In Friedenburg (Niedersachsen) werden Kavernen für die Einlagerung von Gas und Erdöl genutzt. Die meisten Speicher in Deutschland sind allerdings ziemlich leer. Foto: dpa/Sina Schuldt

Weil Russland ausfallen könnte, suchen die Europäer nach neuen Energiequellen. Auch die Kohle erlebt eine plötzliche Renaissance.

Brüssel - In Europa explodieren die Gaspreise und treiben die Inflation nach oben. Die große Sorge ist, dass Russland im Fall eines Einmarsches in die Ukraine die Pipelines kappt. Das hätte massive Auswirkungen auf die Versorgung des Westens. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fordert vor diesem Hintergrund mit Nachdruck, die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. „Wir müssen unsere Vorsorge für den nächsten Winter verbessern“, sagte er in mehreren Interviews. Die geopolitische Lage zwinge Deutschland, „andere Importmöglichkeiten zu schaffen und die Versorgung zu diversifizieren“. Russland ist momentan nach Kommissionsangaben verantwortlich für 40 Prozent der Gaseinfuhren in die EU. Für Deutschland liegt der Anteil mit 55 Prozent sogar noch höher.

Buhlen um Gas aus Aserbaidschan

Auch auf EU-Ebene wird an dem Ziel gearbeitet, neue Bezugsquellen für Gaslieferungen zu erschließen. So machte sich die EU-Energiekommissarin Kadri Simson auf den Weg nach Aserbaidschan. „Wir wollen, dass die aus Aserbaidschan nach Europa exportierte Gasmenge zehn Milliarden Kubikmeter erreicht“, sagte die Politikerin nach einem Treffen mit Staatschef Ilham Alijew. Brüssel pflege „starke bilaterale“ Beziehungen zu Aserbaidschan, das ein „verlässlicher Energielieferant“ sei, schmeichelte Kadri Simson dem mit harter Hand regierenden Präsidenten. Sie wurde auf der Reise von Vertretern Großbritanniens, der USA und mehrerer EU-Staaten begleitet.

Alijew zeigte sich sehr angetan und betonte, sein Land habe im vergangenen Jahr insgesamt 19 Milliarden Kubikmeter Gas exportiert, darunter 8,5 Milliarden Kubikmeter in die Türkei und sieben Milliarden Kubikmeter nach Italien. Auch die EU-Länder Griechenland und Bulgarien wurden demnach mit aserbaidschanischem Gas beliefert. Der Staatschef kündigte angesichts des Besuches eine „neue Phase der Kooperation zwischen der EU und Aserbaidschan im Energiebereich“ an.

USA und Europa arbeiten zusammen

Wegen der derzeitigen massiven Spannungen mit Russland hatten US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zuvor bereits angekündigt, gemeinsam zusätzliche Erdgas-Bezugsquellen für Europa sicherstellen zu wollen. Wichtig sei es, dass auch kurzfristig die Kapazitäten erhöht werden könnten, sollte im Falle eines Krieges Moskau die Lieferungen abrupt stoppen oder die EU mit scharfen Sanktionen auf einen Einmarsch Russlands in die Ukraine reagieren müssen. Natürlich sind die USA daran interessiert, ihr eigenes Flüssiggas an die Europäer zu verkaufen. Im Gespräch sind allerdings auch die Golfstaaten und Ägypten. Möglich wäre wohl auch, Schiffe mit für asiatische Staaten bestimmtem Gas kurzfristig nach Europa umzuleiten. In diesem Fall wäre alles eine Frage des Preises.

Ausbau der Energieinfrastruktur in Europa

Auch der Ausbau der Energieinfrastruktur wird beschleunigt. Nach Angaben aus Griechenland wird mit Hochdruck an einem neuen Flüssiggas-Terminal gearbeitet. Die Planung dafür laufe zwar seit vielen Jahren, wurde durch die Krise allerdings beschleunigt. Ende Januar gaben die Aktionäre eines griechisch-bulgarischen Konsortiums das Startsignal für den Bau des schwimmenden Terminals beim nordgriechischen Hafen Alexandroupoli. Die EU will auch die Integration des Stromnetzes der baltischen Staaten sowie eine Leitung zwischen Schweden und Finnland fördern. Auch für die Vergrößerung eines Gasspeichers in Bulgarien soll es Geld geben. Die EU-Länder haben sich jüngst auf Investitionen von über eine Milliarde Euro in neue Projekte für die Energieinfrastruktur geeinigt.

Die plötzliche Renaissance der Kohle

Angesichts der Krise wird ein anderer Energieträger wieder populär. Wegen der gestiegenen Gas-Preise nimmt der Import von Kohle nach Europa erheblich zu. Nach Berechnungen des Schiffsmakler Braemar ACM stiegen die Einfuhren im Januar um über 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Hauptgrund ist, dass Kohle im Vergleich zu Gas günstiger geworden ist. In der Folge produzieren mehr Kohle-Kraftwerke Strom während der Einsatz von Gas-Kraftwerken reduziert wird. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass der Gas-Verbrauch in diesem Jahr in Europa um 4,5 Prozent zurückgeht. Dabei könnte aber auch der bislang vergleichsweise milde Winter eine Rolle spielen.