Ein glänzend aufgelegter Wolfgang Grupp und ein Landrat, dem die Fragen nicht ausgehen wollten: Günther-Martin Paulis Bürgerdialog zum Thema "Eigenverantwortung statt Einschränkung?!" hatte Talkshow-Qualitäten. Die User-Beteiligung war enorm, es prasselte Beifall für die Ansichten des Burladinger Trigema-Chefs.
Balingen - Mehr als 100 Nutzer verfolgten den Live-Stream zeitweilig allein auf Facebook, die Instagram-Zuseher und die, die diesen mittlerweile 26. Bürgerdialog als Aufzeichnung ansahen, noch nicht mit eingerechnet.
Wie schlimm der Lockdown im vergangen Jahr Trigema überrascht habe, wollte Landrat Pauli von dem Textil-Produzenten wissen, um die Zeit zu nutzen, bis User-Fragen gestellt wurden. "Am Abend des 14. März wurde mitgeteilt, dass ab morgen früh all unsere Testgeschäfte, in denen ja 50 Prozent des Absatzes gemacht werden, geschlossen sein müssen. Ein Problem also", antwortete Grupp. Da er aber zu allem "Ja" sage, was seine Arbeitsplätze sichere, habe er schnell beschlossen, mit Hochdruck Stoffmasken zu produzieren: "Bis Ende Juni waren das 2,3 Millionen." Damals sei Hochstimmung bei Trigema gewesen, "weil auch die Mitarbeiter stolz darauf waren, das Maskenproblem zu lösen".
Im Moment fertige Trigema 50 Prozent der Kleidungsstücke auf Halde, in der Hoffnung, dass diese irgendwann gebraucht werden: "Das sichert Arbeitsplätze." Um so mehr freue ihn, dass die Geschäfte im Zollernalbkreis nun wieder öffnen dürfen.
Die Besonnenheit der Zollernälbler
An dieser Stelle klinkte sich Landrat Pauli ein, und er beschwor die Eigenverantwortung und Besonnenheit der Zollernälbler, damit die "Lockerungsübungungen", wie er die wiedergewonnenen Shopping-Freiheiten nannte, nicht wieder aufgehoben werden müssten.
"Haben Sie es bereut, mit Ihrer Produktion und den Testgeschäften im Zollernalbkreis geblieben zu sein, während andere Textilproduzenten Geschichte geworden sind?", fragte Pauli. Ehrlich und direkt, wie man Grupp kennt, antwortete der: "Das dürfen Sie jetzt nicht so positiv hinstellen, das ist Egoismus. Ich wollte nicht untergehen, musste die Zeichen der Zeit erkennen."
Nicht die Textilproduktion sei in Deutschland unmöglich, sondern solche "große Herren wie von Karstadt, Neckermann oder Quelle" hätten versagt. Die hätten versucht, über den Preisdruck ihre Probleme zu lösen: "Das konnte ich nicht mitmachen, und ich musste mir neue Kunden suchen. Ich war nie so arrogant, SB-Kunden, also Metro oder später die Discounter, zu beliefern. Wer meinen Preis bezahlen wollte, war mir lieb." Und so habe er alle Kunden bedient, später Testgeschäfte eingeführt, um weiter existieren zu können und Arbeitsplätze zu sichern. Denn: "Ich habe gegenüber meinen Mitarbeitern Verantwortung. Die erwarten von mir den Arbeitsplatz, und ich erwarte von ihnen Leistung. Wenn jeder seiner Pflicht tut, hat man keine Probleme."
Grupp kam so richtig in Fahrt: "Die Verantwortung muss zurück in unsere Gesellschaft. Wenn ich Kinder habe, bin ich an erster Stelle für diese Kinder verantwortlich, und nicht der Staat. Wenn ich dann lese, dass eine 15-Jährige eine alte Dame ersticht wegen einer Handtasche und die Eltern nicht zur Verantwortung gezogen werden – wenn das alles passiert, ohne dass man von den Eltern spricht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn in unserer Gesellschaft nicht mehr alles so läuft, wie wir es wollen." Auch der Lehrer sei nicht schuld, wenn die Kinder nichts können, sondern die Eltern. Denn die müssten den Kindern Entsprechendes beibringen, meinte Grupp.
