Steht mit dem FSV Mainz 05 im Rampenlicht: Trainer Thomas Tuchel. Foto: dapd

Der FSV Mainz 05 war unter Thomas Tuchel das Überraschungsteam des vergangenen Jahres.

Stuttgart - Begeisternder Fußball, große Talente, Platz zwei in der Bundesliga - der FSV Mainz 05 war unter Thomas Tuchel das Überraschungsteam des vergangenen Jahres. Aber geht es nun so weiter? "Wir haben hohe Ansprüche", sagt der Trainer mit der Stuttgarter Vergangenheit.

 

Hallo Herr Tuchel, wie ist die Befindlichkeit vor dem Start in die Rückrunde?

Alles in Ordnung. Wir haben viel Vertrauen bekommen durch die außergewöhnliche Konstanz und die außergewöhnliche Punktzahl, die wir uns mit unserer Art zu spielen geholt haben. Und dieses Vertrauen drückt sich in einem sehr positiven Gefühl aus.

Hier in Stuttgart gibt es dagegen einige Probleme. Die Radio-Bar, in der Sie einst gejobbt haben, ist schon lange weg - und nun droht auch noch der VfB in der zweiten Liga zu verschwinden. Was wäre der größere Verlust?

(Lacht) Das Aus der Radio-Bar war grundsätzlich schon mal schlimm. Aber auch die Bundesliga ohne den VfB ist für mich unvorstellbar.

Der VfB ist aber noch mehr für Sie als nur ein fester Bestandteil der Liga, oder?

Das stimmt. Der VfB war der Beginn meiner Trainerkarriere und ein ganz wesentlicher Baustein darin. Die Ausbildung, die ich dort genießen durfte, hat mich absolut geprägt. Darüber hinaus habe ich ja auch noch bei den Stuttgarter Kickers gespielt, habe hier studiert, habe hier erstmals allein gewohnt. Stuttgart ist so ein bisschen eine Heimatstadt für mich.

Dann dürfen wir ja ein bisschen Mitgefühl erwarten.

Ich zeige auf jeden Fall Mitgefühl ...

... leisten aber keine Mithilfe.

Nein, damit ist nicht zu rechnen. Aber wie gesagt: Die Entwicklung beim VfB lässt mich nicht kalt.

"Bei uns ist es so, dass man eher bremsen muss"

Ein Credo von Ihnen ist: Wir wollen besser sein als die Summe der Fähigkeiten der Einzelspieler. Wie wird man besser?

Das ist zuvorderst der tägliche Umgang. Das Miteinander zwischen Stadt, Bewohnern, Club, Fans, aber auch zwischen Spielern und Trainer ist hier in Mainz sehr wertschätzend und respektvoll. Wenn man als Gemeinschaft mehr sein will als die Summe der Einzelteile, beginnt das mit diesen Kleinigkeiten.

Ist es anstrengender, unter Ihnen zu trainieren, als anderswo?

Das weiß ich nicht. Wir versuchen zwar jederzeit Freude auszustrahlen und viel zu lachen, aber letztendlich haben wir hohe Ansprüche. Und wenn wir wissen, zu was die Spieler in der Lage sind, dann sind wir auch nicht bereit, weniger zu akzeptieren. Und ja, das wird dann schon mal anstrengend.

Nicht nur körperlich.

Wir verlangen von den Spielern, ihre Topleistung in jedem Training zu bringen, bescheiden zu bleiben, sich selbst zu fordern und nicht stehen zu bleiben. Da will ich als Trainer auch anstrengend sein.

Und so die Qualität der Gruppe steigern.

Wir können die Zufälle so vielleicht nicht minimieren, aber mit ihnen schneller umgehen, schneller darauf reagieren oder sie schneller zu unseren Gunsten nutzen. Diese intensive Arbeitsweise ist für uns Standard geworden, damit fühle ich mich sehr wohl.

Ist es durch den Erfolg schwieriger geworden, den Spielern volle Bereitschaft zu entlocken?

Nein, für uns fühlt es sich manchmal eher schwieriger an, eine Einheit hinzubekommen, die nicht so intensiv ist. Bei uns ist es so, dass man eher bremsen muss. Das ist ein gutes Zeichen. Und durch unser außergewöhnlich gutes Jahr gibt es nun auch einen großen Rückhalt für unsere Art zu trainieren und zu spielen.

"Wir werden uns wehren"

Der Hype um Mainz 05 war groß. Bestand nie die Gefahr, dass die Leistung leidet?

Es gab sicher Phasen, in denen es nah dran war, uns abzulenken. Aber es war ganz witzig: In dem Moment, als wir Zweiter waren und zweimal verloren hatten, waren plötzlich wieder genauso viele da, wie im Jahr zuvor, als wir Neunter waren. Und irgendwie war das vielleicht das größte Kompliment.

Inwiefern?

Wir stehen auf dem zweiten Platz - und das wird als Normalität wahrgenommen.

Ist es denn Normalität?

Auch wenn man uns das vielleicht nicht glaubt: Wir schauen nicht so sehr auf die Tabelle. Ich weiß nicht einmal, wie viel Punkte Abstand es zum Vierten oder Fünften sind. Die herausragende Fähigkeit meiner Mannschaft ist es einfach, dass sie sich traut, in jedem Spiel an den Sieg zu glauben - und auch danach zu handeln. Dass dann Platz zwei rauskommt, ist eine tolle Bestätigung für alle, die schon seit Jahrzehnten diesen Verein leiten. Wir sollten uns aber davor hüten, das als Normalität abzutun.

Zurück zum VfB: Was erwarten Sie vom Team unter dem neuen Trainer Bruno Labbadia?

Es ist schwieriger geworden, den VfB einzuschätzen, denn die ersten Spiele unter Bruno Labbadia waren noch nicht aussagekräftig. Da hatte er zu wenig Zeit, Dinge umzusetzen. Das war jetzt aber gegeben, deshalb sind wir gespannt, was uns erwartet. Ich denke, dass der VfB mit viel positiver Energie nach vorne gerichtet ins neue Jahr geht und versucht, gleich im ersten Heimspiel das Publikum hinter sich zu bekommen. Sie werden den Sieg erzwingen wollen. Wir werden uns dagegen wehren - und dafür brauchen wir eine Topleistung.

Treffen Sie in Stuttgart noch Freunde?

Ja, auch wenn die Zeit knapp ist. Es sind viele Freunde von mir im Stadion - und das zu wissen ist ein gutes Gefühl.