Das Tübinger Landgericht befasst sich erneut mit einem Missbrauchsfall. Foto: M. Bernklau

54-jähriger Lkw-Fahrer wegen jahrelangem Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen angeklagt.

Tübingen/Kreis Calw - Die Zahl der mutmaßlich missbrauchten Mädchen ist so groß, dass die Strafkammer eine Liste für die Verfahrensbeteiligten erstellen ließ. Vor dem Tübinger Landgericht muss sich seit Dienstag ein 54-jähriger Lastwagenfahrer aus dem Kreis Calw verantworten.

Es sind vor allem eigene Töchter und Stieftöchter aus zwei Beziehungen, denen der Mann laut der Anklage von Staatsanwältin Rotraud Hölscher über viele Jahre hinweg vielfach zuleibe gerückt sei. Es soll aber teils auch um einige von deren Freundinnen gehen. Dass in einigen Fällen nicht wegen Vergewaltigung verhandelt wird, liegt nur daran, dass die Bestimmungen und Definitionen des neuen Sexualstrafrechts zu den vorgeworfenen Tatzeiten noch nicht galten. Das betrifft vor allem das Eindringen mit Fingern.

Der aus der U-Haft in Handschellen vorgeführte Angeklagte scheint die Vorwürfe in den Vernehmungen weitgehend eingeräumt zu haben. Deshalb äußerte sein Verteidiger Siegfried Böttinger auch Bereitschaft, über einen Verständigungsvorschlag der Jugendstrafkammer unter dem Vorsitz von Armin Ernst zu reden, der den inzwischen teils schon erwachsenen Mädchen die Aussage vor Gericht erspart – gegen ein Geständnis und einen gewissen Strafnachlass.

Bisher sind als Zeugen nur die ermittelnden Kripo-Beamten vom federführenden Kommissariat Calw geladen.

Der vom Alb-Rand stammende Angeklagte ging wohl 1985 seine erste Ehe ein, in die seine Frau zwei Töchter mitbrachte. Drei weitere gemeinsame Töchter kamen in Schwäbisch Gmünd zur Welt, bis die Familie 1994 in den Kreis Calw zog. Schon 1992 soll nach der Anklage der Missbrauch der eigenen, damals sieben und neun Jahre alten leiblichen Töchter begonnen haben.

Mit seiner zweiten, inzwischen auch getrennt lebenden Partnerin hatte der Angeklagte ebenfalls zwei leibliche Töchter. Während der Trucker unter der Woche auf Tour war, lebten seine Frauen und Kinder nacheinander in vielen Kreisgemeinden von Sprollenhaus bis Calw, von Schömberg-Bieselsberg über Dobel bis Oberreichenbach.

Die jüngsten Übergriffe des zeitweilig wohnsitzlosen Angeklagten sollen bis zum Frühjahr 2018 auch am neuen Wohnort der getrennten zweiten Frau in Welzheim geschehen sein. Vorgeworfen wird ihm aber auch, eine seiner Töchter bis zum Jahr 2016 auf mehrtägige Lkw-Fahrten nach Frankreich und England mitgenommen und dabei missbraucht zu haben.

Neben gewohnheitsmäßigem Betatschen vor dem Fernseher oder beim Einschlafen, oft samt Onanieren, schilderte die Staatsanwältin auch den Fall einer versuchten Vergewaltigung, wo die Tochter den Vater zwar wegstoßen konnte, danach aber "gezittert und geweint" habe. Auch Nötigungen wirft die Anklage dem Mann vor: "Es passiert was Schlimmes, wenn du was sagst", habe er gedroht oder "unser gemeinsames Geheimnis" beschworen.

Zwei Anwältinnen vertreten die Nebenklagen dreier Töchter. Die Häufigkeit der Übergriffe schätzte die Anklägerin für eines der Mädchen auf "fünfzigmal pro Jahr". Über schweren sexuellen Missbrauch teils schutzbefohlener Kinder und Minderjähriger, über Nötigung und einen Fall versuchter Vergewaltigung müssen die drei Berufsrichter und die zwei frisch vereidigten Laien-Schöffen bei fünf weiteren Prozessterminen bis Mitte November befinden.