Martin Brambach, Meike Droste und Sebastian Schwarz (v. l.) in „Frau Temme sucht das Glück“ Foto: ARD

Von gefrorenen Hähnchen erschlagen zu werden: das ist nicht das einzige aberwitzige Risiko, das Carla in der neuen ARD-Serie „Frau Temme sucht das Glück“ analysieren soll.

Stuttgart - Tod durch Tiefkühlhähnchen: Kann man sich gegen so was versichern? Carla Temme (Meike Droste), Risikoanalystin bei einer Kölner Versicherung, ist sprachlos: Wie irre ist das denn? Ein Geflügelfabrikant glaubt an einen Fluch in der Familie, der seinen Verwandten in ihrem Berufsumfeld den Tod brachte. Temmes Abteilungsleiter Hans-Peter Mühlens reibt sich hingegen die Hände: ein Fall für die neue No-Limit-Versicherung, mit der sich die „Rheinische“ aus dem Bilanz-Keller stemmen will. Versichert wird alles, egal, wie durchgeknallt es ist.

Von gefrorenen Hähnchen erschlagen zu werden, das ist nicht das einzige aberwitzige Risiko, das Carla in der neuen ARD-Serie „Frau Temme sucht das Glück“ analysieren soll. Eine Braut, die sich gegen die Untreue ihres Zukünftigen absichern, ein Einbrecher, der seine Familie für den Fall seiner Berufsunfähigkeit schützen möchte – was abstrus klingt, findet in der statistisch verbrieften Risikoscheu der Deutschen einen wahren Kern. Sechs Versicherungen hat ein Deutscher im Durchschnitt; stolze 2400 Euro jährlich gibt er dafür aus, heißt es im Presseheft.

Brambach ist als Komiker brillant

Mit der neuen WDR-Produktion „Frau Temme sucht das Glück“ riskiert auch die ARD etwas. Der Sender könnte mit dem gewitzten Format sein angestammtes Dienstagabend-Publikum nachhaltig vergrätzen: Das erfreut sich traditionell an klischee-verseuchten Klinik-, Kloster- oder Zoo-Schmonzetten oder zieht sich den x-ten Krimi-Aufguss rein. In „Frau Temme“ sind Klischees dazu da, gebrochen zu werden, und ein Krimi ist das Newcomer-Format auch nicht. Genau deshalb konnte sich auch Martin Brambach, der brillant den neurotischen Herr Mühlens spielt, dafür begeistern. Auch das Setting habe ihn von Anfang an gereizt: „Das Versicherungswesen hat viel mit unserem Land zu tun. Und mit mir und meinem Leben. Ich gehöre auch zu den Menschen, die eher über- als unterversichert sind.“

Mit der Branche der Risiko-Absicherer entdecken die Autoren Dietmar Jacobs und Benedikt Gollhardt („Danni Lowinski“, „Edel & Starck“, „Türkisch für Anfänger“) eine Nische, in der Bürokratie und Arithmetik auf den unkalkulierbaren Irrsinn des Lebens treffen. Diese „Parallelwelt“ erweist sich in den sechs Folgen als sprudelnde Quelle feiner Komik.

Das Soziotop ist besiedelt von einer Handvoll eigenwilliger Typen, allen voran der Titelheldin. Mit der Hauptrolle kann Meike Droste, bekannt aus „Mord mit Aussicht“, in der ersten Reihe glänzen und Format beweisen. Ihre Frau Temme ist fantastisch normal – genau das ist das Ereignis. Ein bisschen verschroben zwar, so wie sie ihren Anorak zu Minirock und bunten Strumpfhosen kombiniert, aber mit unfehlbarem moralischen Kompass. Und sicherheitsliebend: „Weißt du, was im Leben alles passieren kann?“, fragt sie ihre neue Bekanntschaft, den Schweden Mikael (Richard Ulfsäter) entsetzt, als sie hört, dass er keine einzige Versicherung hat. „Möglichst viel“, antwortet der Lebenskünstler. Mit einem beiläufigeren Dialog dürften zwei so gegensätzliche Blicke aufs Leben noch nicht aufeinandergeknallt sein.

Dass Carla ihren Beruf so ernst nimmt, liegt vielleicht aber auch daran, dass ihr Leben eine Leerstelle aufweist: Ihr Mann ist ihr vor zehn Jahren auf mysteriöse Weise abhandengekommen. Das Glück hat sie mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsgesetzen aus ihrem Leben herausgerechnet, die Hoffnung darauf aber trotzdem noch nicht aufgegeben. Mit Mitgefühl begegnet sie ihrem Kollegen Horst (Roland Kukulies), der unter der Trennung von Frau und Tochter leidet, mit patenter Fürsorglichkeit ihrer leichtsinnigen Schwester (Anna Blomeier). Auf skrupellose Großmäuler wie ihren Kollegen Weber (Sebastian Schwarz) reagiert sie mit selbstbewusster Schlagfertigkeit. Ihrem Chef Mühlens ist sie treu ergeben – aber nur, solange sie ihm die Bedingungen dafür diktieren kann. Brambach beschreibt den Anzugträger, dessen Stimmungslagen in Sekundenschnelle kippen, als „sehr bunte Figur“: „Mühlens ist ein überforderter Chef, der ein spezielles Problem hat: Er ist kaufsüchtig, macht immer wieder große Anschaffungen, behauptet aber, die seien für seine Frau. Um die Sachen zu finanzieren, wird er obendrein spielsüchtig.“

Ein Antiheld mit Fallhöhe also, und damit für Martin Brambach eine Figur, wie er sie häufig spielt –„weil ich sie gern spiele“, wie er erklärt. „So einer wie Mühlens atmet Realität. Das Verlieren an sich ist ja ein wichtiger Teil unseres Lebens. Am Ende sind wir ja alle keine Gewinner. Die netten Menschen, die glücklichen Momente im Leben können wir ja nicht festhalten.“

Komik, mit Nachdenklichkeit gepaart

Mit Nebenrollen wie dieser hat sich der 49-Jährige unentbehrlich gemacht. 170 Filme sind auf seiner Werkliste, Serienfolgen nicht einberechnet. Hauptrolle, Nebenrolle: eine Unterscheidung, die für den gebürtigen Ost-Berliner, der mit seiner Familie in Recklinghausen lebt, danebengreift: „Es gibt gute und schlechte Rollen. Und gegenüber einer undankbaren, langweiligen Hauptrolle ist mir eine knackige, lustige Nebenrolle viel lieber.“ Die Nachdenklichkeit, die aus manchen Worten des Schauspielers spricht, findet sich auch in der Serie – und wie Autoren und Regie (Fabian Möhrke) diese mit Komik kombinieren, zeichnet „Frau Temme“ als gelungene Dramedy aus. So kann Temme ihren philosophischen Betrachtungen, mit denen sie ihr „persönliches Lexikon“ fortschreibt, nachgehen, ohne dass es nach abgedroschener Lebenshilfe klingt; ihre Love-Affair schlägt immer wieder neue Haken.

Überhaupt gleitet der Plot elegant an Erwartbarkeiten vorbei und ist mit kleinen, komischen Einfällen gespickt. Horst überreicht dem Schwätzer Weber beim ersten Kennenlernen ein paar „vorbereitete Unterlagen“. Sie entpuppen sich als Kopien seines entblößten Allerwertesten, mit dem man ihn noch kurz zuvor auf dem Kopiergerät sitzen sah.

ARD, Dienstag, 20.15