Protest-Spruchband des Commando Cannstatt Foto: cc97

Die organisierte Szene des VfB Stuttgart nutzte die Bühne des Spiels gegen den FC St. Pauli für Protest. Das steckt dahinter.

Beim Spiel des VfB Stuttgart gegen den FC St. Pauli am vergangenen Freitag war eine große Bühne gegeben. Einzelspiel, Flutlicht, große TV-Präsenz. Die VfB-Anhänger wussten dies zu nutzen. Mit einer großen Choreo wurde der Pokaltitel vom vergangenen Mai in Berlin gefeiert. Es war bereits die zweite große Choreografie im zweiten Heimspiel der Saison oder, saisonübergreifend gesehen, die vierte große Choreo in Folge, das Pokalfinale mit einbezogen.

 

Nach der Feierei waren im weiteren Spielverlauf Meinungsäußerung und Protest angesagt. Dabei bekamen so einige Adressaten ihr Fett weg. Etwa AR-Vize Lutz Meschke, der den Anhängern weiterhin ein Dorn im Auge ist. Oder der Club selbst, dessen pompös präsentierter neuer Markenauftritt offenbar nicht überall gut ankam.

Protestaktion der Szene beim Spiel gegen FCSP. Foto: Pressefoto Baumann/Volker Mueller

Doch das war nicht das Thema, das von den Stuttgarter Ultras, allen voran vom Commando Cannstatt, ins Visier genommen wurde. Ihnen ging es um die Überwachungssoftware Gotham des US-Unternehmens Palantir. „Polizei und Demokratiefeinde Hand in Hand? Massenüberwachung stoppen – Palantir verhindern!“ stand auf einem großen Spruchband zu lesen, das im Spielverlauf in der Cannstatter Kurve präsentiert wurde. Warum das alles, fragen Sie sich?

Warum protestieren Fußballfans gegen eine Software?

Nun, dazu muss man etwas weiter ausholen. Die Gotham-Software ist in Baden-Württemberg seit einiger Zeit ein politisches Streitthema. Die Polizei hat die umstrittene Software für viele Millionen eingekauft und einen langfristigen Vertrag mit dem Anbieter geschlossen. Obwohl sie diese noch gar nicht nutzen darf. Das sorgte insbesondere bei den Grünen für großen Unmut. Mittlerweile ist der politische Streit beigelegt, ein Kompromiss gefunden. So bekam man unter der Zusage, KI nicht einzusetzen und eine Vertragsverlängerung (wäre nach viereinhalb Jahren möglich, Anm. d. Red) auszuschließen, die Koalitionspartner an Bord.

Die Parteien argumentieren zudem damit, dass Gotham nur eine Übergangslösung sein soll, man arbeitet an einem eigenen System, das bis Vertragsende fertig sein soll. Gotham kommt in Deutschland bereits zum Einsatz, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen arbeiten mit der Software, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Informationen aus verschiedensten Datenbanken verknüpfen und auswerten kann und so eine neue Dimension an Überwachung bieten soll. Vertreter von Polizeigewerkschaften begrüßen den Einsatz nach „ersten positiven Erfahrungen“.

Genau darauf zielen sowohl Datenschützer wie Campact oder der Chaos Computer Club als auch Organisationen wie Amnesty International und die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die dadurch Grundrechte verletzt sieht, argumentativ ab. Sie alle halten den Einsatz der Software für hochproblematisch. „Wir wissen nicht, was der Code kann und wie der Code analysiert. Im schlimmsten Fall kann das bedeuten, dass wir nicht wissen, ob es nicht irgendwelche Datenlecks gibt, ob es Möglichkeiten zum Missbrauch gibt oder ob es Möglichkeiten gibt, dass unbefugt auf Daten zugegriffen werden kann. Wir sprechen hier über polizeiliche Daten, die sehr sensibel sind“, sagt etwa die Juristin des Vereins, Franziska Görlitz.

Datenschützer und Ultras haben Bedenken

Auch die Ultras zielen darauf ab, sehen sie sich zudem auch selbst im Visier als Subkultur, die es regelmäßig mit Überwachungsmaßnahmen und Repression zu tun hat. „Es ist Zeit für die Zivilgesellschaft, laut zu werden: Mit dem Einsatz von Palantir soll der Polizei Baden-Württemberg ein Instrument an die Hand gegeben werden, das einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Bürger darstellen würde“, heißt es in einer Mitteilung der Gruppe.

Sie setzen weiter auf Protest, denn: Noch ist eine finale Entscheidung nicht getroffen, die Rechtsgrundlage hierfür fehlt bisher ebenso. Frühestens im kommenden Frühjahr könnte es so weit sein. Daher ist damit zu rechnen, dass die Bemühungen der organisierten Szene, den Software-Einsatz zu verhindern, fortgesetzt werden– auch aus dem Bewusstsein heraus, in der Vergangenheit mit derlei Protesten zumindest kleine Erfolge erzielt zu haben. So waren auch die Stuttgarter Ultras 2019 Teil des sogenannten „NoPolGBW“-Bündnisses. Damals gingen rund 50 Organisationen auf die Straße, um gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes zu demonstrieren. Das kam 2021 dann zwar dennoch, allerdings mit Stärkungen des Schutzes personenbezogener Daten im polizeilichen Bereich.