Polizeiliche Ermittlungsarbeit ist für viele ein spannender Aspekt von True Crime (Symbolfoto). Foto: Polizeiliche Kriminalprävention

Wer regelmäßig Podcasts hört oder Netflix-Serien streamt, kommt an ihnen nicht vorbei: True-Crime-Formate. Auch in Sachbüchern und Zeitschriften sind sie nicht mehr wegzudenken. Wahre Verbrechen boomen und scheinen viele Menschen zu faszinieren. Doch was steckt hinter dem Hype?

True Crime, so heißt das Phänomen, bei dem wahre Verbrechen in Form fesselnder Geschichten erzählt werden. Da geht es um schockierende Straftaten, Ermittlungsarbeit und Gerichtsprozesse. Was für manche makaber klingt, ist für andere spannende Unterhaltung. Wie aber entsteht diese Faszination?

Kein neues Phänomen

Obwohl True Crime nach einem modernen Trend klingen mag, ist das Thema aber eigentlich nicht neu. Jens Ruchatz, Medienwissenschaftler an der Universität Marburg, sieht die Ursprünge von True Crime im Bänkelsang aus dem Mittelalter, wie er in einem Beitrag von Deutschlandfunk erläutert. Damals wurden Sänger dafür bezahlt, dass sie auf öffentlichen Plätzen ihrem Publikum schaurige Geschichten vortrugen. Auch im 19. Jahrhundert war Berichterstattung von Mordprozessen eine gängige Rubrik in der Presse. Ab dem 20. Jahrhundert wurden wahre Verbrechen dann in den Medien in unterschiedlichen Formaten thematisiert. Das Bekannteste ist bis heute wahrscheinlich "Aktenzeichen XY... ungelöst".

Woher kommt die Faszination?

Heute begegnet man True Crime-Formaten in den unterschiedlichsten Formen. Doch warum sind Menschen von Geschichten wahrer Verbrechen fasziniert? Wieso abstrahieren sie scheinbar so leicht zwischen einer oftmals grausamen Straftat, die sie eigentlich abstößt und der fesselnden Erzählung, der sie zu Unterhaltungszwecken folgen? Kriminalpsychologin Lydia Benecke erklärt in einer Podcastfolge der Ärztezeitung, warum man diese Inhalte positiv und spannend erlebt: "Wenn Menschen abends auf der Couch auf Netflix eine True-Crime-Serie anschauen, dann wissen sie ja, sie sind in Sicherheit. Man schaut sich etwas an, das Grusel auslöst, also eine Variante der Emotion Angst, die aber im Gegensatz zur echten Angst positiv ist. Grusel ist positiv, weil die Person weiß, sie ist nicht in Gefahr und somit in Sicherheit." Zudem sei das Erzählen von Verbrechen eine Art menschlicher Verarbeitungsmechanismus angesichts schwer zu begreifender Straftaten. Auf diese Art und Weise wurden schon vor Jahrhunderten wahre Verbrechen zu Märchen und Mythen weiterentwickelt. 

Vor allem bei Frauen beliebt

Laut einer Umfrage von Statista sind Fans von True-Crime-Podcasts überwiegend weiblich. So geben fast 25 Prozent der befragten Frauen an, regelmäßig True-Crime-Podcasts zu hören. Bei den Männern sind es nur knapp über 10 Prozent. Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen, führt dieses Interesse bei Frauen darauf zurück, dass diese häufig empathischer seien als Männer. Auch in seiner beruflichen Tätigkeit an der Universität Tübingen beobachte er, dass mehr als 75 Prozent der Jura-Studierenden, die den Schwerpunkt Kriminologie wählen, Frauen seien. 

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Was macht wahre Verbrechen so spannend?

"True Crime ist anders als einen Krimi zu schauen. Es ist real passiert. Da hat man eine ganz andere Art von Spannung und ganz andere Abgründe, in die man da schaut", erklärt Luisa Bleich die Faszination. Die SWR-Redakteurin zeichnet gemeinsam mit ihrem Kollegen Joost Schmidt seit zwei Jahren bei "DasDing" für den True Crime-Podcast "5 Minuten vor dem Tod - Der Kriminalpodcast" verantwortlich. "Eine wichtige Frage, die man sich beim Hören stellt ist: wozu sind Menschen fähig? Was hat diesen Menschen zum Mörder gemacht? Das ist ein großer Themenkomplex, den man aufdröselt", erklärt Bleich. Bei ihrem Podcast sei es ihr wichtig, die behandelten Fälle nicht nur nachzuerzählen, sondern die Tat immer eingehend zu beleuchten, in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Deshalb kämen auch immer wieder Experten für bestimmte Themen zu Wort.

Gibt es auch eine Kehrseite?

Bei so viel Auseinandersetzung mit Verbrechen stellt sich die Frage: Können True-Crime-Formate auch zu Nachahmungstaten führen? Der Kriminologe Jörg Kinzig sieht hier eher keine Gefahr: Auch nach langjähriger Erfahrung habe er noch nie davon gehört, dass ein Tatverdächtiger berichtet hätte, wegen eines Podcasts eine Straftat begangen zu haben. Ein anderer kritischer Aspekt könnte darin liegen, dass der oder die Täter nicht in allen Fällen bekannt sind. Häufig werden in True-Crime-Formaten ja auch ungelöste Fälle behandelt.

Da wird in so mancher Laien-Community gelegentlich spekuliert, wer die Tat begangen haben könnte. Besteht hier die Gefahr, dass auch Unschuldige in den Fokus der Öffentlichkeit geraten und vorverurteilt werden könnten? Ganz grundsätzlich sei das Phänomen von Vorverurteilungen sehr ernst zu nehmen, manchmal könnten soziale Medien solche Vorgänge auch verstärken, erklärt Kinzig. Strafverfolgung sei immer Sache des Staates und nicht die Zuständigkeit von Online-Communities, betont er. Dass bestimmte True-Crime-Formate zu Vorverurteilungen geführt hätten, sei ihm aber nicht bekannt.

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