Foto: Leif Piechowski

Er hat rund 1200 Freunde bei Facebook – und es werden mehr. Eigentlich ist das nichts Besonderes, wäre er 15. Doch Albrecht Hoch ist 51. Weil die Jugendlichen nicht in die Kirche kommen, bringt der evangelische Pfarrer aus dem Stuttgarter Osten die Kirche ins Kinderzimmer – via Internet.

Stuttgart - Flink huschen seine Finger über die Tastatur. Pfarrer Albrecht Hoch ist auf seiner Facebook-Seite im Internet und weiß: Jetzt, um 10 Uhr, postet kaum einer seiner Freunde. Es sei denn heimlich – unter der Schulbank. Die meisten von Hochs Freunden sind Schüler, 11 bis 18 Jahre alt. Und die posten je nach Alter zwischen 20 Uhr abends und 1 Uhr morgens. Vor drei Jahren hat der Gottesmann mit dem Posten begonnen. Posten, das bedeutet: Nachrichten in einem Internetforum wie Facebook an einen oder mehrere Empfänger, die sogenannten Freunde, zu schreiben. Die können dann die Nachrichten an ihre Freunde schicken – und die wiederum an ihre. Wer will, postet dem Pfarrer zurück.

„Einer meiner Religionsschüler hatte Krebs und wollte während seines Klinikaufenthalts mit mir in Kontakt bleiben“, erinnert sich Hoch an seine Anfänge als Facebook-Pfarrer. Der Schüler ist mittlerweile wieder gesund, der Pfarrer aber postet noch immer. Denn sein Freundeskreis wuchs ruck, zuck nach dem Schneeballsystem. Und das brachte Hoch auf eine Idee: Warum das Internet nicht als Möglichkeit nutzen, um sein Netz als Menschenfischer auszuwerfen? „Wir müssen die Menschen für die Kirche gewinnen. Kommen sie nicht in die Kirche, muss die Kirche zu ihnen kommen“, ist er überzeugt und stellt seitdem seine Predigten auf Facebook. „Das sind keine langen Texte, sondern drei, vier provozierende Sätze, die zum Nachdenken anregen sollen. Manchmal stelle ich auch eine Karikatur dazu“, sagt Hoch. Im Gegensatz zu den Predigten herunter von der Kanzel kommt er damit bei den Jugendlichen an. „In meinen Sonntagsgottesdiensten sitzt keiner. Aber auf die Facebook-Predigten reagieren Dutzende“, sagt der Pfarrer. Die Reaktionen reichen von Zuspruch bis Kritik. Auch der stellt sich Hoch. „Internetforen haben den Vorteil, dass man nicht über die Köpfe der Menschen hinweg predigt, sondern sie ihre Meinung dazu äußern können.“

Ebenso wenig wie in die Gottesdienste kommen Jugendliche bei persönlichen Problemen in die Sprechstunde des Pfarrers im Gemeindehaus. Im Netz genieren sie sich dagegen nicht, den Pfarrer bei Schwierigkeiten in der Schule, mit den Eltern oder in der Liebe um Rat zu fragen. Per Facebook hat der Pfarrer mitgeholfen, ein Mädchen, dass mehrere Tage verschwunden war, dazu zu bewegen, nach Hause zurückzukehren. „Ich konnte ihr klarmachen, das sich durch Weglaufen keine Probleme lösen lassen.“ Ein anderes Mädchen wollte wissen, wie sie rausfinden kann, ob ihr Freund sie wirklich liebt. „Frag ihn doch einfach, statt Versteck zu spielen, hab’ ich geantwortet“, sagt Hoch. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Nutzer seiner Facebook-Seite sich nur anfangs hinter Fantasienamen verstecken. „Mittlerweile weiß ich bei den meisten, um wen es sich handelt. Einige kenne ich aus der Gemeinde, andere vom Religionsunterricht und manche gar nicht.“

„Ich bin kein Teenager, sondern 51. Ich kann und will mich nicht anbiedern“

Vertrauen baut der Pfarrer dadurch auf, dass auch er Persönliches preisgibt. So hat er die Todesanzeige für seine Mutter auf Facebook gestellt. „Die Nutzer wollen schließlich wissen, mit wem sie es zu tun haben“, begründet er die Einblicke in seine eigene Seele. Aber es gibt Grenzen für Hoch: „Ich bin kein Teenager, sondern 51. Ich kann und will mich nicht anbiedern. Das würden die Jugendlichen merken und den Kontakt auf Facebook abbrechen.“ Etwa 45 Minuten steckt Hoch pro Tag in die Facebook-Seelsorge. Auf die Nachrichten im Netz reagiert er möglichst sofort. Die meisten seiner „Freunde“ melden sich eine Zeit lang, lassen dann plötzlich nichts mehr von sich hören – und dafür steigen andere ein.

Trotz Schulunterricht geht an diesem Vormittag kurz nach 10 Uhr doch eine Nachricht auf Hochs Facebook-Seite ein. Sie stammt von Mustafa. Der junge Muslim will mit dem Pfarrer über die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist diskutieren. Wie das funktioniert haben soll, begreift er nicht. Er und Mustafa posten sich bereits seit ein paar Wochen immer mal wieder. Dabei geht es auch um das Thema Gewalt. „Davon distanziert sich Mustafa. Aber zum Islam will er mich trotzdem bekehren“, lacht Hoch. Bekehren will auch Hoch, indem er die Glaubensinhalte nicht nur per Neuer Medien verbreitet, sondern sie auch so rüber bringt, „dass die jungen Menschen etwas damit anfangen können“.

www.facebook.com/albrecht.hoch