Tübingen/Rottenburg - Der Rassismus-Vorwurf gegen Boris Palmer und die Nachwirkungen: Stephan Neher, Oberbürgermeister von Rottenburg (Kreis Tübingen), hatte im Gespräch mit unserer Zeitung Äußerungen seines  grünen Amtskollegen und Stadt-Nachbarn zur Flüchtlingspolitik als rassistisch bezeichnet. Palmer wehrte sich prompt am Samstagabend auf seiner Facebook-Seite. Und auch im Interview mit unserer Zeitung weist er Nehers Kritik zurück. Er spreche nur Fakten aus, sagt Palmer.  

Hat Sie der Rassismus-Vorwurf Ihres Amtskollegen überrascht?

Der Vorwurf nicht, nur, dass er vom Rottenburger OB kommt. Der frühere Münchener OB Christian Ude hat darüber in Tübingen gesagt, er sei schon als Rassist bezeichnet worden, weil er die Unterscheidung in Staatsbürger und Flüchtlinge betont hat. Der Begriff wird mittlerweile völlig willkürlich und sinnlos auf jeden angewandt, der auf Probleme mit der Flüchtlingspolitik aufmerksam macht.

Wie begründen Sie, dass dieser Vorwurf Ihrer Meinung nach haltlos ist?

Rassismus ist, wenn jemand sagt: "Man weiß ja, dass Afrikaner als Kriminelle auf die Welt kommen." Kein Rassismus, sondern traurige Realität ist, wenn ich sage: "Flüchtlinge aus dem Maghreb sind in Deutschland zu 30 Prozent Kriminelle." Ich habe immer nur auf solche Fakten hingewiesen und Lösungsvorschläge gemacht. Mit Rassismus hat das einfach nichts zu tun.

Würden Sie sich manchmal selbst als Populisten bezeichnen?

Wenn das heißt, dass ich in mein Handeln als OB die Meinung der Bürger einbeziehe, selbstverständlich ja. Ich sage aber niemals etwas, das ich nicht auch meine. Wie Manfred Rommel es sagte: "Dem Volk aufs Maul schauen, aber ihm nicht nach dem Mund reden."

Sie erscheinen in letzter Zeit öfter in den überregionalen Medien. Was sagen Sie Ihren Kritikern, die dahinter eine Strategie und Marketing für Ihr Buch vermuten?

Die sollen mal googeln. Ich war schon vor meinem Buch zehn Jahre lang Gast in allen großen deutschen Talkshows, ich habe mit Heiner Geißler die Schlichtung zu Stuttgart 21 wesentlich geprägt. "Wir können nicht allen helfen" ist innerhalb von zwei Wochen auf Platz eins  der Bestsellerliste gestiegen. Das Buch ist von selbst interessant. Oder glauben Sie, ich habe den Kollegen Neher gebeten, mich zu beschimpfen, damit Sie ein Interview mit mir machen?

Manche vermuten, dass Sie die Grünen früher oder später verlassen werden. Stimmt das?

Nein. Blanker Unsinn. Ich bin Ökologe durch und durch,  und da kann man nur Grüner sein.

Kritiker werfen Sie gerne in einen Topf mit der AfD. Warum passt das Ihrer Meinung nach nicht zusammen?

Das ist ungefähr wie die Frage, warum ich nicht zu den anonymen Alkoholikern gehöre, obwohl Kritiker das sagen. Dieses Abschieben in die rechte Ecke ist dummdreist.

Wie finden Sie es, wenn Sie Applaus von der AfD bekommen?

Das ist mir wurscht. Ich mache meine Meinung nicht davon abhängig, wer gerade klatscht. Ganz besonders gilt das, wenn es gar nicht um die Meinung, sondern um die Beschreibung der Wirklichkeit geht. Ich sage nicht zu einem Esel Kuh, nur weil die AfD klatscht, wenn ich einen Esel auch Esel nenne.

Welche Reaktionen bekommen Sie aktuell aus Ihrer Partei? Fühlen Sie sich manchmal selbst als Exot oder vielleicht sogar als Ausgegrenzter?

Nein, es sind nur Dogmatiker, die versuchen, mich auszugrenzen. Das wird ihnen nicht gelingen. Als ich vor zwei Jahren sagte, die vielen jungen Männer aus patriarchalischen Kulturkreisen, werden zu einem Problem in unserer offenen Gesellschaft, wollten viele das nicht hören. Heute ist es erwiesen. Das erkennen auch die meisten meiner Parteifreunde an.

Welche Reaktionen bekommen Sie sonst so von Amtskollegen?

Die meisten sehen es wie ich und Christian Ude. Probleme muss man ansprechen, sonst kann man sie nicht lösen. Nehmen Sie den Mannheimer Kollegen Peter Kurz. Der hat gerade erst einen Brandbrief an den Innenminister geschrieben, weil er mit angeblichen jugendlichen maghrebinischen Banden in seiner Stadt nicht mehr klarkommt. Das akzeptieren die Bürger nicht,  und weil sie uns als Erste greifen können, gehen sie damit zum OB.

Erhalten Sie Bedrohungsmails und Beleidigungen?

Kann ich gar nicht mehr zählen, ja. Aber auch da hilft Manfred Rommel: "Als OB darf man nicht beleidigungsfähig sein."

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu OB Neher vor dem Rassismus-Vorwurf beschreiben? Wie wird es künftig sein?

Es war freundschaftlich,  und es bleibt freundschaftlich. Bei Flüchtlingsfragen sind wir auseinander, da gehört er zur Herz-Jesu-Fraktion in der Union und verleiht Angela Merkel Preise. Sein gutes Recht, ich sehe es halt anders.

Leiden künftig die Verbindungen zwischen Rottenburg und Tübingen?

Nein.

REAKTION: Was meint Rottenburgs OB Stephan Neher dazu?

OB Stephan Neher erneuert Kritik

Rottenburgs OB Stephan Neher hatte seinem Tübinger Amtskollegen Boris Palmer vorgeworfen, oft schnell zurückzurudern, wenn Kritik aufkommt. Er selbst steht zu seinem Rassismus-Vorwurf  auch in einem Gespräch mit unserer Zeitung am Sonntag: "Ich bestreite zwar nicht, dass die Kriminalstatistik einen Anstieg an Taten durch Flüchtlinge zeigt. Auch müssen die in unser Land gekommenen Menschen unsere Werte anerkennen. Aber ich verurteile trotzdem Boris Palmers Facebook-Posts, die Verbrechen in Köln, Freiburg oder Kandel mit einer ganzen Gruppe in Verbindung bringen."

Wenn man  wie Palmer eine Gruppendefinition annehme, "sind das Rassenmerkmale, die man da feststellt." In einem Briefwechsel haben sich Palmer und Neher am Wochenende ausgetauscht. Der Tübinger OB veröffentlichte ihn auf seiner Facebook-Seite. Neher übrigens teilte Palmers Beitrag umgehend.