Ankunftszentrum für Ukrainerinnen und Ukrainer an der Heilbronner Straße in Stuttgart Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Enttäuschte Hoffnungen: Die Flüchtlinge aus der Ukraine können die Personalnot im Land bislang kaum mildern. Die Bundesagentur für Arbeit übt aber auch Kritik am Vorwurf des „Sozialtourismus“ – es gebe keine Belege für Leistungsmissbrauch durch die Geflüchteten.

Gut 132 000 der 1,004 Millionen Ukrainer, die seit Kriegsausbruch als Geflüchtete registriert wurden, befinden sich in Baden-Württemberg. Prognosen mag das Landesministerium für Migration wegen der Dynamik bei Kriegsverlauf und Fluchtbewegung nicht geben. Schon jetzt zeigt sich jedoch, dass die Geflüchteten entgegen anfänglichen Hoffnungen auf dem Arbeitsmarkt wenig Entlastung angesichts des wachsenden Personalmangels bringen.

 

„Die Geflüchteten können sicher potenzielle Fachkräfte sein – das Handwerk ist aufnahmebereit“, betont Peter Haas, der Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags. „Zurzeit gilt das aber eher für ,morgen‘ und ,übermorgen‘.“ Bisher sei kein wahrnehmbarer Anteil an Ukrainern bei den Beschäftigten im Handwerk festzustellen. Es handele sich auch zum überwiegenden Teil um Frauen und Kinder, die statt der Arbeitsmarktintegration zuerst grundlegende Dinge wie Spracherwerb, Schul- und Wohnungssuche abwickeln müssen. Zudem scheine es eine sehr „nachvollziehbare Rückkehrorientierung“ zu geben.

Überwiegend positive Rückmeldungen aus Betrieben

Marjoke Breuning, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart, sagt, dass sich immer wieder Betriebe vor allem aus dem IT-Bereich und der Gastronomie meldeten, die Geflüchtete einstellen wollen. „Von den Fällen, in denen die Vermittlung erfolgreich war, haben wir vereinzelte Rückmeldungen, die aber überwiegend positiv waren“, sagt sie. „Wir stellen aber immer wieder fest, dass noch gar nicht so viele Ukrainerinnen und Ukrainer am Arbeitsmarkt angekommen sind.“ Man müsse bei den Problemen mit Sprache und Kinderbetreuung oder den fehlenden Bescheinigungen zur Arbeitsaufnahme ansetzen, um den Menschen längerfristige Perspektiven zu bieten.

Deutliche Kritik an dem von CDU-Chef Friedrich Merz erhobenen Vorwurf des „Sozialtourismus“ kommt aus der Bundesagentur für Arbeit (BA). „Das halte ich wirklich für eine absurde Äußerung“, sagt Herbert Brücker vom Forschungsinstitut IAB. „Fälle von Leistungsmissbrauch kann man nie ausschließen, aber für eine Masse gibt es weder statistisch noch anekdotisch irgendwelche Belege.“ Da sei Merz wohl einer Desinformationskampagne von russischen Trollen aufgesessen. Das System werde engmaschig durch die Jobcenter überwacht – man stehe quasi wöchentlich in Kontakt. Niemand könne drei Monate fernbleiben und weiter das Geld erhalten. „Es ist nicht möglich, unter dem Radar zu verschwinden“, sagt Brücker. „So funktioniert das System nicht.“

„Eher Geld verdienen als herumsitzen“

Der baden-württembergische BA-Regionalchef Christian Rauch betont: Nach allen Berichten aus den Jobcentern erfüllten die Ukrainer grundsätzlich ihre Pflichten. „Selbst wenn sie für zwei Tage in die Heimat gehen, was ihr gutes Recht ist, melden sie sich regelmäßig ab.“ Dahinter stecke kein Leistungsmissbrauch. Sie wollten generell von staatlichen Leistungen unabhängig sein, weshalb sie auch Überbrückungsjobs annähmen. „Sie wollen eher Geld verdienen als herumsitzen“, sagt er. „Den Menschen wird ein falsches und ohnehin bedenkliches Etikett angehängt.“