Weil Schüler weiter zu den Gymnasien strömen, muss die Stadt Räume ausbauen Foto: dpa

Der Gemeinderat hat beschlossen, zwei weitere Werkrealschulen zu schließen – mangels Nachfrage. Hingegen stöhnen die Gymnasien und Realschulen unter dem anhaltenden Ansturm und über die Verantwortung, die sie für Schüler tragen, die Lernprobleme haben.

Stuttgart - Für Eltern sind Realschule und Gymnasium erste Wahl unter den weiterführenden Schulen. In der Landeshauptstadt führt dies insbesondere an Gymnasien zu überfüllten Schulhäusern. Das hat die Stadt in einem Planungskonzept dargelegt. Demnach gibt es an den 26 Standorten der Gymnasien Platz für 2133 Fünftklässler, seit vergangenem Herbst aber tummeln sich 2312 Fünftklässler an den Gymnasien – eine „als prekär zu bezeichnende Situation“, wie es die Stadt in der Fortschreibung des Schulentwicklungsplans nennt. Das heißt, die Gymnasien sind zu 108,4 Prozent ausgelastet, während an Realschulen, insbesondere aber an Werkrealschulen 689 Plätze für Fünftklässler frei geblieben sind.

Um dem Bedarf wenigstens einigermaßen gerecht zu werden – „die Räume an dieser Schulart reichen seit mehreren Jahren nicht mehr aus“ –, schlägt die Stadt die Einrichtung von Außenstellen vor. Das Wirtemberg-Gymnasium (Untertürkheim) bekommt eine an der Steinenbergschule (Hedelfingen), das Wilhelms-Gymnasium (Degerloch) eine an der Filderschule (Degerloch) und das Königin-Charlotte-Gymnasium (Möhringen) eine an der Riedseeschule (Möhringen). Außerdem prüft die Stadt zwei zusätzliche Standorte für Gymnasien, in der Innenstadt sowie in den Neckarvororten.

Zwei Werkrealschulstandorte werden geschlossen: die Werkrealschule in Heumaden zum Schuljahr 2018/19 und die Herbert-Hoover-Schule in Mühlhausen. Dort sollen laut Beschluss des Gemeinderats die Türen aber nicht schon zum Schuljahr 2019/20, sondern erst 2020/21 ins Schloss fallen. Ziel an diesem Standort ist eine Gemeinschaftsschule zusammen mit der Bertha-von-Suttner-Realschule auf einem Campus, auf dem sich auch das Eschbach-Gymnasium und die beiden Sonderschulen beteiligen  wollen.

Während für die räumlichen Probleme der Schulleiter auf diese Weise Lösungen bevorstehen, hadern Gymnasien und Realschulen weiterhin mit der Eignung mancher ihrer Neuzugänge. Nur 57 Prozent derjenigen Viertklässler, die seit September eine Realschule im Land besuchen, hatten dafür auch eine Empfehlung der abgebenden Grundschule. Für ein Viertel dieser Schüler hätten die Grundschullehrer eine Werkrealschule für die bessere Lösung gehalten. Dies ist das Ergebnis einer Erhebung des Statistischen Landesamts für das Schuljahr 2013/2014. Elf Prozent der Fünftklässler in Gymnasien hatten eigentlich eine Empfehlung für die Realschule erhalten, ein Prozent kam mit Werkrealschulempfehlung.

Zur Förderung der schwächeren Schüler haben die Schulen zusätzliche Lehrerstunden, sogenannte Poolstunden, zugeteilt bekommen – allerdings recht unterschiedlich verteilt. Im Nachteil sind dabei die Realschulen mit 1,5 Poolstunden pro Klassenzug, während Gymnasien und Gemeinschaftsschulen wesentlich besser bedacht wurden. Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK) und der Städtetag Baden-Württemberg haben deshalb im Februar das Kultusministerium aufgefordert, diese Benachteiligungen zu vermeiden. „Das langfristig angestrebte Zweisäulenmodell hat nur Zukunft, wenn sich neben den Gymnasien die Realschulen und Gemeinschaftsschulen unter fairen Bedingungen entwickeln dürfen“, heißt es dort.

Das lässt darauf schließen, dass auch Schulen und Kommunen aus der Region ähnliche Erfahrungen mit der großen Heterogenität ihrer Schüler machen. „Wir haben die Fördermöglichkeiten der Schulen deshalb ausgedehnt, zum Beispiel über die Poolstunden“, sagt Roland Peter, der Pressesprecher des Kultusministeriums. So hätten die Realschulen erstmals überhaupt dafür Förderstunden erhalten. Was den Realschulen zur Verfügung steht, „ist noch zu wenig“, räumt er ein, „aber wir wollen die Förderung weiter ausbauen. Wie, ist noch in der Diskussion.“ Peter versichert: „Es gab bisher aus den Gymnasien keine Proteste, aus Realschulen nur vereinzelt.“

Im bundesweiten Vergleich ist der Brief von IHK und Städtetag eine der gemäßigteren Reaktionen auf die Veränderungen in der Schullandschaft. In Hamburg fordert die CDU Aufnahmeprüfungen für Gymnasien, weil dort nach Angaben der Zeitung „Welt“ zuletzt knapp 55 Prozent der Viertklässler angemeldet worden sind. In der Hansestadt gibt es seit 2010 nur noch Gymnasien und Stadtteilschulen. Letztere sind aus den früheren Haupt-, Real- und Gesamtschulen und den Aufbaugymnasien hervorgegangen und führen zu allen Schulabschlüssen bis hin zum Abitur. Beliebter blieben trotzdem die Gymnasien.