln. "Ich will aber die Gemeinschaft, die wir in Hüfingen haben, behalten", sagt die SPD-Fraktionssprecherin und fügt hinzu: "Ich will das jetzt auch nicht mehr diskutieren. Die Entscheidung ist getroffen und wir müssen einen Strich drunter machen."

Reaktion des Bürgermeisters

"Wir haben ein klares Ergebnis, das erfreulicherweise auf der Basis einer guten Wahlbeteiligung steht", sagt Bürgermeister Michael Kollmeier. Bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent habe der Bürgerentscheid auch eine hohe Legitimation. Das sei für ihn immer der wichtigste Punkt gewesen. Bei den Kernstadt-Wahllokalen, deren Wahlbeteiligung unter 40 Prozent liegt, müsse man berücksichtigen, dass dort noch 826 Stimmen von der Briefwahl dazu kommen.

2024 wird Hüfingen dann bei der Kommunalwahl die unechte Teilortswahl wieder haben. "Für uns als Verwaltung ist die Einführung eigentlich nicht mit viel Aufwand verbunden", sagt Kollmeier. Es benötige einfach eine Änderung der Hauptsatzung. Diese müsse dann noch durch den Gemeinderat. Aber das Ergebnis des Bürgerentscheids sei bindend, sodass die Hauptsatzung geändert werden muss.

Dieses Wahlsystem wurde in Baden-Württemberg 1972 fast flächendeckend eingeführt, um kleineren Ortschaften ein Mitbestimmungsrecht zu garantieren. Das Wahlsystem der unechten Teilortswahl garantiert jedem Ortsteil eine bestimmte Anzahl an Sitzen im Gemeinderat – diese Anzahl richtet sich nach dem Verhältnis der Bevölkerungszahlen. Kritiker sehen durch das System die Ergebnisse verzerrt. Kandidat A aus einem Ortsteil kann mit weniger Stimmen in den Gemeinderat einziehen als Kandidat B aus einem anderen Ortsteil. In Hüfingen wurde sie 2007 abgeschafft, jetzt wird sie wieder eingeführt.