Misha Kaufmann ist ein emotionaler und kreativer Trainer, der mit den Eisenacher Handballern für die Gegner schwer ausrechenbar ist. Foto: IMAGO/Christian Heilwagen

Er gilt als rau, unangepasst und als kreativster Trainer der Handball-Bundesliga. Derzeit gibt es Aufruhr um Kaufmanns Zukunft beim ThSV Eisenach. Ausgerechnet jetzt kommt der TVB Stuttgart, bei dem der Schweizer heiß gehandelt wird.

Natürlich bekommt auch Jürgen Schweikardt die Turbulenzen beim ThSV Eisenach mit. „Pulverfass Eisenach“, „Club vor Zerreißprobe“, „Machtspiele um Kaufmanns Abschied“, lauten die Schlagzeilen rund um den thüringischen Handball-Bundesligisten. Doch dem Interimscoach und Geschäftsführer des TVB Stuttgart ist wichtig, klar zu stellen: „Was in Eisenach passiert, hat mit uns gar nichts zu tun.“

 

Die Gemengelage ist ohnehin hochbrisant. Bloß nicht auch nur durch die kleinste unbedachte Äußerung noch mehr Öl ins Feuer gießen. Wenn der TVB an diesem Samstag (20 Uhr) in der Eisenacher Werner-Aßmann-Sporthalle antritt, wird die Stimmung ohnehin aufgeheizt genug sein. Warum? Weil die heißblütigen ThSV-Fans immer noch um ihren hoch geschätzten Coach kämpfen.

Offiziell ist sein Abschied (trotz Vertrag bis 2027) zum Saisonende zwar noch nicht, doch auch nach Informationen unserer Redaktion hat der Schweizer dies gegenüber der Mannschaft bereits angekündigt. Schweikardt betont zwar, dass „völlig offen ist, wer in der neuen Saison unser Trainer wird“, doch dass Kaufmann ein ganz heißer Kandidat in Stuttgart ist und es auch bereits Gespräche gab, steht nach unseren Recherchen fest.

Bleibt die Frage aller Fragen: Was ist passiert, seit Kaufmann sich im Dezember 2023 für eine Vertragsverlängerung in Eisenach bis 2027 entschieden hat? Darauf zielte auch eines der beiden großen Plakate ab, das vergangenen Sonntag beim 33:37 gegen den THW Kiel in der Aßmannhalle hing. Auf dem zitierten die Fans den Trainer mit seiner Aussage von vor einem Jahr: „Warum soll ich woanders hingehen, wenn ich hier alles habe, was ich brauche.“

Auf das Nachhaken des „Dyn“-Reporters, ob sich an diesen Rahmenbedingungen im letzten Jahr etwas verändert habe, antwortete Kaufmann vielsagend: „Die nächste gute Frage. Auch da musst du verstehen, dass ich mich nicht dazu bekennen kann, etwas zu sagen.“

Möglicherweise ist zwischen dem Trainer und den ThSV-Verantwortlichen etwas zu Bruch gegangen. Denn dass die Entwicklungsmöglichkeiten am Fuße der Wartburg vergleichsweise überschaubar sind, musste dem 40-Jährigen schon bei der Vertragsverlängerung bewusst gewesen sein. Auch wenn der ThSV aktuell deutlich besser dasteht als etwa der abstiegsbedrohte TVB, könnte der Club aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt, mit der Wirtschaftskraft der Region, mittel- und langfristig eine bessere Perspektive bieten. Hinzu kommt die Nähe zur Schweizer Heimat, wo seine Frau und die beiden Töchter (7 und 11 Jahre) in Aarau leben.

Aus Suhr nach Thüringen

Vom HSC Suhr Aarau war Misha Kaufmann im Oktober 2021 nach Eisenach gewechselt und hatte den damaligen Zweitligisten mit 2:10 Punkten übernommen. „Wohin wollt Ihr?“, fragte der Coach beim Amtsantritt sein Team. Ein zehnter oder 13. Platz wäre ganz schön, irgendwie den Klassenverbleib schaffen, antworteten die Profis. „Für diesen Platz werde ich nicht diese Zeit investieren“, sagte der enorm ambitionierte Kaufmann. Am Saisonende fehlten dann zwei Punkte zum Aufstieg, den man ein Jahr später in der Saison 2022/23 nachholte.

Das war eine große Überraschung. Der souveräne Bundesliga-Klassenverbleib 2023/24 eine kleine Sensation. In der Branche gibt es keine zwei Meinungen: Ohne Kaufmann wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Auch einzelne Spieler hätten es mutmaßlich unter keinem anderen Coach in die Beletage geschafft. Topspieler wie der letztjährige Bundesliga-Torschützenkönig Manuel Zehnder (inzwischen SC Magdeburg) oder der zum Nationalspieler aufgestiegene Marko Grgic hätten sich ohne Kaufmann nicht in diesem Ausmaß ins Blickfeld werfen können.

Parallelen zu Rolf Brack

Dies weckt in Handball-Württemberg Erinnerungen an Rolf Brack. Auch die im März 2023 verstorbene Trainerlegende aus Scharnhausen schaffte mit Außenseiterclubs außergewöhnliche Erfolge. Auch ihr Treibstoff ähnelt sich. Er besteht aus Mentalität, wahnsinniger Akribie und unorthodoxen, kreativen Methoden. „Mutig sein, agieren, nicht reagieren“, lautet eine Überschrift bei Misha Kaufmann. Und: „Wir wollen nicht analysierbar sein.“ In seiner Kinder- und Jugendzeit lernte er viele Sportarten kennen, war vielseitig aktiv neben Handball beim Fußball, Turnen und Hockey. Für die Spezialität seiner Mannschaft, das frühe Attackieren, das gnadenlose unter Druck setzen des Gegners, hat er sich intensiv mit der Pressing-Thematik im Fußball, Basketball und Football beschäftigt.

Bleibt noch die Frage nach seinem Naturell. Kaufmann gilt als vom Ehrgeiz besessen, äußerst emotional, rau, bisweilen – so wird erzählt – auch fast verletzend im Umgang mit seinen Spielern. Was nicht ausschließt, dass er sie auch mal in den Arm nimmt. Mit internationalen Stars gespickte Spitzenteams nehmen von diesem Typ Trainer erfahrungsgemäß Abstand, wie auch früher das Beispiel Rolf Brack zeigte. Der abstiegsbedrohte TVB Stuttgart könnte davon profitieren.