Björn Höcke spricht bei der AfD-Veranstaltung in Tuttlingen. Foto: dpa

Thüringer AfD-Sprecher zu Gast in Tuttlingen. Meuthen: keine Konkurrenzveranstaltung.

Tuttlingen/Stuttgart - Die parteiinternen Querelen sind nicht lange her – die Umfragewerte waren auch schon mal besser. Beim Wahlkampfauftakt in Südwesten am Donnerstagabend in Stuttgart gibt sich die AfD-Spitze geeint. Aber ist sie das wirklich? Schließlich gibt es am Freitagabend in Tuttlingen gleich noch einmal einen Wahlkampfauftakt.

Im beschaulichen Tuttlinger Stadtteil Möhringen stehen aber weder Bundeschef Jörg Meuthen oder Spitzenkandidatin Alice Weidel am Rednerpult, sondern Björn Höcke, der in der Partei am rechten Flügel agiert und gegen den ein Parteiausschlussverfahren läuft. Eingeladen wurde der Thüringer vom stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag, Emil Sänze (Sulz/Kreis Rottweil). Meuthen beteuert tags zuvor in Stuttgart zwar, dass die Terminnähe des Tuttlinger Wahlkampfauftaktes nichts zu bedeuten habe. "Die Wahrnehmung, dass dies eine Gegenveranstaltung sei, die ist schlichtweg falsch." Das betont in Möhringen auch Emil Sänze. Die Einladung Höckes begründet er damit, die gesamte Bandbreite der Partei aufzeigen zu wollen. Aus diesem Grund plane er auch noch eine Veranstaltung mit Frauke Petry und Alice Weidel – dann wohl in Rottweil.

Etwa 200 Demonstranten vor Halle

Polizeiposten an allen Einfahrtstraßen, berittene Polizei rund um die Halle und schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei. Der Veranstaltungsort in Möhringen ist weiträumig abgesperrt, der Hauptzugangsweg von rund 50 schwarz gekleideten Antifa-Mitgliedern blockiert. Es kommt zum Handgemenge, ein Demonstrant wird abgeführt. Besucher der Veranstaltung, die sich nicht um die Halle leiten lassen, sondern den Hauptzugang nutzen wollen, werden bedrängt, beschimpft und beleidigt. Die Veranstaltung kann deshalb erst später beginnen. "So weit sind wir schon in Deutschland", zeigt sich ein älterer Herr entsetzt, nachdem ihm Beamte den Durchgang ermöglicht haben. Insgesamt schätzt die Polizei die Zahl der Demonstranten auf rund 200. Viele von ihnen stehen stumm in einiger Entfernung, quasi als Zaungäste. Weitere lauschen der Kundgebung "Keine Böcke auf Höcke" und summen beim Song "Love is all you need" mit.

In der Halle ist – unbemerkt von den Demonstranten – Höcke unter dem Jubel der rund 300 Besucher eingetroffen. Doch bis er ans Mikrofon tritt, dauert es noch. Den Vortritt haben Raimond Hoffmann, Bundestagskandidat des Wahlkreises Rottweil-Tuttlingen, und Christina Baum, stellvertretende Landesvorsitzende. Zwar erhalten Hoffmann und Baum auch jede Menge Applaus, den Löwenanteil jedoch fällt Höcke zu. Er ist der Star des Abends und genießt es sichtlich, dass seine Rede immer wieder von "Höcke, Höcke"-Rufen unterbrochen wird und die Zuhörer immer wieder aufstehen, um zu applaudieren.

Angriffsziel ist vor allem Angela Merkel

Fast eine Dreiviertelstunde redet er – und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Angriffsziel ist vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Wenn sich die CDU, wie in Nordrhein-Westfalen geschehen, als Lösung in Sachen Innere Sicherheit anbiete, dann sei das "schamlos, frech und zynisch dem eigenen Volk gegenüber". Höcke: "Hier macht sich der Bock zum Gärtner!" Aber auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nimmt sich Höcke vor. Er und Merkel seien Repräsentanten des Establishments: "eine vaterlandslose verbrauchte Politik-Kaste" – Jubel brandet auf.

Großen Platz räumt Höcke der Flüchtlingspolitik ein. Er rechnet vor, was eine Pflegefamilie für die Betreuung eines unbegleiteten Flüchtlings bekommt und was eine Pflegefamilie für die Betreuung eines Kindes ohne Migrationshintergrund bekommt. "Die Asylindustrie verdient kräftig", sagt der Thüringer und fordert: "Die Inländerdiskriminierung muss ein Ende haben!"

In Deutschland müsste man nicht über eine Schieflage des Rentensystems reden, "wenn wir das Geld eher für unsere Bürger ausgeben würden als gegen sie". Sämtliche Altparteien würden eine One-World-Ideologie verfolgen. In der Realität bedeute dies "Multikriminalisierung durch Multikultivisierung". Deshalb fordert er "Schluss mit der dekadenten Multikulti-Spinnerei", denn: "Ich will, dass wir Herr im eigenen Haus bleiben!" Jetzt hält es fast niemanden der knapp 300 Besucher mehr auf dem Platz. Keine Frage: Der Thüringer punktet bei seinen Zuhörern im Südwesten, die anschließend geduldig auf ein Selfie mit ihm warten.

Auch tags zuvor in Stuttgart setzt die Partei auf die Kritik an der Bundeskanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik. Wie Höcke wettert Meuthen gegen die etablierten Parteien im Bundestag, denen er den Mut abspricht, drängende Probleme anzugehen. Und Weidel nennt SPD-Kanzlerkandidat Schulz eine "Parodie auf einen Kanzlerkandidaten". Großer Applaus ist ihnen – wie Höcke in Möhringen – sicher. Es scheint fast so, als ob die Partei im Bundeswahlkampf doch wieder auf eine Linie einschwenkt. Schließlich werden in diesen Tagen Meuthen und andere AfD-Landespolitiker auch bei Veranstaltungen in Nagold (Kreis Calw) und Sigmaringen gefeiert.

Vor nicht allzu langer Zeit präsentierte sich die AfD öffentlich noch zerstritten: Weidel wollte im März Landeschefin der Partei in Baden-Württemberg werden. Daraus wurde nichts. Mit Ralf Özkara, am Freitag ebenfalls bei der Veranstaltung in Möhringen dabei, setzte sich überraschend Meuthens Favorit durch. Und beim Bundesparteitag im April hat die AfD darüber gestritten, ob sie einen realpolitischen Kurs oder eine Strategie als Protestpartei verfolgen solle.

Partei versucht, interne Querelen unter dem Deckel zu halten

Seitdem versucht die Partei aber, interne Querelen unter dem Deckel zu halten. Aus gutem Grund: Aus heutiger Sicht ist es zwar wahrscheinlich, dass die AfD am 24. September in den Bundestag einzieht. In den bundesweiten Umfragen steht sie derzeit zwischen 7 und 10 Prozent. Allerdings waren die Umfragewerte im Herbst 2016 mit zeitweise 16 Prozent schon einmal deutlich besser. Zwar wendet sich die AfD gegen den Vorwurf, sie habe nur dieses eine Thema. Trotzdem spielt sie gerade die Flüchtlingsthematik prominent weiter – wie am Donnerstag in Stuttgart und am Freitag in Tuttlingen.