Mit den Stimmen der Koalition werden der Bundespolizei und dem Verfassungsschutz neue digitale Überwachungsrechte eingeräumt. Die Ermittler dürfen künftig auch online die Kommunikation von Verdächtigen mitlesen – und noch ein bisschen mehr.
Berlin - Es passiert eigentlich nie, dass der oder die Vorsitzende einer Partei öffentlich seine eigene Bundestagsfraktion kritisiert. Insofern ist die Reaktion von SPD-Chefin Saskia Esken sehr ungewöhnlich gewesen, als klar wurde, welche neuen Kompetenzen ihre eigenen Leute der Bundespolizei und dem Verfassungsschutz zubilligen wollen. „Ich halte die Entscheidung für den Einsatz von Staatstrojanern auch weiterhin für falsch, insbesondere in den Händen von Geheimdiensten“, schrieb sie am Mittwoch auf Twitter, nachdem sie sich nicht gegenüber den anderen Abgeordneten hatte durchsetzen können: „Diese Form der Überwachung ist ein fundamentaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte.“ In der Fraktion ist die Verärgerung groß.
Das hat sie aber nicht davon abgehalten mit Ja zu votieren. Mit der Koalitionsmehrheit wurden am Donnerstag das Verfassungsschutzgesetz sowie ein Gesetzentwurf „zur Modernisierung der Rechtsgrundlagen der Bundespolizei“ verabschiedet.
Überwachung muss beantragt werden
Sie weiten die Instrumente in der digitalen Welt stark aus, Schon seit 2017 erlaubt die Strafprozessordnung Ermittlern unter bestimmten Voraussetzungen, sich in Handys oder Computer von Verdächtigen zu hacken und Überwachungssoftware zu installieren. Was Kritiker als Staatstrojaner bezeichnen, heißt offiziell Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Sie ermöglicht das Mitlesen verschlüsselter Nachrichten wie WhatsApp. Nun wird das Eindringen auch der Bundespolizei sowie allen 19 Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder erlaubt.
Das muss beantragt werden und steht im Falle der Polizei unter einem Richtervorbehalt. Für die Geheimdienste des Bundes entscheidet ein Gremium von zehn Personen. Im Sinne der Freiheitsrechte sei dafür gesorgt, dass die neue Möglichkeit nur „äußerst sparsam und keinesfalls willkürlich eingesetzt werden“ dürfe, sagte Ute Vogt, die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, unserer Zeitung. Natürlich spielt auch die Schwere der aufzuklärenden Delikte eine Rolle.
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Gemeinsamer Tenor aus der Koalition ist, dass Ermittler Rechte, die sie analog schon haben, auch dringend im Digitalen brauchen. „Rechtsextremismus kann nicht allein mit Bildung und Pädagogik bekämpft werden“, so Vogt: „Es braucht dazu auch die Instrumente des Rechtsstaates.“ Ihr Amtskollege Mathias Middelberg (CDU) argumentiert ähnlich: „Terroristen und Extremisten nutzen heute nicht mehr das klassische Telefon, um sich abzusprechen, sondern Messengerdienste.“ Die neuen Rechte erlaubten es, „auch in Zukunft Organisationsstrukturen aufzuklären und mögliche Anschlagsplanungen zu verhindern“.
Onlinedurchsuchungen sind nicht erlaubt
Die SPD hatte sich in den Verhandlungen erfolgreich dafür eingesetzt, dass neben der Quellen-TKÜ nicht noch zusätzlich eine Onlinedurchsuchungen stattfinden darf – dass also neben der laufenden Kommunikation auch die auf einem Gerät gespeicherten Daten eingesehen werden können. Ein bisschen mehr als das reine Live-Mitlesen wird dem Verfassungsschutz dennoch erlaubt. Seine Agenten dürfen Kommunikation auch bis zum Tag der Überwachungserlaubnis zurückverfolgen. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) ist verärgert, dass das der Bundespolizei wiederum nicht gestattet wird.
Neben Esken hält auch die Opposition die ganze Novelle für einen Fehler, mit dem sich das Verfassungsgericht befassen muss. „Die Groko verschweigt, dass die mit der Quellen-TKÜ durchgeführte Infiltration von Handys und anderen Geräten durch Staatstrojaner nur dann funktionieren kann, wenn dafür IT-Sicherheitslücken nicht geschlossen werden“, sagte der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Das verursache „einen Milliardenschaden für die Wirtschaft“ und diene als „Einladung für Kriminelle und ausländische Nachrichtendienste Zugriff auf die Geräte von 82 Millionen Bürgern in Deutschland zu nehmen“.