Boris Palmer (Grüne) wehrt sich gegen Vorwürfe, er würde in der Flüchtlingskrise die Ängste von Bürgern schüren. Foto: Kjer

Tübingens OB zeigt sich unbeeindruckt von innerparteilicher Kritik an seinem Kurs in der Flüchtlingskrise.

Tübingen - Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer weicht trotz innerparteilicher Kritik nicht von seiner Linie in der Debatte um die richtige Flüchtlingspolitik ab. Er forderte gestern in der "Welt" eine offene Diskussion über grundsätzliche Weichenstellungen. Die CDU bescheinigte den Grünen chaotische Zustände und fordert ein Machtwort von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). "Bei den Grünen ist die Debatte inzwischen entgleist, mit der so oft gelobten Diskussionskultur ist es bei den Grünen nicht weit her", sagte CDU-Generalsekretärin Katrin Schütz. Palmer plädierte für eine Grenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen und fing sich damit scharfe Kritik seiner Partei ein. Er wird dem Realo-Flügel bei den Grünen zugeordnet.

Auch die Bundespartei ging auf Distanz zum Tübinger Rathauschef. Grünen-Chefin Simone Peter sagte im SWR-"Interview der Woche": "Boris Palmer ist bei uns Grünen eine Einzelstimme, wenn er Obergrenzen fordert."

Palmer zeigte sich unbeeindruckt von der innerparteilichen Kritik und bemerkte im Interview mit unserer Zeitung lakonisch: "Der Überbringer der schlechten Botschaft wird immer geprügelt." Mit Blick auf rasant steigende Flüchtlingszahlen und die permanenten Herausforderungen für Helfer und Behörden betonte er: "Wenn ich die Lage im Griff behalten soll, muss ich jetzt die SOS-Flagge hissen." Die Grünen-Landesvorsitzenden Thekla Walker und Oliver Hildenbrand hatten ihren Parteifreund Palmer als "Bescheidwisser und Untergangsbeschwörer" bezeichnet.

Palmer sieht Deutschland in der Flüchtlingspolitik am Scheideweg: Entweder müsse den an Leib und Leben bedrohten Flüchtlingen Schutz zugesagt werden – bei begrenzten Möglichkeiten der Integration. "Sonst drohen furchtbare Enttäuschungen", schrieb der Grünen-Politiker in einem Gastbeitrag für die "Welt". Bei weiterhin weit offenen Grenzen müsse der Bund seine finanziellen Hilfen für den Bau von Flüchtlingswohnungen mindestens verzehnfachen und die Kommunen von zahlreichen Vorschriften befreien, die den Wohnungsbau einschränkten.

Als Alternative zum unbegrenzten Schutz nennt Palmer die Absicht, allen Flüchtlingen eine gute Aufnahme und echte Chance auf Eingliederung in die Gesellschaft zu bieten. Dann müssten aber die Zugangszahlen deutlich reduziert werden. Als Instrumente dafür nannte Palmer Hilfe in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, Mitarbeit bei der Befriedung von Konflikten, Sicherung der europäischen Außengrenzen und eine europäische Aufnahmepolitik – "aber auch durch das offene Eingeständnis, dass wir überfordert sind". Er resümierte: "Beide Wege sind hart und steinig." Die Diskussion darüber müsse jetzt geführt werden.