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Er verlangt sich und anderen alles ab – das sagt der Stuttgarter Filmemacher Joachim Lang über die Zusammenarbeit mit Götz George. Ein Gespräch über Vater, Sohn und das Dritte Reich.

Stuttgart - Er verlangt sich und anderen alles ab – das sagt der Stuttgarter Filmemacher Joachim Lang über die Zusammenarbeit mit Götz George. Ein Gespräch über Vater, Sohn und das Dritte Reich.

Herr Lang, Sie haben Filme über den Dichter Bertolt Brecht, den Kinderbuchautor Janosch und jetzt über den Schauspieler Heinrich George gedreht – haben Sie ein Faible für schwierige Menschen?
Diese Menschen sind ja nicht einfach schwierig, weil sie schwierig sind. Sie haben etwas zu sagen. Es geht ihnen um die Sache. Brecht hat die Kunst, das Denken des 20. Jahrhunderts verändert. Janosch bietet einen eigenen Blick auf die Wirklichkeit, vor allem für Kinder. Heinrich George hat mich als Künstler und Mensch, gerade auch in seiner Widersprüchlichkeit, interessiert.
Warum?
Er war einer der ganz großen Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Die Leute sind nach Berlin gepilgert, um ihn spielen zu sehen. Immer hatte er einen Kreis von Malern, Schriftstellern, Intellektuellen um sich. Er war mit Max Beckmann und Otto Dix befreundet, mit Schriftsteller Günther Weisenborn. Vor allem hat mich interessiert, wie ein Mensch, der in den 20er Jahren ein Linker war, unter Brecht und Piscator gespielt hat, ein Aushängeschild der Nazis werden konnte.
Georges ältester Sohn Jan hat Ihnen für die Recherche sein Archiv mit Fotos, Briefen, Dokumenten und dem Tagebuch seiner Mutter geöffnet. War sein Bruder Götz George auch von Anfang an in das Projekt eingebunden?
Es war ein entscheidender Teil meines Konzeptes, dass Götz George als Zeitzeuge im Film aussagt und die Hauptrolle spielt. Aber als ich ihn das erste Mal gefragt habe, sagte er: „Ich mache es nicht, es gab schon so viele Angebote, aber ich habe immer abgelehnt und werde diese Rolle nicht spielen.“
Was haben Sie gemacht?
Ich habe weitergearbeitet, in Archiven recherchiert und ein Treatment mit Drehbuchauszügen geschrieben. Der SWR hat mir diese Möglichkeit gegeben, obwohl man noch nicht sicher war, dass es etwas wird. Mein Konzept hat dann Götz überzeugt. Es war noch keine Pauschalzusage, aber er wollte das Projekt mit mir angehen. Von Anfang an war eine wesentliche Vereinbarung, dass die Biografie nicht geschönt werden darf. Das war für mich entscheidend.
Wenn Journalisten Götz George zur Rolle seines Vaters im Dritten Reich Fragen stellen, bekommen die meist eine Abfuhr. Jetzt spielt er in einem Film mit, der genau diese Fragen stellt. Ein Widerspruch?
Nein, denn die Art der Auseinandersetzung in meinem Film ist intensiver, als es ein Interview sein kann. In meinem Film spricht er nicht nur über ihn, er spielt ihn auch. Das Projekt hat die Auseinandersetzung des Sohnes mit dem Vater intensiver gemacht. An einer Stelle sagt Götz, dass sein Vater Kompromisse gemacht habe, um spielen zu können. Außerdem habe sein Vater eingesehen, dass er große Fehler gemacht hat. In dem Film geht es auch um das Ringen der Söhne um den Vater.
War Götz George am Set mehr Schauspieler oder Sohn?
Eindeutig Schauspieler. Die Diskussion mit dem Sohn über die Rolle des Vaters im Dritten Reich war bei der Drehbucharbeit wichtig. Bei der Inszenierung stand dann das Schauspielerische für Götz im Mittelpunkt. Er war Tag und Nacht Heinrich. Hanns Zischler, der Max Beckmann spielt, sagte: „Götz spielt nicht Heinrich, der ist Heinrich.“ Das war unglaublich. Es war psychisch und physisch sehr anstrengend für ihn. Er hatte einen Fatsuite an, weil Heinrich George wesentlich korpulenter war. Der Schweiß stand Götz in den Schuhen. Und wir haben kaum noch geschlafen.
Was ist Ihr Eindruck: Fühlt sich Götz George im Schatten seines Vaters, den viele als Jahrhundertschauspieler bezeichnen?
