Rasant unterwegs: Wenn Pauline Ferrand Prévot startet, will sie am Ende auch als Erste über die Ziellinie brausen. Foto: Küstenbrück

In kaum einer anderen Einzel-Sportart besitzt der Weltmeistertitel eine derart große Strahlkraft wie im Radsport. Im Cross-Country tragen Pauline Ferrand-Prévot und Jordan Sarrou das Regenbogen-Trikot.
 

Die Welttitelkämpfe der Mountainbiker im olympishen Cross-Country hätten 2020 eigentlich im Albstädter Bullentäle stattfinden sollen – aufgrund der Corona-Pandemie wurden die aber im österreichischen Leogang ausgetragen. Die WM wurde aufgrund starker Regenfälle vor den Rennen unter widrigen Umständen zu französischen Festspielen: Nicht nur Sarrou und Ferrand-Prévot glänzten mit Gold, sondern auch Loana Lecomte (U23-Damen) und die Teamstaffel.

Als Titelverteidigerin lieferte Ferrand-Prévot eine beeindruckende Vorstellung. Bei ihre Start-Ziel-Sieg fuhr sie mit einem Vorsprung von mehr als drei Minuten auf die Italienerin Eva Lechner ins Ziel und holte sich damit ihren bereits dritten Weltmeistertitel. Damit unterstrich die 29-Jährige wieder einmal ihre Ausnahmestellung. Die Französin glänzt jedoch nicht nur im Cross-Country: Bereits als Juniorenfahrerin war Ferrand-Prévot sowohl auf der Straße als auch im Gelände Weltmeisterin. 2015 gelang ihr als bisher einzige Frau weltweit, zeitgleich amtierende Titelträgerin in den Disziplinen Straße, Cyclocross und Mountainbike-Cross-Country zu sein. 2019 folgten die Weltmeistertitel im Mountainbike-Marathon und Cross-Country, ehe Ferrand-Prévot 2020 in Leogang erneut im Cross-Country zuschlug.

Diese Erfolgsgeschichte forderte jedoch ihren Preis: Eine gestiegene Erwartungshaltung, sorgten nach der triumphalen Saison 2015 bei ihr mental für Blockaden. Nach einer Verletzung 2016 vermochte sie nicht mehr an die Leistungen des Vorjahrs anzuknüpfen. »Ich habe gelernt, dass du glücklich sein musst, um Leistung zu bringen. 2016 gab es diese Verletzung. Aber es war nach den drei WM-Titeln auch mental hart«, sagt Ferrand-Prévot. Nach einer längeren Rennpause gewann sie bei der Cross-Country-WM 2017 Bronze. Doch noch einmal sollte die 29-Jährige ausgebremst werden – von einer komplizierten Arterienverletzung im Becken.

2019 zeigte die Formkurve für Ferrand-Prévot nach erfolgreicher Operation wiederum steil nach oben: WM-Triumph im kanadischen Mont-Sainte-Anne, 2020 die Goldmedaille in Leogang. Nun geht die Französin mit der Favoritenrolle gelassen um: »Ich tue, was ich tun muss, ohne darauf zu achten, was andere denken oder urteilen. Ich habe Zeit gebraucht, um diese Gelassenheit zu finden und mich nur auf das zu konzentrieren, was ich erwarte, anstatt auf das, was andere erwarten. Inzwischen weiß ich es wirklich zu schätzen, dass ich mir keinen Druck dieser Art machen muss.«

Neben den Regenbogenstreifen wird sich Ferrand-Prévot in gänzlich neuem Dress in Albstadt präsentieren: Nach vielen Jahren bei Canyon wechselte die 29-Jährige ins Team ihres Lebensgefährten Julien Absalon, dem Absolute-Absalon-BMC-Team. Ungeachtet der Pandemie laufe die Vorbereitung auf die Rennsaison mit Ziel der olympischen Goldmedaille in Tokio weitestgehend nach Plan: »Ich weiß, dass meine Form noch nicht bei 100 Prozent ist, aber das ist Teil des Prozesses. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich. Aber ich habe nicht das Ziel.«

Ihr Landsmann Jordan Sarrou war zwar stets in der Weltspitze zu finden, hatte aber gegen den Schweizer Nino Schurter oder den Niederländer Mathieu van der Poel häufig das Nachsehen. Nicht so 2020 als er Franzose seinem ersten Weltmeistertitel einfuhr. Schon früh setzte er sich gegenüber der großen Konkurrenz in seinem Heimatland durch und schaffte in der U23 den Durchbruch zur Weltspitze. Als amtierender U23-Europameister gewann Sarrou 2014 das U23-Rennen in Albstadt und holte sich den Gesamtweltcupsieg.

Beim Wechsel in die Elite zahlte der Franzose zunächst Lehrgeld, ehe er sich 2016 etablierte. 2017 und 2019 landete er jeweils auf Rang fünf der Weltserie. 2020 sicherte sich der 28-jährige Franzose erstmalig den französischen Meistertitel und fuhr zum WM-Titel.

Sarrou wird wie Ferrand-Prévot in Albstadt auf neues Material setzen: Nachdem er über viele Jahre hinweg Leader des Teams Absolute-Absalon-BMC war, musste er diesen Platz nun an Ferrand-Prévot abgeben und wechselte zur amerikanischen Traditionsmarke Specialized. Das WM-Trikot und die damit verbundene Verantwortung sieht Sarrou dabei als Motivation: »Ich genieße es, die Streifen zu tragen und sehe das als Vorteil. Es hilft mir in harten Momenten im Training und Rennen. Es motiviert mich und verleiht mir sicherlich zusätzliche Kraft. Wir sind auf einem guten Weg und ich schaue sehr zuversichtlich auf den ersten Weltcupblock«, zeigt sich Sarrou mit seiner Vorbereitung zufrieden und fügt an: »Albstadt liegt mir sehr gut. Es ist mein erstes Saisonhighlight dieses Jahr. Ich will gewinnen.«

Die Franzosen dominieren derzeit die Cross-Country-Szene. Fünf der besten Zehn im Gesamtweltcup 2019 kommen aus Frankreich. Bei den Damen sicherten sich die Tri-Colore-Fahrerinnen 2020 bei den Frauen und den Juniorinnen den Weltcupsieg.

Entscheidend ist die Nachwuchsausbildung in Frankreich. Im Gegensatz zu anderen Nationen forciert der französische Radsportverband eine breite Ausbildung: Ob Downhill, Cross-Country oder auch der geschicklichkeitsorientierte Trail – die Jugend wird in sämtlichen Disziplinen ausgebildet. Zudem gibt es einen gesunden Konkurrenzkampf und ein gutes Miteinander, das mit zum Gesamterfolg der Franzosen beiträgt. »Wenn einer Leistung bringt, inspiriert das die anderen und sie arbeiten daran, das Gleiche zu tun«, sagt Pauline Ferrand-Prévot. Auf die Frage nach dem Geheimnis der Franzosen antwortet Sarrou: »Wir haben keine Geheimnisse oder gar einen Zaubertrank. Wir haben ein starkes französisches Team mit starken Fahrern und einer guten Atmosphäre. Wir sind Rivalen im Rennen, aber Freunde außerhalb.«