Zwei Spitzenkandidaten, die eigentlich für Schwarz-Grün stehen: Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt führen die Grünen in die Bundestagswahl Foto: dpa

Soll es dabei bleiben, dass die Grünen ohne eindeutiges Bekenntnis zu einer Koalition in den Wahlkampf gehen? In der Partei hat die Debatte um eine Neuorientierung begonnen.

Berlin - Dass Politik ganz schön paradox sein kann, erleben die Grünen zur Zeit: Monatelang wurde in den Medien lustvoll über schwarz-grüne oder rot-rot-grüne Optionen nach der Bundestagswahl spekuliert, obwohl die (natürlich stets mit Vorsicht zu genießenden) Meinungsumfragen eine wie auch immer gefärbte Regierungsbeteiligung der Ökopartei eigentlich gar nicht hergaben. Kaum scheint dank des SPD-Höhenflugs, den die Ernennung des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Martin Schulz ausgelöst hat, laut den (natürlich stets mit Vorsicht zu genießenden) Umfragen ein rot-rot-grünes Bündnis möglich zu werden, wird die Lage der Grünen als ziemlich desolat eingeordnet.

Der Preis, den die Partei für die zahlenmäßige Untermauerung wenigstens einer Regierungsoption zahlen muss, ist allerdings hoch. Denn während die Grünen mit 61600 Mitgliedern einen neuen Höchststand erreicht haben, kennen die Umfragen seit einem Jahr nur eine Richtung: nach unten. Verschärft schlägt der Abwärtstrend seit Schulz’ Ernennung durch. Der Zuspruch für ihn geht – auch – auf Kosten der Grünen.

Am 21. Februar vermaß ein Institut den bisherigen Niedrigstand bei 6,5 Prozent. Entwarnung gibt in der Partei niemand, auch wenn zwei Umfragen die Grünen tags darauf wenigstens wieder bei sieben beziehungsweise acht Prozent verorteten.

Aufgeschreckte Stimmung

Der „Spiegel“ beschreibt die Grünen mit ihren Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt angesichts der jüngsten Entwicklungen schon als „Hänsel und Gretel“, die sich im Wald verirrt haben. Die „Bild“-Zeitung sieht die Partei durch den Schulz-Effekt „geschreddert“. Zitate von Spitzen-Grünen werden wahlweise als Signal eines notwendigen Kurswechsels interpretiert oder als Anwanzversuch der Grünen an die erstarkende SPD gegeißelt.

Komfortabel ist die Lage am Beginn des Wahljahres nicht. Nach dem monatelangen Urwahl-Prozess kamen die dabei gekürten Spitzenkandidaten nicht wirklich aus den Startlöchern. Linke wie rechte Flügelvertreter beschreiben die Stimmung als aufgeschreckt. Wie die Grünen sich nun genau fürs Wahljahr aufstellen sollen, erregt die Gemüter. Das gilt verschärft für Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo die Grünen um ihren Verbleib in der jeweiligen Landesregierung kämpfen, und in der Bundestagsfraktion, wo viele Abgeordnete sich ausrechnen können, dass sie den Wiedereinzug ins Parlament verpassen, wenn der Trend so bleibt, wie er ist.

Der linke Flügel-Exponent Jürgen Trittin hatte seine Partei „angesichts einer zunehmenden Rechts-Links-Polarisierung der Gesellschaft“ aufgefordert, „klarer zu sagen, auf welcher Seite wir stehen: auf der Seite der offenen Gesellschaft, der globalen Gerechtigkeit und ökologischen Verantwortung“. Es komme jetzt auf die Mobilisierung der Menschen an. „Wir Grüne müssen den Mut zur Zuspitzung aufbringen und eine klare Kampfansage gegen die Flüchtlings- und Europa-Politik von Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Horst Seehofer formulieren.“ Zuletzt hat die baden-württembergische Landeschefin der Grünen, Sandra Detzer, dagegen gehalten und gemahnt, keine Koalitionspräferenz zu Gunsten der SPD zu zeigen. „Wir gehen als Grüne eigenständig in die Wahl“, sagte sie in Stuttgart. „Es macht überhaupt keinen Sinn, sich an irgendjemanden zu binden.“

„Wir bleiben beim Kurs der grünen Eigenständigkeit“

Doch so konfrontativ, wie das klingt, wird die Kursfrage nicht diskutiert. In der Parteizentrale hat man auch registriert, dass die Grünen-Wähler, die in den vergangenen Jahren eine ungewöhnlich klare Präferenz für die amtierende Kanzlerin hatten, Merkel-skeptischer werden. Dass nach Schulz Aufstieg zum Herausforderer nun wieder ein echtes Kanzlerduell möglich ist, beschert den Grünen die Herausforderung, im Schatten der beiden übermächtigen Pole überhaupt sichtbar zu werden. In dieser Analyse sind sich die Vertreter beider Flügel weitgehend einig. Unterschiede gibt es in der Frage, wie stark das Alleinstellungsmerkmal der ökologischen Kompetenz mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit verknüpft werden soll, und wie selbstverständlich sich die Grünen für einen Wechsel im Kanzleramt stark machen.

Doch Anwälte einer Koalitionsaussage für Rot-Rot-Grün finden sich derzeit nicht. Auch der linke Flügel weiß um das Glaubwürdigkeitsproblem, das entstehen würde, wenn die Leitlinie, ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf zu ziehen, abrupt zur Disposition gestellt würde. „Wir sind sehr einig, dass wir den Kurs der grünen Eigenständigkeit bewahren“ sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. „Unser Markenkern ist und bleibt die ökologische Modernisierung, der gesellschaftliche Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit.“ Der Entwurf des Wahlprogramms wird am 10. März vorgestellt.