Virtueller Applaus
Spätestens an dieser Stelle begann der virtuelle Applaus für den alleinigen Trigema-Inhaber: "Richtig, Herr Grupp", "Eine sehr gute Einstellung!", "Gut, dass es Imperien wie das Ihre gibt, das Arbeitsplätze auch während Corona erhalten hat", "Bravo, Herr Grupp", wurde kommentiert.
"Werden Sie immer nur gelobt, oder bekommen Sie auch mal Kritik?", fragte Pauli an dieser Stelle. "Vielleicht haben die Leute Mitleid mit mir", antwortete Grupp augenzwinkernd: "Vielleicht glauben sie, meine Frau ist streng zu mir und lobt mich nicht so viel." Das, was er tue, sei nicht so lobenswert: "Das ist für mich normal. Ich habe viele Mitarbeiter, die sind eigens nach Burladingen gezogen, darunter 50, die Flüchtlinge waren, tolle Näher übrigens. Die kann ich ja nicht herholen und morgen wieder wegschicken. Ich habe Verantwortung, so wie ich auch Verantwortung übernehme, wenn ich in die Ehe gehe oder meinen Kindern gegenüber." Es sei für ihn das Schlimmste, wenn die Mitarbeiter sagten: "Der kümmert sich nur um sich selbst und nicht auch um uns." Und: "Wenn es mir gut gehen soll, geht das nur, wenn es auch meinen Mitarbeitern gut geht. Das ist das Prinzip, und das sollte in unserer Gesellschaft normal werden."
Grupp mag Unternehmen nicht, bei denen der "Kopf" versagt habe, die Insolvenz komme, "die Schuldigen sich privat noch die Taschen füllen und weitermachen, und die, die unschuldig sind, werden entsorgt". "Wir brauchen die Haftung und die Verantwortung zurück", sagte er. Entscheidungen dürften nicht der Gier und dem Größenwahn ausgesetzt sein.
"Haben Sie vor, sich impfen zu lassen?", wollte Pauli von Grupp wissen. Der bejahte, er werde sich aber nicht vordrängeln, und er werde auch den Impfstoff nehmen, den man ihm anbiete. Für den Pieks würde er ins Impfzentrum nach Meßstetten gehen, "denn einen direkten Hausarzt habe ich nicht", bekannte der fitte 78-Jährige schmunzelnd.
Gesund dank des langen Junggesellenlebens
"Was ist Ihr Geheimrezept, mit dem Sie gesund bleiben?", fragte Pauli. Grupp dazu scherzend: Sein langes Junggesellen-Leben sei wohl auch ein Grund dafür: "Wenn man erst mit 46 heiratet, ist man etwas geschonter." Er sei sich selbst gegenüber sehr diszipliniert gewesen, beim Essen und Trinken. Bewegung komme dazu. Jeden Morgen schwimme er im Freien, auch bei minus 20 Grad: "Auch wenn das Wasser 19 Grad hat, ist das trotzdem ein bisschen kühl."
"Gab es in der Firma Veränderungen durch Corona?", fragte eine Zuschauerin. Davon habe er nichts bemerkt, sagte Grupp. Abgesehen davon, dass der Zusammenhalt in der "großen Betriebsfamilie" helfe, Krisen zu meistern.
"Als alleiniger Geschäftsführer haben Sie es einfach", bemerkte Pauli gegen Ende: "Sie wachen morgens auf und denken: So mache ich das. Oder?" Entscheidungen könne er dadurch schneller treffen, gab Grupp zu. Aber: "Ich muss auch immer meine Mitarbeiter hinter die Idee bringen. Wenn es Einwände gibt, muss ich nötigenfalls korrigieren." Er brauche keine Ja-Sager, sondern Leute, die auch eine andere Meinung vertreten und begründen: "Das sind tolle Mitarbeiter."