Toni Schmidt (Mercedes Müller) beliefert den Bundesverfassungsschutzchef, Otto John (Sebastian Blomberg). Foto: ARD/Odeon Fiction/Kai Schulz

Die 50er-Jahre-Serie verknüpft Familiendrama und Zeitgeschichte: Der Verfassungsschutzpräsident will das Land entnazifizieren, aber die Altfaschisten werden für den Kalten Krieg gebraucht.

Im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland, kurz:BRD, sind die 50er Jahre durch das Wirtschaftswunder geprägt: Dank des rasanten Aufschwungs hatte die Demokratie leichtes Spiel. Die Dämonen der Vergangenheit waren allerdings nach wie vor präsent, in jeder Behörde und in jeder Familie; davon handelt die im Jahr 1954 angesiedelte sechsteilige ARD-Serie „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“. Geschickt verknüpfen Claudia Garde und ihr Drehbuchteam – Martin Rehbock und Peter Furrer nach einer Idee von Gerrit Hermans – die Zeitgeschichte mit einem Familiendrama.

Nach einem Au-pair-Jahr in England kehrt die 20-jährige Toni Schmidt (Mercedes Müller) in die Bundeshauptstadt zurück. Mit der klassischen Frauenrolle als Hausfrau und Mutter kann sie sich nicht mehr identifizieren. Ihr Vater (Juergen Maurer) vermittelt ihr eine Stelle als Fremdsprachensekretärin bei einem Freund. Tonis neuer Chef, Reinhard Gehlen (Martin Wuttke), leitet den Auslandsgeheimdienst.

Toni ist hin- und hergerissen zwischen drei Vaterfiguren

Damit wird sie für einen Mann interessant, der so etwas wie der Gegenspieler Gehlens ist: Otto John (Sebastian Blomberg), einst Widerstandskämpfer und nun Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), will das Land entnazifizieren – aber die Kriegsverbrecher und Massenmörder haben mächtige Verbündete in den höchsten Stellen. John gewinnt Toni als Informantin, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass sie sich gegen ihren Vater auflehnen muss.

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Mitunter gibt Garde der familiären Ebene etwas zu viel Raum, als Vorbild diente mutmaßlich die ganz ähnlich konzipierte DDR-Serie „Weissensee“. Ungleich spannender ist die personelle Konstellation, denn Toni ist zwischen drei Vaterfiguren hin und her gerissen. Juergen Maurer versieht Gerd Schmidt mit der für ihn typischen düsteren Aura, was gut passt: Seine Figur hat eine Schuld auf sich geladen, die seiner Frau (Katharina Marie Schubert) das weitere Zusammenleben unmöglich macht. Martin Wuttke gestattet dem sinistren Gehlen eine väterliche Freundlichkeit, die dem Strippenzieher sogar eine gewisse Sympathie beschert. Sebastian Blomberg ist der tragische Held: Er kann seine Mission unmöglich erfüllen, weil „Hitlers willige Vollstrecker“ für den Kalten Krieg benötigt werden.

Eine vermeintliche Untergrundverschwörung

Tonis „Väter“ sind vielschichtige Charaktere, ihre Rollen klar verteilt: John ist in der Wahl seiner Mittel nicht wählerisch, doch er verkörpert das Gute. Gehlen ist selbstredend der Antagonist. Den Bauunternehmer Schmidt prägt die alte Ideologie, doch er repräsentiert vor allem den ökonomischen Aufschwung. Er will Deutschland wieder „groß machen“ und steht für jene Teile der Gesellschaft, die anders als John keine Wiedervereinigung von BRD und DDR im Sinn haben, sondern einen europäischen Wirtschaftsraum. Oder, wie es Wolfgang Berns (Max Riemelt), die fünfte zentrale Figur, formuliert: „Niemand will Frieden, damit lässt sich kein Geld verdienen.“

John setzt seinen engsten Vertrauten als „Romeo“ auf Toni an. Der Agent soll garantieren, dass die von Gehlen zur persönlichen Korrespondentin ernannte junge Frau das BfV zuverlässig mit Informationen versorgt. Der Präsident hat keine Ahnung, dass Berns auf eigene Rechnung unterwegs ist; bis zum Schluss bleibt offen, auf welcher Seite er wirklich steht. Mit Tonis Hilfe kommt er einer vermeintlichen bewaffneten Untergrundverschwörung auf die Spur, die der Serie dank der aufgeflogenen Aktion der „Reichsbürger“ bizarre Aktualität verleiht. Alle Spuren führen zur „Quelle des Bösen“, wie John die Organisation Gehlen nennt.

Ein historisches Schlaglicht

Die Ausstattung und die Kostüme sind wie bei allen Fernseh-Produktionen dieser Art sorgfältig ausgesucht, die zeitgeschichtlichen Hintergründe detailliert recherchiert. Allein als Schlaglicht auf ein selten erzähltes Kapitel der bundesdeutschen Historie ist „Bonn“ ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit, selbst wenn nicht alle Szenen als Beitrag zur Wahrheitsfindung durchgehen. Außerdem klingen gerade angesichts der sonstigen Akribie diverse sprachliche Modernismen völlig deplatziert.

Davon abgesehen ist Garde die richtige Regisseurin für diesen facettenreichen historischen Stoff, der auch Agentenkrimi und Romanze ist. Zu ihren jüngsten Werken gehörten der Thriller „Das Nebelhaus“ (Sat. 1, 2017) und die vorzüglich gespielte Romanze „Verliebt in Valerie“ (ARD, 2019). Zuletzt hat sie „Ottilie von Faber-Castell“ (ARD, 2019) gedreht, ein aufwendig gestaltetes Porträt der Bleistiftfabrikantin; der Titelzusatz „Eine mutige Frau“ könnte auch auf Toni gemünzt sein.

Bonn – Alte Freunde, neue Feinde: sechsteilige Serie, 17., 18. und 24. Januar, jeweils zwei Folgen, 20.15 Uhr, ARD. Bereits in der ARD-Mediathek abrufbar

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Kontext
 Zwischen 1945 und 1949 wurde der Führungsriege des Naziregimes wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Nürnberg der Prozess gemacht. Jedoch gelang es Kriegsverbrechern, sich mithilfe von Netzwerken wie „Die Spinne“ abzusetzen, vor allem nach Südamerika. Viele blieben auch in Deutschland, vertuschten ihre Vergangenheit und wurden zu geachteten Mitgliedern der Gesellschaft.

Personen
 Die Dramaserie beruht auf wahren Begebenheiten im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Der Jurist Otto John war von 1950 bis 1954 der erste Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Er gehörte im Zweiten Weltkrieg der Widerstandsgruppe um Stauffenberg an. Seine Mission war es, untergetauchte Nationalsozialisten aufzuspüren. Sein Gegenspieler war Reinhard Gehlen – ein ehemaliger hochrangiger Nationalsozialist, der Chef der Organisation Gehlen wurde, der Vorläuferorganisation des heutigen Bundesnachrichtendienstes (BND).