Er kennt alles, jeden Film, jede Kameraeinstellung seines Vaters. Am Anfang wollte er nicht, dass ich Originalaufnahmen von Heinrich George und Szenen, in denen Götz den Vater in Bühnen- und Filmrollen spielt, parallel montiere. Er findet diesen Vergleich schwierig. Aber wir haben uns am Ende darauf geeinigt. Es war für ihn eine große Herausforderung, vielleicht seine schwierigste Rolle überhaupt. Und er war dann froh, dass er diese Herausforderung bestanden hat. Am Ende des Films sagt er bewundernd in Richtung des Vaters: „Du hast mich halt immer überholt, du warst besser, besessener.“
Götz George gilt als schwierig. Wie war die Zusammenarbeit?
Sie war, wie gesagt, sehr intensiv. Bei Götz geht es nie um Launen oder Allüren, es geht immer um die Sache. Es geht ihm um seinen Beruf, den er mit großer Ernsthaftigkeit und Enthusiasmus ausübt. Er lebt für den Film, Monate vor den Dreharbeiten konnte er seinen Text perfekt, er verlangt nicht nur sich alles ab, er verlangt es auch von den anderen.
Gab es Auseinandersetzungen am Set?
Ich bespreche jede Szene im kleinen Kreis mit den Schauspielern und dem Kameramann. Da wird vieles diskutiert, da gibt es neue Ideen. Zum Beispiel bin ich einen Sonntag lang mit Götz George und Martin Wuttke, der den Propagandaminister Joseph Goebbels spielt, ihre Dialoge durchgegangen. Dabei haben wir die Szene weiterentwickelt, in der Goebbels Heinrich George überzeugen will, in dem Propagandafilm „Kolberg‘‘ mitzuspielen. George weigert sich, verlangt ein absurdes Honorar. Bei den Leseproben kamen wir auf die Idee, Goebbels auch als kleinen Gernegroß zu zeigen, der selbst am Drehbuch mitgeschrieben hat. Wuttke nimmt im Film das Kolberg-Drehbuch, rezitiert den Text auswendig, so begeistert ist er von seinem eigenen Können. Das führt Goebbels vor: Es zeigt nicht nur den bedrohlichen Agitator, sondern auch den kleinen Wichtigtuer.
Das ist eine der Szenen, bei denen man sich als Zuschauer fragt, warum Heinrich George nicht gesagt hat: „Nein, da mach’ ich nicht mit.“
Am Anfang hat er vielleicht gedacht, dieser Spuk gehe bald vorbei. Er wollte nicht hinschauen, dann hat er sich instrumentalisieren und missbrauchen lassen und wurde zu einem Aushängeschild des Dritten Reichs.
Wie lautet also Ihr Urteil?
Einen Film zu machen, bei dem die Antwort schon im Voraus feststeht, finde ich langweilig und unergiebig. Es geht um die Verantwortung des Künstlers in der Diktatur, und der Film zeigt, dass sich die Kunst der Verantwortung vor der Gesellschaft nicht entziehen kann. Das zeigt die Lebensgeschichte von Heinrich George. Sie ist einzigartig, in gewisser Weise auch exemplarisch für eine Künstlergeneration, die 1933 in Deutschland blieb, sich mit den Nazis mehr oder weniger arrangierte und dementsprechend mehr oder weniger schuldig machte. Es geht um die Frage: Was mache ich mit, und an welcher Stelle muss ich „Nein“ sagen? Dieser Frage müssen wir uns alle stellen, Sie als Journalistin, ich als Filmemacher.
Sehen die Söhne das auch so?
Die beiden Söhne haben nach dem Krieg alles dafür getan, dass Heinrich George rehabilitiert wird. Das wurde er 1998 durch die Russische Föderation dann auch. Die Söhne sehen, was mit anderen Künstlern, die ins Dritte Reich verstrickt waren, passiert ist: Veit Harlan wurde freigesprochen. Gustaf Gründgens war schnell rehabilitiert. Heinz Rühmann, dessen Nähe zu Goebbels bekannt ist, konnte nach dem Krieg seine Karriere fortsetzen. Für die Söhne ist es schwer zu akzeptieren, dass ihr Vater als Einziger im Sowjetlager mit dem Leben bezahlen musste.
Wird George Sie weiter beschäftigen?
Es ist auch die Zeit, die mich weiterhin interessiert. Von George komme ich auf andere Figuren im Dritten Reich. Spannend ist die Frage, wie Goebbels es geschafft hat, diese Künstler, die alle 1933 keine Nazis waren, auf seine Seite zu ziehen.
Also wieder ein Film über eine schwierige Figur, über Goebbels?
Kann sein.
Arte, Montag, 20.15 Uhr; ARD, Mittwoch, 21.45 Uhr