Eines der berühmtesten Bilder der modernen Filmgeschichte: In Roland Emmerichs „Independence Day“ attackiert ein riesiges Ufo das Weiße Haus Foto: imago images/Mary Evans

In den USA müssen Militär und Geheimdienste jetzt offenlegen, was sie über Aliens wissen. Leser und Kinogänger aber wissen längst gut Bescheid. Oder doch nicht?

Stuttgart - Manchmal hat man einfach Pech. Dann landet man in Gesellschaft von Menschen, die einem das innerste Wesen der Kultur erklären und mit Hohepriester-Tremolo verkünden, es gebe nur zwei große Themen aller Künste: die Liebe und den Tod. Man sollte dann nicht zögern, ihnen die Luft abzulassen. Es gibt nämlich drei große Themen: die Liebe, den Tod und fliegende Untertassen.

 

Dieser Tage werden Militär und Geheimdienste der USA dem Kongress vorlegen müssen, was sie über Ufos wissen. Alles andere als die Präsentation eines leibhaftigen Außerirdischen wird manche Menschen aber wieder nur mit dem Misstrauen zurücklassen, da werde gelogen und vertuscht. Wir wüssten doch längst, konstatieren diese Ufologen, dass das Weltall intelligentes Leben berge. Das sei die Aussage aller Religionen, deren Entstehung und Texte bloß Resultate der Kontakte mit Außerirdischen seien.

Die Krawumm-Schule

All die Geschichten von Himmelfahrten, der Aufstieg des Propheten Elias in einem feurigen Wagen im Alten Testament etwa, wären demnach frühe Varianten dessen, was heute als Alien-Abduction-Geschichten geführt wird, als Berichte über angebliche Entführungen durch flinke Raumschiffe. Man muss das nicht glauben, aber man entkommt der von Kino und Literatur beharrlich gestellten Frage trotzdem nicht, was eigentlich los wäre, sollte uns intelligentes Leben aus dem All kontaktieren.

Die meisten Menschen denken bei Aliens wohl an die Krawumm-Schule der Kontaktaufnahme, an jene Ufo-Szenarien, die sich an der irdischen Geschichte orientieren. Die Fremdem kommen als Invasoren, Versklavung oder Ausrottung der Menschheit sind ihr Programm. Ein bekanntes Beispiel dafür hat der Deutsche Roland Emmerich 1996 in Hollywood geliefert, mit „Independence Day“, einem Kinowelterfolg. Dass die Aliens das Weiße Haus hochgehen ließen, verschaffte dem Film interessanterweise mehr Aufmerksamkeit als der Massenmord an ganzen Stadtbevölkerungen.

Achtung, Flokati-Monster

Emmerich stand in einer langen Tradition. Vor allem in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts hatte das US-Kino von Angriffen aus dem Weltall erzählt, mal in cleveren Paranoia-Stücken wie Don Siegels „Invasion of the Body Snatchers“ (1956), mal in Billigstproduktionen fürs Autokino, in denen ein armer Kerl Flokatifetzen angeklebt bekam und als Marsmonstrum lüstern Erdfrauen hinterhertappen musste.

In diesem Kino außerirdischer Aggressionen spiegelte sich sehr Irdisches: die Krisenstimmung einer Epoche, in der ein Atomkrieg jederzeit möglich schien, in der es für Zivilisten keine Möglichkeit mehr zu geben schien, den Waffen der Militärs zu entkommen. Den armen Besuchern vom Mars und anderswo unser menschliches Gepäck an Ängsten, Feindbildern und Vernichtungswünschen aufzubinden, war aber keine Erfindung des Kalten Krieges. Tatsächlich steht diese Gepäckverlagerung ziemlich am Anfang der Science-Fiction.

Krieg und Frieden

1870/71 hatte die preußische Armee die Welt geschockt, als sie mit neuen Taktiken, Strategien und Waffen die Großmacht Frankreich besiegte. Mit einmal lagen alte Gewissheiten und Lehrsätze in Scherben, Geschichten und Essays über kommende Kriege hatten Konjunktur. Diesem Konfliktgrusel wollte der Brite H. G. Wells 1897 mit seinem Roman „Der Krieg der Welten“ ein Ende setzen. Hier fällt eine militärtechnisch überlegene marsianische Macht über die Erde her. Wells’ Aufruf zur Menschheitseinigung wurde sehr populär. Aber es brach dann nicht der Weltfriede aus, sondern der Erste Weltkrieg. 1938 machte Orson Welles in den USA aus dem Roman ein erfolgreiches Radiohörspiel wieder ohne Friedenswirkung. Ein Jahr danach brach der Zweite Weltkrieg aus.

Den Visionen sofortiger Feindschaft, die Tim Burton 1996 in der Satire „Mars attacks“ auf die Spitze getrieben hat, steht eine ganz andere Science-Fiction-Tradition entgegen. Um 1910 etwa lässt der gebürtige Stuttgarter Albert Daibersieben schwäbische Gelehrte in „Die Weltensegler“ zum Mars fliegen, wo sie freundlich begrüßt werden. 1953 wollen in „It came from outer Space“ von Jack Arnold vermeintliche Invasoren nur ihr havariertes Ufo reparieren, um schnell ohne Ärger wieder von hier wegzukommen. Und in Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ von 1977, dem optimistischsten aller Erstkontaktfilme, sind die Außerirdischen rührend wohlmeinend und sanft.

Kann Mathe da helfen?

Mordbrenner oder Friedensengel, das ist beileibe nicht die einzige Frage, die der Science-Fiction zu Außerirdischen einfällt. Wie, so fragt gerade die Literatur, könnten wir uns mit fremden Intelligenzen verständigen? Müssen wir mit dem ganz und gar Andersartigen rechnen, werden wir bei der Suchen nach gemeinsamen Zeichen scheitern? Kann die Mathematik eine universale Grundlage bieten? Unterschiedliche Autorentemperamente wie Poul Anderson, Robert Sheckley, Chad Oliver und Ursula K. Le Guin haben dafür ganz unterschiedliche Szenarien entworfen.

Solange wir es nicht auf andere Welten schaffen, bietet die SF die nächstbeste Erfahrung des Neuen. Kleiner Nebeneffekt allerdings: Man glaubt Geheimdiensten nach einer Weile kein Wort mehr. Man traut eher der Hollywood-Vision von den „Men in Black“, die im Geheimen längst Kontakt mit allerlei Aliens haben. Man will das einfach glauben, weil die Vorstellung, die Menschheit sei bereits der Gipfel kosmischer Intelligenzentwicklung, einfach zu trostlos ist.